Es lief so gut, dass mein Geschäftspartner und ich uns Ende der Fünfzigerjahre je ein Häuschen bauen konnten. Er für seine Familie und ich für mich. Bei Grosseto an der italienischen Küste war ein Stück Land zu verkaufen. Das Meer, ein Pinienwald, ein Sandstrand und eine Beiz mit grüner Neon-Leuchtschrift, Verde Luna Bar, sonst nichts. Die Tochter des Barbesitzers heisst Tosca und verkauft heute meine Ikonen in Italien, Ägypten und Amerika. Dort am Meer lief mir der Junge von der Papeterie in der Enge wieder über den Weg, und ich nahm ihn zum ersten Mal wahr.
Vorher stürzte ich aber beim Verde Luna in die schwere Liebe. Die Liebe aus der Oper, gross, verrückt und unmöglich. Je unmöglicher, desto grösser werden solche Lieben, schön und tragisch. Könnte man sie leben, würden sie ganz normal. Er zog mich aus dem Sand, in dem ich mit dem Umzugsauto versunken war, mit seinen Rekruten. Er war Offizier bei der italienischen Armee, in Civitavecchia einquartiert. Als Offizier gab er ein paar kurze Befehle, brachte alles an seinen richtigen Ort und half mir galant aus dem Lieferwagen. Es war dieses Gefühl, das einen nur sehr selten überkommt, wenn man einen Mann zum ersten Mal sieht. Alles geht auf. Wir verliebten uns schrecklich. Er konnte als Berufsmilitär aber unmöglich zu mir in die Schweiz ziehen. Und ich konnte unmöglich nach Italien umziehen, nachdem mein Traum so gut lief. Ich konnte mir nicht vorstellen, alles hinzuschmeissen und Ehefrau zu werden. Es wäre eine Hotelliebe geworden. Nichts Richtiges, nichts für mich. Ich brach es nach einer Weile ab. Er schrieb mir noch lange Kärtchen, konnte es nicht lassen, und ich litt. Ich sehe ihn noch heute vor mir, als wäre keine Zeit vergangen. Schon eigenartig.
Ich hatte mich darauf eingestellt, als alleinstehende Geschäftsfrau mein Leben zu geniessen. Kinder mussten nicht sein, und heiraten schon gar nicht. Ich war meine eigene Chefin, hatte mein Häuschen in Italien, war selbständig und zufrieden. Ich ging schon gegen vierzig, als ich wieder einmal im Liegestuhl beim Verde Luna lag und las. Da tauchte dieser junge Mann auf, ein wirklich hübscher Kerli, gescheit und ein wenig schüchtern. Er hatte mit Freunden das Häuschen meines Geschäftspartners gemietet. Der Metzger Meister von der Krone Unterstrass in Zürich, wo mein Compagnon Stammkunde war, hatte es ihnen vermittelt. Der Junge setzte sich neben mich in den Sand und behauptete, er kenne mich. Aus dem Tram Nummer sieben in Zürich, wo ich am Morgen immer am Milchbuck eingestiegen sei und er mir den Vortritt gelassen habe. Er habe mich auch in der Enge gesehen, als er den Hund vom Chef an der Leine ausführte.
Wir spazierten lange den Strand entlang, tranken Campari Soda im Verde Luna, neckten uns und diskutierten. Scheints habe ich ihn auch in den Arm gebissen. Dann fuhr ich ganz wie immer nach Zürich zurück. Er war eine lustige und angenehme Gesellschaft, aber viel zu jung für mich, dreizehn Jahre jünger. Zudem wollte ich unabhängig bleiben. So kann man sich täuschen.
Im See beim Bellevue, wo mein Grossvater so plötzlich verschwunden war, änderte sich auf einen Schlag auch mein Leben. An einem strahlenden Sonntag, dem ersten August. Der junge Buchbinder aus der Enge lud mich zum Segeln ein. Segeln, aha. Wir kreuzten allein und vergnügt zwischen Enge und Horn, da schlug aus der Bläue ein Sturm los. Schwarzes, schweres Gewitter. Wir kenterten, und ich plumpste wie ein Frosch ins Wasser. Mein Retter mir nach. Die Seepolizei fischte uns kurze Zeit später aus dem See und stellte uns klatschnass am Bellevue aufs Pflaster. Wir setzten uns in ein Taxi und fuhren zum Trocknen in meine Wohnung beim Milchbuck. Der schöne Junge blieb. Und wurde mein Mann und Zeug und Sachen, vor über vierzig Jahren. Eine Liebe gegen alle Regeln wurde das. Geheiratet haben wir nie. Das Lieben hat trotzdem nie aufgehört, bis heute nicht.
Nachdem ich kein Geld mehr verdienen musste, habe ich angefangen mit dem Malen. Schön langsam, wie es der Vater mir zeigte. Strich um Strich, in aller Seelenruhe. Ein grosses Abenteuer.
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