Ich war das wohlbehütete einzige Kind in diesem Trio familial, und das bekam mir bestens. Als einzige Tochter ist man zwar glücklich, aber auch ein bisschen belastet. Die Lasten der Familie, vor allem die ganzen Vermächtnisse der Vorväter, die trägt man dann auch allein. Weil der Vater so beschäftigt war und mit seiner Kunstschule Erfolg hatte, machte das Kätterli mit der Zeit nur noch den Haushalt und schaute nach dem Rechten. Wunderbar machte sie das, obwohl sie es sicher nicht wirklich liebte. Sie machte es leicht, irgendwie mit links, wie alles, was sie tat. Mich liess sie nie in die Küche, sie wollte nicht, dass ich im Haushalt lernte, sie weigerte sich richtiggehend, mir etwas beizubringen. Vielleicht, damit ich nie in Versuchung käme, das Malen zugunsten von Hausarbeit zu schmeissen. Ich kann bis heute nicht kochen, ausser Spaghetti und Spiegeleier.
In diesem Milieu wurde ich Künstlerin, ohne es zu merken. Ich zeichnete und malte ständig. Am liebsten ganz Gewöhnliches, was grad vor der Nase lag. Ich lernte sehen und das Beobachtete umsetzen. Und ich lernte auch zuhören in diesem Haus, wo alle ein und aus gingen. Künstler reden gern von ihren Problemen und Bobos. Die merkten schnell, dem Hanneli muss man nicht viel erklären, die versteht einen rasch. Menschen haben mich immer interessiert. Ganz normale genauso wie etwa ein Friedrich Dürrenmatt oder der Ludwig Hohl, mit dem ich später acht Jahre zusammenlebte.
Ich ging an der Hohen Promenade in Zürich in die Töchternschule. Aber ich musste mich nicht mit einer Matura abplagen, mir widerfuhr die Gnade, Freischülerin zu sein. Das gab es damals noch. Ich konnte die Fächer auswählen, die mich interessierten und die ich brauchte für die Kunstgewerbeschule. Die Haushaltungsschule strich ich auch, gegen den Willen vom Papa allerdings. Der fand, das brauche man doch als Frau. Aber das Kätterli verstand das sehr gut und unterstützte mich. Dass ich in die Kunstgewerbeschule eintrat, war klar, man verlor kein Wort darüber. Dass ich trotz dieser Selbstverständlichkeit, oder gerade deswegen, einen eigenen Weg suchen musste, merkte ich erst mit der Zeit. Aus dem Schatten der erratischen Blöcke zu treten, die Vater und Grossvater bildeten, war nicht einfach. Es waren aber ebenfalls Männer, die mir halfen, auf meinem selbst gefundenen Weg zu bleiben.
Nach der Kunstgewerbeschule wollte ich eigentlich nach Paris, an eine Mal-Akademie. Aber der Krieg brach aus und die Grenzen schlugen zu. Da zog ich nach Genf, wohnte in einer Pension und studierte an der Ecole des Beaux-Arts. Das war die einzige Möglichkeit für ein Kunststudium in der Schweiz. Dort arbeiteten wir vom Morgen bis zum Abend, malten, bis wir umfielen. Akte, Porträts, immer grossformatig, manchmal mit dem Verlängerungsstab, nicht klein auf den Tischen wie in Zürich. Das gefiel mir sehr. Aber meine Eltern brachten ein grosses Opfer, dass sie mich gehen liessen in dieser schwierigen Zeit. Diese Trennung war für sie schmerzhaft. Das Kätterli schickte mir regelmässig feine schwarze Strümpfe, die ich so gern trug. Der Willy und der Righini mobilisierten väterliche Freunde, die mich unter ihre Fittiche nehmen sollten. »Am Sonntag bist du vorerst immer beim Bildhauer James Vilbert eingeladen«, hiess es. Ich liess sie gewähren, aber nichts hinderte mich am Genuss einer neuen, französisch geprägten Freiheit.
Die behütete Jugend gab mir sehr viel Standfestigkeit. Es ist eigentlich erstaunlich, dass ich in einer solchen Familie eine so gute Bodenhaftung bekam. Bodenhaftung hilft einem, selbständig zu arbeiten, schwierige Wege zu gehen, nicht aufzugeben. Es braucht viel Kraft, wenn man alles selber herausfinden will. Bis man weiss, was man ist und was einen ausmacht. Es ist meistens nicht einfach, so zu leben, dass es sich lohnt, darüber nachzudenken. An den eigenen Sachen festzuhalten, ist ziemlich anstrengend. Natürlich muss man auch merken, was man kann und wo man besonders gut ist. Da hatte ich in dieser Familie einen Vorteil, weil es alle merkten. Und dann gibt es nur noch eins: viel arbeiten, arbeiten, arbeiten. Dann bekommt man plötzlich auch Unterstützung von aussen.
Der grosse Kopf Ludwig Hohl fand es wunderbar, dass ich malte, aber er hasste es, wenn ich tagelang »landschaften« ging. Ihn verliess, bloss um Landschaften zu malen. Er hasste es auch, wenn ich ein paar Tage nach Zürich verreiste. Er litt Qualen, wenn ich nicht da war, so war der Hohl. Lieber begleitete er mich abends zum »Dringlichschalter« der Post am Bahnhof Cornavin. Ich hatte die grossen Couverts mit den abzuliefernden Illustrationen unter dem Arm, ihm hing wie immer die Gauloise von den Lippen. So war er zufrieden, denn es war ja nicht ich, die verreiste, und bald würden meine Arbeiten von Verlagen und Redaktionen honoriert werden – und der Geldbriefträger würde unser Leben erleichtern. Ein solcher Abend endete meistens im Buffet de la Gare, und ich konnte mein Zeichenblöcklein aus der Tasche ziehen und mein Lieblingsthema, das mir bis heute geblieben ist, weiterskizzieren, Bahnhöfe.
Der Hohl war ein phänomenaler Literat und Philosoph, ein genialer Mensch, ein richtiger Solitär im wahrsten Sinn des Worts. Und ein sehr schwieriger Mann. Als ich nach Genf kam, war er noch wenig bekannt. Kennen gelernt habe ich ihn in einem Café. Ich sass ständig in irgendwelchen Parks und Cafés, um zu zeichnen und weil ich nicht kochen konnte. In Genf war es ein wenig wie am Montmartre in Paris, die Cafés waren der Mittelpunkt des Künstlertums. Wunderbar war das. Das Clémence an der Place du Bourg-de-Four war unser Montmartre, das Café du Centre und die grossen Brasserien an der Place du Molard unser Montparnasse.
Ich hockte also an einem Tischchen, und in einer anderen Ecke hockte der Hohl mit seiner Entourage und rezitierte etwas. Er sah einfach fabelhaft aus, wirklich sehr gut sah er aus. Der Hohl war fünfzehn Jahre älter als ich, ich war erst Anfang zwanzig und natürlich sofort beeindruckt von seiner Erscheinung. Er hatte eine enorme Ausstrahlung, wenn er in einer geselligen Phase war. Das war selten. Wahrscheinlich sah er, wie ich an seinen Lippen hing, jedenfalls kamen wir ins Gespräch. Er fand anscheinend sofort, mit dieser Hanny kann ich über alles reden. Das erzählte er mir später einmal. Er interessierte mich, aber ich war ihm nicht untertan, ich war Leute wie ihn gewöhnt. Wir waren uns sofort nah, im Gespräch und auch sonst, vom ersten Moment an. Wir fanden uns einfach gut, jedes den anderen. Das war für den Hohl ein Glücksfall. Und für mich doch auch! Kurze Zeit später stand er vor der Pension Hemmeler, wo ich wohnte, mit einem Billett, »Invitation pour Hanny Fries – pour la lecture de Ludwig Hohl«. Er gab ab und zu solche Abende, die Leute liebten seine Auftritte, weil er wunderbar las und rezitierte. Wenn er in Stimmung war, hatte der Hohl immer Erfolg. Er war sehr beliebt, und er war sehr einsam, beides.
Mit ihm zu leben, war nicht leicht, aber äusserst anregend. Ich kenne niemanden, der dermassen konsequent auf seinem unbürgerlichen Weg beharrte. Gegen alle Widerstände, immer nur seine Arbeit, seine Überzeugung und auch sein Tagesrhythmus. Der Hohl mischte sich kaum, mit nichts. Aber er dachte über alles nach, immer weiter und weiter. Das ist unglaublich, dass einer das ein Leben lang durchhält. Er war so veranlagt, er konnte nicht aus seiner Haut. Es ist das, was der Dürrenmatt und auch der Max Frisch an ihm bewunderten, ja eigentlich beneideten, diese fast unmenschliche Kompromisslosigkeit. Auch mich zog das an, die Rigorosität, mit der er das Eigene durchzog, es durch und durch lebte. Verdient hat er kaum etwas damit.
Wir ernährten uns schlecht und recht von meinen Aufträgen. Ich bekam schon während dem Studium Aufträge für Illustrationen. Der Manuel Gasser von der »Weltwoche« unterstützte mich. Ich arbeitete unter anderem auch für die »Annabelle«, die NZZ, die »Elle« und »Die Frau«. Oder ich illustrierte Bücher für den Peter Schifferli vom Arche Verlag und für den Manesse-Verlag. Sehr gern zeichnete ich auch ganz Profanes, Gärtnergeschichten zum Beispiel für SJW-Heftchen, die Publikation des Schweizerischen Jugendschriftenwerks. Es störte mich überhaupt nicht, Hefte mit Bärchen zu füllen, die plötzlich so in Mode kamen. Man muss etwas damit anfangen. Aus banalen Vorgaben etwas kreieren ist eine Herausforderung. Gute Künstler schätzen solche Aufträge, nur die schlechten sind sich zu schön dazu.
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