Das Echo des Adlerschreis
Erinnnerungen an ein früheres Leben
Roman
von
Rebecca Netzel
Impressum
Das Echo des Adlerschreis, Erinnnerungen an ein früheres Leben
Rebecca Netzel
TraumFänger Verlag Hohenthann, 2017
1. Auflage eBook November 2021
eBook ISBN 978-3-948878-10-8
Lektorat: Michael Krämer
Satz und Layout: Janis Sonnberger, merkMal Verlag
Datenkonvertierung: Bookwire
Titelbild: Alexandra Walczyk
Copyright by TraumFänger Verlag GmbH & Co. Buchhandels KG,
Hohenthann
Printed in Germany
VORSPANN
DAS BUCH ADLER
DAS BUCH INDIANER
DAS BUCH WEIßER
EPILOG
Makóce kin le takója etán unkólotape lo.
We have borrowed the Earth from our grandchildren (future generation) .
Wir haben die Erde von unseren Enkelkindern nur geliehen .
– Crazy Horse (Tashúnke Witkó) –
Can ehákela yaglásotapi kte, na wakpá ehákela ohágyayapi kte, na hogán ehákela hoyákuwapi kte kinhán, hehánl mázaska yúta-píca shni ca ayákiblezapi kte lo.
Only after the last tree has been cut down / Only after the last river has been poisoned / Only after the last fish has been caught / Then will you find that money cannot be eaten .
Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist, werdet ihr merken, dass man Geld nicht essen kann .
– Weissagung der Cree / heutzutage intertribal –
Der bedeutende Lakota-Medizinmann Pete Catchesäußerte sich mit folgenden Worten zur Einbeziehung von Nicht-Lakota in Zeremonien 1:
„Ich will nicht sagen, dass Nicht-Indianer nicht zu Schwitzhütten gehen dürfen. Ich glaube, dass diese weißen Leute, die zu Schwitzhütten gehen, in ihrem früheren Leben selbst Indianer waren, weil wir wirklich fest an die Wiedergeburt glauben. Die Sache ist nur die, wenn sie kontinuierlich an indianischen Zeremonien teilnehmen, Schwitzhütten besuchen, auf Visionssuche gehen oder am Sonnentanz teilnehmen, dann müssen sie Lakota lernen.“
1zitiert nach: Martin Krueger , Lakota-Verbtabellen, S. 55
Das „Wir“ der Indianer ist hier im Roman fiktiv – es soll zugleich ein Anreiz sein, Bücher authentischer Native Americans zu lesen! Möge dieser Brückenschlag gelingen .
– Rebecca Netzel – (mit ihrer Familie in eine Lakota-Familie der Kul Wicásha Oyáte adoptierte Weiße)
VORSPANN – Ein junger Mann in N.Y. –
Ich habe nur an Urlaub gedacht, an jenem Augusttag in der Sommerhitze auf dem Freeway, an wohlverdienten Urlaub und nicht ans Sterben.
Und doch kann das mit dem Sterben sehr schnell aktuell werden, wenn du gar nicht daran denkst, und auch wenn du eben noch deinen Urlaub im Kopf hast und dann hinten einer zu dicht auffährt und vorne einer bremst.
Im ersten Schock bist du richtig beleidigt, wenn sich plötzlich die Frontscheibe vor dir in schneidende Skalpelle in deinem Gesicht verwandelt. Du spürst gar keinen Schmerz, nur ein angespanntes Kribbeln, und du bewunderst noch mit klarer Sachlichkeit das fremdartige Trümmermuster, das sternförmig über die Frontscheibe springt, ehe du darin versinkst. Dann wird es plötzlich siedendheiß und zum Atmen zu eng, und dann springt ein roter leuchtender Brunnen auf, der deine letzten Eindrücke überschwemmt. Du versinkst in einer warmen, klebrigen Nacht.
Langsam wird der Wirbel, in dem du dich drehst, immateriell, die dumpfe zähe Masse verwandelt sich in einen materielosen Strudel, in dem du dahintreibst und immer leichter wirst. Dein Fallen kehrt sich um in ein Steigen.
Und dann geht eine Tür auf, und du siehst wieder alles, klar, so bestechend klar, wie du es noch nie gesehen hast, und du siehst deinen Unfall und dein Autowrack, bis zur Unkenntlichkeit zertrümmert, zusammengeschoben wie eine Ziehharmonika, zwischen zwei anderen demolierten Autos, und du hörst die Polizei sagen, „Ja, es gibt einen Toten; die Verletzten sind bereits abtransportiert“, und du denkst im Schock, hihi, der Tote bist ja du.
Und weiter geht die Reise, rückwärts, durch die Erinnerungen. Du siehst lauter Belangloses aus deinem Leben, und alles wird von dir gesehen, und alles hat rückwirkend seine Berechtigung und sein Folgerichtiges, sein Schönes und Fatales. Du siehst noch einmal, dass du ein Student warst, der seine Klausur in VWL bestanden hat und nun erst einmal mit dem zusammengejobbten Geld eine Reise nach Amerika finanziert und dort dann ein Auto gemietet hat, um die weitläufige Gegend zu erkunden, und dies mit letalem Ausgang.
Du erlebst noch einmal deine gescheiterte Freundschaft mit irgendeinem Mädchen, von dem du nicht weißt, ob du sie wirklich gern gehabt oder nur einfach gern bei dir gehabt hast, sowie eine Reihe flüchtiger Bekanntschaften. Du siehst dich noch einmal dein Elternhaus verlassen, und du siehst dich als Kind. All das ist noch so schön vertraut, mit der abgestandenen Luft des Gewohnten parfumiert. Dann, als du dich als Baby siehst, wird das Bild schon ungewohnter. Daran hattest du dich in deinem Leben gar nicht mehr erinnert. Und doch war auch das da, säuberlich und ohne Verlust fixiert in der Vergangenheit. Doch zu deiner Verblüffung geht die Reise noch weiter. So heftig bist du offenbar durch die Windschutzscheibe geknallt, dass die Wucht gar nicht zu bremsen ist und du immer weiter zurückschießt in deiner Chronik. Du siehst dich als Föten, und dann wird es kurz dunkel und dann wieder hell, als ob man rasend schnell durch einen Tunnel fährt, und zu deiner Bestürzung siehst du dich als mittelalten Mann wieder, dir völlig unbekannt und doch du – dein damaliges Du –, ein rothäutiger Mann mit Hirschleder-Kleidung und einer weißen Feder im Haar – und voll herzzerreißender Wehmut erkennst du dein voriges Leben als Indianer wieder. Du warst also schon einmal hier. Also stimmt das doch, was über Reinkarnation und Seelenwanderung spekuliert wird!
Doch immer noch geht die Reise weiter. Du siehst den Mann jünger werden, eine Frau nehmen, zum Manne werden, als Kind spielen, geboren werden – und nochmals wiederholt sich die Fahrt durch den Tunnelschatten – und es wird wieder hell – und diesmal bist du ein Adler.
Du warst also sogar ein Adler. Du siehst dich, und du erkennst dich auch als Adler wieder. Auch Adler unterscheiden sich individuell. Du erkennst deine Federn wieder, deinen Hakenschnabel, deine gelben Klauen. Du siehst dich fliegen, mit einer Adlerin, siehst dich am Nest mit Jungen, siehst dich selber als Junges – die Reise verlangsamt sich, der Lauf der Bilder bremst sich ab, kommt zum Stillstand … es zieht dich wieder zurück …
Als du im Hospital aufwachst, hast du noch all‘ die bunten Bilder im Kopf, mitgebracht als Geschenk aus dem Jenseits. Man erklärt dir, du seist für Minuten klinisch tot gewesen. Jetzt bist du voll ansprechbar, aber sehr erschöpft. Du beschließt, nichts von deiner Bilderreise zu erzählen und alles aufzuschreiben.
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