MerkmalPolizeiSoziale Arbeit
Modifiziert n. Pütter 2015a, S. 4
Zugrunde liegt die klassische Unterscheidung zwischen Eingriffs- und Leistungsverwaltung (s. Gloss 2010, S. 324f.). Eingreifende Verwaltungstätigkeiten sind Ausdruck hoheitlicher staatlicher Gewalt. Die Behörde greift ein in die Rechte von BürgerInnen. Zu diesen Tätigkeiten gehören etwa die Steuerverwaltung oder die Baubehörden (beide beschneiden das Eigentumsrecht), insbesondere ist die Befugnis zum »Eingriff« für die Ordnungs- und Polizeibehörden charakteristisch. Die Ermächtigung und Befähigung, unter bestimmen Voraussetzungen in Grundrechte einzugreifen, sind deren Spezifikum.
Die Soziale Arbeit einem »Verwaltungstyp« zuzuordnen, verzerrt bereits die Lage. Denn Soziale Arbeit findet nur zum Teil im Rahmen öffentlicher Verwaltungen statt. Zwar kann sie Eingriffe in die Rechte von BürgerInnen veranlassen (etwa im Jugendamt), aber ihre Kerntätigkeit besteht in unterstützenden, beratenden, helfenden Dienstleistungen, die die BürgerInnen in die Lage versetzen sollen, ihre Rechte wahrzunehmen. Dies entspricht dem, was die staatliche Leistungsverwaltung (von der Familienkasse bis zu den Sozialversicherungen) tut.
Die Polizei stützt sich in ihren Tätigkeiten auf zwei Rechtsgrundlagen: Sofern sie Straftaten verfolgt, sind die Bestimmungen der Strafprozessordnung – eines Bundesgesetzes – maßgebend; für die »Gefahrenabwehr« bilden die nach Bund bzw. Bundesländern unterschiedlichen Polizeigesetze die Grundlage. Beide Rechtsbereiche definieren Aufgaben, Befugnisse und Methoden, die an gesetzlich definierte Voraussetzungen gebunden sind.
In ähnlicher Weise gibt es kein »Recht der Sozialen Arbeit«. Die rechtlichen Grundlagen sozialarbeiterischer Tätigkeiten sind auf viele Rechtsbereiche verstreut. Eine besondere Bedeutung kommt dabei dem Sozialgesetzbuch (SGB) zu. Innerhalb der zwölf Bände ist die sozialarbeiterische Relevanz unterschiedlich. Im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII) ist sie hoch, im Bereich der Rentenversicherung (SGB VI) gering. Aber selbst in diesen Feldern gilt, dass andere Rechtsbereiche einbezogen werden müssen: Etwa das Bürgerliche Gesetzbuch für Fragen der Kinder- und Jugendhilfe, die Regelungen zum Kindergeld, zu Elterngeld und -zeit für die Sozialarbeit in Familien, die Krankenhausgesetze für die Krankenhaussozialarbeit etc.
Die ›Leistung‹ des Rechts für die Polizei besteht darin, dass es ihr legale Handlungsräume eröffnet, sofern diese Handlungen Eingriffe darstellen. Das Eingriffsrecht ist für die Polizei zentral, weil es ihr Handeln gleichzeitig legitimiert und begrenzt. Erst durch dieses Recht wird der Raum erzeugt, in dem die Rechte von BürgerInnen unmittelbar (physisch) beschnitten werden dürfen.
Im Bereich der Sozialen Arbeit ist das Recht an die KlientInnen adressiert. Das Sozialrecht definiert Ansprüche von »Leistungsberechtigten« gegenüber sozialstaatlichen Einrichtungen. Soziale Dienstleistungen, die von SozialarbeiterInnen erbracht werden können, sind ein Teil dieser Leistungen. Der Handlungsraum Sozialer Arbeit erschöpft sich zudem nicht im rechtlich Vorgegebenen.
Für die Polizei ist ihr Handeln wesentlich rechtlich strukturiert, im Bereich der Strafverfolgung durch das Legalitätsprinzip, das zur Einleitung förmlicher Ermittlungen zwingt, im Bereich der Gefahrenabwehr durch das Opportunitätsprinzip, das durch das »pflichtgemäße Ermessen« bestimmt wird (
Kap. 1.1.3). In der traditionellen Fassung (die durch die jüngere Rechtsentwicklung aufgeweicht wird) folgt sie in beiden Bereichen einem »Konditionalprogramm«, das aus einem »Wenn-Dann-Schema« besteht: Wenn die Polizei von einer Straftat erfährt, muss sie ermitteln; wenn sie einer konkreten Gefahr gewahr wird, muss sie intervenieren.
In der Sozialarbeit wird das Handeln von den Erfordernissen des Einzelfalls bestimmt, die nur in wenigen Fällen rechtlich definiert sind. Sie ergeben sich in der Regel aus den Problemwahrnehmungen von Betroffenen und/oder aus Problemzuschreibungen. Dabei wird die Rolle der Sozialen Arbeit darin gesehen, zur Bewältigung des Problems beizutragen, wobei die Art der Bewältigung sich aus den professionellen Standards und nicht aus rechtlichen Vorgaben ergibt. Deshalb operiert die Soziale Arbeit nach dem »Zweckprogramm«: Um etwas zu erreichen (ein Problem zu lösen), unternimmt sie die Aktivitäten, die ihr nach Lage des Falles als zweckmäßig erscheinen.
Die Instrumente oder Maßnahmen, mit denen die Polizei ihre Aufgaben umsetzen kann, sind vielfältig. Ihre Besonderheit liegt allerdings darin, dass ihr ein Repertoire von Maßnahmen zur Verfügung steht, die mit direkten Eingriffen in die Rechte von BürgerInnen verbunden sind. Die Polizei eröffnet in der Regel keine Handlungsoptionen (»Sie könnten diese Platz jetzt verlassen oder hierbleiben.«), sondern sie ordnet an. Im Hinblick auf die AdressatInnen polizeilichen Handelns besteht keine Freiwilligkeit, sondern Zwang.
Im Grundsatz ist die Arbeit mit Zwang der Sozialen Arbeit fremd. Wenn »Soziale Arbeit in Zwangskontexten« (Zobrist/Kähler 2017) in Erscheinung tritt, so bedarf das besonderer fachlicher Anstrengungen. Denn im ›Normalfall‹ setzen sozialarbeiterische Interventionen auf Freiwilligkeit bei der Kontaktaufnahme und mehr noch in der Umsetzung. Soziale Arbeit unterbreitet ein Angebot; selbst wenn sie als »aufsuchende« ihre potenziellen KlientInnen unmittelbar anspricht, bleibt der Grundsatz der Freiwilligkeit bestehen. Die Freiwilligkeit korrespondiert mit der aktiven Beteiligung der AdressatInnen: Pädagogische (intrinsische Motivation), dienstleistungstheoretische (die KlientInnen als notwendige ›KoproduzentInnen‹ sozialer Güter) und demokratietheoretische (Selbstbestimmung) Begründungen liegen dieser Orientierung auf Freiwilligkeit zugrunde (s. Schnurr 2018, S. 1128–1131); teilweise ist sie auch gesetzlich vorgeschrieben (etwa § 36 SGB VIII).
Die Polizei verfügt ausschließlich über negative Sanktionen. Dabei kann sie einerseits unmittelbar selbst Verbote aussprechen, etwa in der Form von Polizeiverfügungen oder von einzelnen Handlungen wie Platzverweisen oder Betretungsverboten. Andererseits steht sie an der Basis des Strafverfolgungssystems. Wirksamkeit erlangt die Polizei durch den Umstand, dass sie physischen Zwang ausüben und mit ihm drohen kann.
Soziale Arbeit verfügt nicht über negativen Sanktionen. Ihr Strafpotenzial besteht darin, ggf. die eigene Arbeit einzustellen. Allenfalls kann sie mit den Sanktionen anderer drohen (z.B. der Anrufung des Familiengerichts), wenngleich Drohungen als pädagogisch fragwürdig gelten. Das Besondere der Soziale Arbeit ist vielmehr, dass sie ihren KlientInnen positive Sanktionen in Aussicht stellt, indem sie berät, begleitet und unterstützt.
Das Handeln der Polizei ist an Gefahren orientiert: Sei es im Polizeirecht zur Abwehr drohender Gefahren oder sei es in der Strafverfolgung, wenn die Gefahr für ein geschütztes Rechtsgut realisiert worden ist. In beiden Fällen ist die Polizeiarbeit auf die Feststellung von Verantwortlichkeiten ausgerichtet: Von wem geht die Gefahr aus, wer hat die Straftat begangen?
Für die Soziale Arbeit ist die Perspektive auf Veränderungen und mögliche Chancen zentral. Sofern es um die Ermittlung von Verantwortlichkeiten geht, geschieht dies als Voraussetzung für mögliche Problemlösungen. Ihre Perspektive ist davon bestimmt, dass sie Optionen für Individuen, Gruppen oder Gemeinwesen befördern will.
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