Patrick Kruß
Das Echo der Verstorbenen
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Inhaltsverzeichnis
Titel Patrick Kruß Das Echo der Verstorbenen Dieses ebook wurde erstellt bei
Widmung Widmung Für meine Opa. Ein Mann, der den Tatsachen vertraute. Und für den ich umso mehr glauben möchte.
Erster Teil Erster Teil - Erster Teil - Die Gabe
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Zweiter Teil
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Dritter Teil
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Impressum neobooks
Für meine Opa.
Ein Mann, der den Tatsachen vertraute.
Und für den ich umso mehr glauben möchte.
- Erster Teil -
Die Gabe
Der Sommer, in dem ich zehn Jahre alt wurde, hat für mich eine besondere Bedeutung. Damals veränderte sich mein Leben.
Es lag nicht daran, dass ich die kompletten Ferien bei meiner Grandma Viviane verbringen musste, damit sich mein Dad der Baseballkarriere meines älteren Bruders Samuel widmen konnte.
Es lag auch nicht daran, dass es der erste Sommer war, nachdem uns meine Mum verlassen hatte.
Der Grund, weshalb diese drei Monate einem Brandmal gleich ihre Spur in meiner Erinnerung hinterlassen haben, ist ein anderer. Denn in diesem Sommer hatten sie zum ersten Mal Kontakt mit mir aufgenommen.
Meine Grandma nannte es eine Gabe.
Ich nenne es einen Fluch.
An jenen Tagen im Juni durchzog eine unerträgliche Hitzewelle das Land. Tagsüber kletterte die Temperaturanzeige stets über 35 Grad Celsius und seit Wochen hatte kein Tropfen Regen den Boden berührt.
In den Nachrichten war immer wieder davon zu hören, wie Waldbrände unerbittlich wüteten. Kaum hatte die Feuerwehr einen Brandherd unter Kontrolle gebracht, begannen die Flammen an einer anderen ausgetrockneten Stelle ihr zerstörerisches Schauspiel aufzuführen.
Meine Grandma Viviane lebte, fernab dieser Katastrophe, in einem einsamen Haus am Ufer eines Sees. Als wir das große Grundstück erreichten, glaubte ich, in einer anderen Welt angelangt zu sein. Die Bilder von Feuer und Rauch schienen hier unwirklich und aus einem Furcht einflößenden Albtraum zu stammen.
Ich wuchs in einer belebten Vorstadtgegend auf und so war mir die Ruhe, die mich empfing, fremd. Außer dem leisen Gezwitscher der Vögel, die sich in den Bäumen um den See versteckten, war nichts zu hören.
Viviane stand vor einer Staffelei auf der Veranda und winkte meinem Dad, Sam und mir fröhlich zu. Sie trug ein weites, hellgrünes Baumwollkleid, das ihren drahtigen Körper verbarg. Um die Schultern hatte sie ein zitronenfarbenes Tuch gelegt. Ihre beinahe schneeweißen Haare reichten ihr bis zu den Hüften und schienen in der kräftigen Mittagssonne regelrecht zu schimmern. In den Händen hielt sie eine Palette und einen Pinsel. Sie legte beides auf einen Tisch und kam mit eiligen Schritten auf uns zu. Der Bernsteinanhänger an ihrem Hals wippte wild umher.
„Tut mir Leid, das wir uns verspätet haben“, entschuldigte sich Dad. „Wir standen gut eineinhalb Stunden im Stau.“
Eineinhalb Stunden, in denen sich Dad und Sam über Baseball unterhalten hatten. Ich hatte teilnahmslos auf dem Rücksitz von Dads Jeep Platz genommen und mit einem Bleistift in einem Notizblock herumgekritzelt. Diese Autofahrt war ein Paradebeispiel für meine Rolle, denn damals war ich der Statist meiner Familie.
Sam dagegen war ein begnadeter Baseballspieler.
Die große Hoffnung der Highschool.
Dads ganzer Stolz.
Kein Wunder also, dass Dad ihn auf ein Trainingscamp begleitete. Es machte ihn glücklich, Sam beim Schlagen auf dem Feld zuzusehen. Er wollte dabei sein und erleben, wie sein Sohn zu einem noch besseren Spieler wird. Und er wollte der Einsamkeit aus dem Weg gehen, die ihn zuhause empfing, seit uns Mum mit einer kurzen Nachricht auf dem Küchentisch verlassen hatte.
Ich kann hier nicht länger bleiben.
„Das macht wirklich nichts“, versicherte Viviane und deutete auf die Veranda. „Ich habe mir die Staffelei hinausgestellt. Das Licht ist heute hervorragend.“
Viviane war Künstlerin. Hinter dem Wohnhaus, so wusste ich, hatte sie sich in einem Schuppen ein Atelier eingerichtet, in dem sie an ihren Bildern arbeitete.
Dad nickte kurz. Er hatte keinen Sinn für die Malerei und wusste nicht recht, was er hätte antworten können. Insgeheim hielt er Grandma für eine Verrückte. Ihr Erscheinungsbild widerlegte diese Behauptung jedenfalls nicht. Sie wirkte wie eine Zeitreisende aus den späten Sechzigern.
Bevor sie Mum während eines längeren Aufenthalts in Südafrika zur Welt gebracht hatte, war Viviane zwei Mal kurz verheiratet gewesen. Mein Großvater war ein Phantom, das es niemals zu Ehemann Nummer drei geschafft hatte. Letztlich hatte sie ihre Tochter alleine groß gezogen.
Umso erstaunlicher war es, dass ich den kompletten Sommer über hier bei ihr verbringen sollte. Dachte ich zumindest. Im Grunde hatte Dad keine Wahl, wie mir heute bewusst ist. In das Trainingscamp wollte er mich nicht mitnehmen – nicht, dass ich es selbst gewollt hätte – und seine beiden Brüder, Onkel Steve und Onkel Eric, lebten viel zu weit weg, als dass sie eine Option für meine Unterkunft gewesen wären.
Viviane blieb als einzige Möglichkeit.
Dad holte meinen Koffer aus dem Wagen und stellte ihn neben mir ab. Dem dumpfen Knall des Gepäcks auf dem Boden folgte eine kleine Staubwolke.
„Machs gut, Colby. Und sei anständig.“ Er klopfte mir auf die Schulter und verabschiedete sich von Grandma. „Sam und ich müssen weiter. Vor uns liegt noch ein gutes Stück.“
Ich wich seinem Blick aus und konzentrierte mich auf eine Trauerweide, die nahe der Veranda hoch in den Himmel ragte.
Sam stieg, ohne ein letztes Wort an mich zu richten, in den Wagen. Er mochte mich nicht besonders und war bestimmt froh darüber, seinen nervigen kleinen Bruder einige Wochen nicht sehen zu müssen.
Dad startete den Motor und nur einen Augenblick später verschwand der rote Jeep in Richtung der Landstraße, aus der wir gekommen waren.
Es war ein emotionsloser Abschied. Er hatte, so dachte Dad sicherlich, seine Pflicht als Vater erfüllt und sich um das Obdach und die Aufsicht seines Kindes gekümmert.
Viviane legte mir ihre Hand auf die Schulter. „Ich freue mich sehr, dass du hier bist, Colby. Komm, wir bringen dein Gepäck ins Haus.“
Ich nickte Grandma zu. Sie schien meinen Unmut zu spüren und versuchte mir deshalb umso mehr das Gefühl zu geben, willkommen zu sein.
Im Grunde mochte ich Grandma, auch wenn wir sie kaum sahen. Sie verreiste häufig und weil Mum und sie kein inniges Verhältnis miteinander pflegten, beschränkten sich die Treffen, wenn überhaupt, auf Geburts- und Feiertage. Ich glaube, tief in ihrem Herzen konnte Mum Viviane nicht verzeihen, dass sie niemals die Möglichkeit hatte, ihren Vater kennen zu lernen.
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