Übrigens, nichts lieber, als zum Beispiel der Literatur ein Gesicht verleihen. Wenn ich nicht Künstlerin geworden wäre, hätte ich wohl vergleichende Literaturwissenschaft studiert. Ich illustrierte auch Texte von Silja Walter. Die Silja war sehr erfolgreich, eine vielversprechende junge Schweizer Dichterin. Sie bekam einen Preis um den anderen, und dann ging sie ins Kloster. Auch so eine, marschierte unbeirrt ihren Weg. Wir haben uns eine Zeit lang geschrieben, aber jetzt habe ich jahrzehntelang nichts mehr von ihr gehört. Aber die Silja wird immer wieder erscheinen. Was gut ist, kommt irgendwann wieder.
Auch der Hohl ist einer, der nie vergehen wird. Vor kurzem fiel mir ein Geschenk in die Hände, das er mir einmal machte. Er hatte es selber von Hand genäht und geleimt, »Eine Suite für Hanny«, wunderschön. Es sind Zitate, Bemerkungen, die auf das Leben passen, Sprüche, Gedanken zur Einsamkeit, dann wieder »Geliebtes leuchtet durchs Gedränge« und solche Sachen. Der Hohl konnte unverständlich sein, aber auch äusserst liebenswert, richtig grosszügig. Er überredete mich zum Beispiel, ein Kleid zu kaufen, das mir sehr gefiel und das wir uns gar nicht leisten konnten. Ein Wollröckchen mit Tigermuster, Tigerlook. »Mais achète donc cette robe!«, sagte er. »Kauf es dir doch!» Er sparte es sich lieber vom Mund ab, als auf das Vergnügen zu verzichten, mit mir im Tigerlook durch Genf zu flanieren. Wir redeten oft französisch miteinander. Zum Beispiel über Katherine Mansfield, die wir beide verehrten, über Rahel Varnhagen, über Charles-Albert Cingria. Leider habe ich das Tigerkleid hängen lassen, als ich ging, zusammen mit der fantastischen spanischen Robe, die ich auf einem Flohmarkt entdeckte. Manches Schöne verschwindet eben doch, aber das macht nichts.
Der Hohl war auch ein guter Koch. Wenn wir wenig Geld hatten, stiefelten wir durch die Wälder und sammelten Pilze. Wir waren immer knapp bei Kasse, da änderte der Krieg gar nichts. Zu Hause hatten wir immer das gleiche Problem: Ich wollte die Pilze malen, und er wollte sie kochen. Er schimpfte, dass die Würmer die Pilze gefressen hätten, bis ich fertig sei mit Malen.
Dass der Krieg rundherum wütete, davon habe ich ehrlich gesagt wenig mitbekommen. Ich muss zu meiner Schande gestehen, ich war ziemlich apolitisch. Zu sehr beansprucht von meinen eigenen Lebensproblemen, meiner anstrengenden Lebensweise. Besessen von der Liebe und der Kunst. Ich war in allem erst am Anfang, als der Krieg ausbrach. Die Lehrer von der Académie führten uns ab und zu an die Grenzen um Genf und zeigten uns, wie weit wir gehen konnten. Bis hierher und nicht weiter. Das gab einem gleichzeitig das Gefühl, Glück zu haben und eingeschlossen zu sein. Der Hohl hingegen war politisch äusserst aufmerksam. Er hatte viele jüdische Freunde, die plötzlich bei uns auftauchten. Und die ganze Atombombengeschichte beschäftigte ihn sehr.
Im Elternhaus in Zürich war der Krieg das Dauerthema. Ich war nicht so oft dort, wie ich gewollt hätte, aber die Mutter erzählte und schrieb mir davon. Man fürchtete sich davor, dass die Deutschen ins Land einfielen und alles besetzten. Der Willy gestand dem Kätterli später, dass er sich eine Pistole organisiert hatte, falls die Deutschen doch noch über die Schweiz hergefallen wären. Damit sie uns nicht hätten verschleppen können.
Nach sieben Jahren wilder Ehe heiratete ich den Hohl. Meine Eltern waren entsetzt. Sie schrieben mir Briefe, ich solle das um Himmels willen nicht tun. Aber solche Ratschläge befolgt man als junger Mensch nicht immer, Gott sei Dank. Ich glaube, ich war eine gute Tochter, aber nicht immer folgsam. Wenn überhaupt, folgt man in dem Alter den Freunden, und meine Freunde fanden, dem Hohl würde es besser gehen, wenn wir verheiratet wären. Dass das mit uns nicht gut gehen konnte, wusste ich eigentlich selber. Aber ohne ihn zu heiraten, hätte ich mich nie von ihm befreien können. Bei ihm zu bleiben, hätte mich vielleicht zerstört, und ihm hätte es nicht geholfen. Ich musste es durchleben, weitermachen bis zum Ende und wieder anfangen. Gerettet haben mich die Bodenhaftung und mein gesunder Freiheitsdrang.
Wir gingen zusammen in den Jura und beweinten unsere Trennung eine Weile. Dann kehrte ich nach Zürich zurück. Ich sorgte dafür, dass der Hohl nicht allein blieb, als ich ging. Es war mir nie egal, wie es ihm ging. Die Liebe in ihrer seltenen, grossen Form vergeht nicht. Sie wandelt sich höchstens. Der Hohl war fünfmal verheiratet. Das war vielleicht seine Tragik, er kam über die Entwürfe nicht hinaus.
Das Leben ist ein Wechselbad, dann ist es gut. Alles mischt sich immer wieder neu, wenn es fliesst. Für mich war das so, obwohl ich es nicht suchte. Das Mischen ergibt sich vielleicht auch aus dem Doppelblick. Den muss man üben und pflegen, er bringt diese Mischung automatisch, das war Hohls Maxime für die Beziehung zum anderen. Das scharfe und das rührbare Auge. Er hatte es von Goethe: »Niemand kann sich glücklich preisen / Der des Doppelblicks ermangelt.«
Mit meiner grossen, letzten Liebe lebe ich heute noch zusammen. Seit über vierzig Jahren sind wir ein ziemlich glückliches Paar. Wir haben sogar geheiratet, der Ordnung halber, weil wir beide so viele Verpflichtungen haben. Mein Mann ist ein absolut zauberhafter Mensch. Grosszügig, gesellig, kritisch und aufmerksam. Künstlerisch extrem auf der Höhe, der wäre ein wunderbarer Maler geworden, wenn er nicht einen anderen Weg eingeschlagen hätte und Grafiker geworden wäre. Und er kocht fantastisch.
Ich sehe nicht ein, warum eine Liebe nicht gut alt werden könnte. Wenn sie gesund ist, wird sie alt werden. Das Spannende an der Liebe ist das Sich-Vermischen mit einem anderen Menschen. Neue Farben entstehen, wenn man die Mischung immer wieder ein wenig nuanciert. Und wenn man den Doppelblick übt. Das kann man doch auch mit dem gleichen Partner. Die Kunst ist, das richtige Mass zu finden zwischen der eigenen Freiheit und dem Nachgeben dem andern zuliebe. Sicher muss man oft nachgeben. Aber dort, wo es einen wirklich an einem Lebensnerv trifft, muss man sich behaupten. Dazu braucht es Bodenhaftung, die Sicherheit auf dem eigenen Weg.
Und man muss aufmerksam bleiben. Muss merken, wenn der andere nachgibt, dann schätzt man es und macht es auch selber lieber. Es ist doch etwas vom Schönsten, alte Paare zu beobachten mit ihren wortlosen Einverständnissen. Diese Friedfertigkeit entspannt das Leben ungemein. Spannung ist auch wichtig, die braucht aber keinesfalls immer erotisch zu sein. Es kann auch spannend sein, in eine Beiz mitzugehen, in die man eigentlich nicht gehen wollte, und sich überraschen zu lassen, dem anderen zuliebe. Aber irgendwo muss man sich einen Ort freihalten, wo gar nichts vermischt wird. Wo man absolut machen kann, was einem einfällt. Das ist existenziell für künstlerisches Tun, vielleicht überhaupt. Ich habe das vom Righini gelernt, diese unbedingte Verteidigung eines eigenen Ortes.
Mit Kindern geht das schlechter. Kinder wollte ich nie, eigentlich lieber nicht. Meine mütterliche Seite beschränkt sich auf Windeln. Ich musste mich entscheiden, entweder Leinwand oder Windeln. Beides ging schlecht, jedenfalls in jener Zeit. Wahrscheinlich auch heute noch. Ich habe sehr gerne Windeln, diese altmodischen, ich benutze sie als Mallappen. Vielleicht ginge es auch mit Pampers. Es wird nämlich immer schwieriger, diese schönen Stoffwindeln zu finden.
Familie hiess für mich der Mann, die Eltern, die Freunde. Freunde habe ich immer als Familie empfunden, ich bin sehr treu. Unter den Künstlern gab es eine gewisse Solidarität, man traf sich regelmässig in den Cafés. In der Kronenhalle sassen wir schon, als uns die Serviertöchter die Konsumation noch vorschiessen mussten. Wir sassen im Odeon, im Select, das ist jetzt alles anders. Und diese wunderbaren EPA-Restaurants, die stink-billig, gewöhnlich und gut waren, sind verschwunden. Zusammen mit der originellen Kundschaft. Mit dem Hohl ging ich fast täglich ins EPA-Restaurant in Genf. In Zürich zur EPA am Bellevue und ins altjümpferliche Café Gleich in Örlikon. Alles nicht mehr da. Heute hat es überall Lounges, in denen man vor lauter Lockersein nicht mehr richtig sitzen kann. Ich sitze lieber an einem rechten Tisch, als mit Fremden auf Sofas zu liegen. Und die Kundschaft ist inzwischen so originell, dass man sie auf gar keinen Fall malen möchte.
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