In solch einem Dorf muß man nicht lange suchen, wenn man einen Baum oder ein Stück Wiese braucht, um gewisse Bedürfnisse zu erledigen. Auch regt sich niemand darüber auf, wenn man es tut.
In der Stadt gibt es viele Leute, die das Umweltverschmutzung nennen. (Das ist auch so ein modernes Wort, das man in meiner Jugend nicht kannte. Da hieß das ganz einfach »Schweinerei«.)
Aber egal, wie man so etwas bezeichnet, ich finde es ungerecht. Große Menschen haben Toiletten und kleine ein Töpfchen. Und was haben wir, bitte schön?
Irgendwo muß man ja sein Geschäft verrichten können. Einem anständigen Hund macht es sowieso keine Freude, das auf der Straße zu tun. Er bevorzugt ein Gebüsch. Aber wo findet man das in der Stadt?
Die Umweltschützer sagen: Wir kämpfen um jeden Baum.
Ich würde das unterstützen, wenn man uns Hunden nicht gleichzeitig die Benutzung von Bäumen verwehrte.
Neulich stand in der Zeitung, daß Hundebesitzer ihre Hunde mit einer Plastiktüte und einer Schaufel Gassi führen sollten. Findest Du nicht auch, daß das zu weit geht?
Tessy jedenfalls ist völlig dagegen. Sie sagt, dann würde man nächstens noch verlangen, daß auch ein Wassereimer mitgeschleppt wird. Außerdem würdest Du für mich und Michael für sie Hundesteuer bezahlen. Dafür müßten der Staat oder die Gemeinden eine Gegenleistung erbringen – in Gestalt von Straßenkehrern. Einfach abkassieren und nichts dafür tun, sei unmoralisch.
Nun habe ich das Gefühl, daß der Staat sehr viel Steuern kassiert, ohne das Richtige dafür zu tun – wenn man von den vielen Verordnungen absieht, die keiner mehr versteht und die den Leuten nur das Leben sauer machen. Die Beamten, die das ausknobeln, sind sicherlich unheimlich fleißig, aber sie kosten auch eine Menge Geld. Wenn ich mir vorstelle, wie viele Straßenkehrer man davon bezahlen könnte!
Im Augenblick ist Tessy übrigens sehr nett zu mir. Sie findet, das Zusammensein mit ihr hätte mir gut getan. Ich sei dynamischer und flexibler geworden, nicht mehr so ein sturer alter Hund wie vorher.
Vielleicht hat sie recht. Auf jeden Fall mache ich mir neuerdings unheimlich viele Gedanken über Dinge, die mich früher kaum beschäftigt haben. Und hinterher diskutiere ich mit Tessy darüber.
Wir sind zwar oft geteilter Meinung, was Tessy als Generationskonflikt bezeichnet, aber daraus siehst Du, daß sie doch wesentlich milder in ihrem Urteil geworden ist. Noch vor einem Monat hätte sie mich einen beknackten Opa geschimpft.
Eines allerdings schockiert mich immer noch sehr an Tessy, und das ist ihr freizügiges Gerede über Sex.
Ich bin gewiß nicht prüde, liebes Frauchen, aber daß ein so junges Geschöpf, das noch nie einen Hund gehabt hat, über solche Dinge wie über Knochenknabbern redet, das will mir nicht in meinen Hundeschädel.
Wenn ich Tessy nicht kennen würde, könnte ich meinen, sie sei eine von den Hündinnen, zu denen man zweimal im Jahr schleicht, weil man genau weiß, daß man da keine Verpflichtungen eingeht.
Solche Damen sind ja sehr bequem. Man braucht vorher keine besonderen Anstrengungen zu machen, keine langen Vorreden zu halten, und alles bleibt hübsch unverbindlich, sowohl der Dame als auch dem Nachwuchs gegenüber.
Aber die anständigen Hündinnen meiner Jugendzeit sind doch in der Anschauung erzogen worden, daß man »es« über sich ergehen lassen müsse, um hinterher die Freuden der Mutterschaft zu genießen. Und daß es Sache des jeweiligen Herrchens oder Frauchens ist, den passenden Kindesvater auszusuchen.
Wenn ich bedenke, welchen Prüfungen man sich vorher unterziehen muß! Ob man schön und gesund genug ist, ohne äußerliche Fehler, ob man besondere Fähigkeiten als Jagd–, Spür-oder Wachhund mitbringt und ob man einen einwandfreien Charakter hat, den man seinen Kindern vererben kann.
Entschuldige, aber manchmal denke ich, daß es für manche Menschen gar nicht schlecht wäre, solche Prüfungen ebenfalls einzuführen, bevor sie sich vermehren dürfen. Aber als ich neulich mit Tessy darüber sprach, hat sie mich einen verkappten Faschisten genannt, der eine Herrenrasse züchten wolle, um alle übrigen Individuen in ihrer persönlichen Entfaltungsfreiheit zu hemmen und schließlich zu unterjochen.
Dabei habe ich doch nur an den Nachwuchs gedacht und wieviel besser es wäre, wenn der in allen Fällen vernünftige und nette Eltern hätte.
Aber mit Tessy kann man über so etwas nicht reden. Sie ist nämlich für die freie Liebe. Und das mit zwei Jahren!
Sie sagt, wenn ihr ein Hund gefiele, würde sie mit ihm schlafen, egal, ob Sabine und Michael das paßte oder nicht. Und sie würde sich auch nicht scheuen, von sich aus den ersten Schritt zu tun. Schließlich sei sie gleichberechtigt.
Nur Kinder wolle sie nicht sofort haben. Aber dagegen gäbe es ja bei jedem Tierarzt Spritzen.
Sie drückte das noch ganz anders aus. Es ist so eine Art Slogan, und mir sträuben sich beim Niederschreiben die Haare, so entsetzlich klingt er, finde ich: »Mein Bauch gehört mir.«
Ich denke, dieser Satz spricht für sich, so daß ich mir jeden weiteren Kommentar dazu sparen kann.
Ich habe Tessy allerdings klarzumachen versucht, wie schön es ist, Kinder zu haben, worauf sie mir erklärte: »Die Machart ist vielleicht nicht übel – aber das, was hinterherkommt, um so mehr, jedenfalls für eine Frau. Die Männer haben sowieso nur das Vergnügen dabei. Ich aber, ich müßte mir meine Figur ruinieren, ich müßte die Kleinen zur Welt bringen, säugen und erziehen... Und überhaupt finde ich es verantwortungslos, noch mehr Hunde in eine Welt zu setzen, in der es immer mehr Autos und immer weniger Wiesen und Wälder gibt. Der Gesetzgeber soll erst mal mehr Lebensqualität für Hunde schaffen, bevor man uns zu Gebärmaschinen degradiert.«
So, wie Tessy das sagt, klingt es natürlich fürchterlich radikal, aber bei letzterem mußte ich ihr in etwa recht geben. Trotzdem habe ich geantwortet, daß es nun einmal von der Natur so eingerichtet sei, daß die Frauen die Kinder bekämen – doch da hat sie mich ganz hitzig unterbrochen:
»Ja, aber nur, wenn sie wollen. Sonst nicht mehr. Doch das bedeutet Gott sei Dank noch lange nicht, daß wir nun auf Sex verzichten müßten. Ich jedenfalls habe keine Lust, eine verklemmte alte Jungfer zu werden. Ich werde die Rolle, in die man uns gepreßt hat, abstreifen und mich meines Körpers und seiner Bedürfnisse nicht schämen.«
Sie sah sehr niedlich in diesem Augenblick aus, und ich dachte mir: Wenn sie nur nicht so ernüchternd reden wollte. Als Mann möchte man doch das Gefühl haben, eine Eroberung zu machen, und nicht, eine rein körperliche Freiübung zu absolvieren. Und ein bißchen was fürs Herz gehört auch dazu.
Als ich ihr das sagte, hat sie die Nase gerümpft. »Quatsch! Komm mir nicht mit Liebe und so. Sex ist eine Frage der vermehrten Adrenalinausschüttung. Bei dir zum Beispiel ist sie jetzt vermehrt, das sehe ich dir an. Wahrscheinlich hattest du gar nichts dagegen, mich zu vernaschen. Aber daß du mich liebst, wirst du beim besten Willen nicht behaupten können. Wir zanken uns doch dauernd, und tief innerlich bist du in deiner bourgeoisen Hundeseele bestimmt über mich geschockt. Trotzdem würde dich das nicht hindern, etwas mit mir anzufangen.«
Ich konnte nur nach Luft schnappen. »Also Tessy, du bist so desillusionierend wie eine Wurstattrappe. Unter diesen Umständen würde ich nie ...«
»Lüg nicht, du würdest! Und vielleicht hätten wir sogar eine Menge Spaß miteinander, wenn sich meine Adrenalinausschüttung bei deinem Anblick auch vermehrte. Tut sie aber nicht.«
Und damit strich sie hüftschwenkend an mir vorbei und sprang auf ihren Lieblingsplatz auf dem Fensterbrett. »Pech gehabt, Alterchen.«
Ich sage Dir, liebes Frauchen, Tessy ist eine Lolita! Man wird sehr auf sie aufpassen müssen, falls sie ihr konfuses Gerede von freier Liebe und so eines Tages in die Tat umsetzt. Hoffentlich wissen das Michael und Sabine.
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