Nachdem ich mich meiner Waldkleider entledigt habe, gieße ich mir, in meinen seidenen, roten Bademantel gehüllt, ein Glas Rotwein ein. Ein paar Knöpfe drückend erklingt kurz darauf in der Lautsprecherbox meine Lieblingsmusikliste vom Handy und danach lasse ich mir ein wohlduftendes Schaumbad einlaufen. Derweil das Wasser in die Wanne läuft, füttere ich Thor, der sich gleich freudig über sein Rindfleischmenü hermacht, und so schnappe ich mir lächelnd mein Handy und verziehe mich ins Badezimmer. Sicher haben sich die Nachrichten und verpasste Anrufe mal wieder gestaut. Ich hab seit dem Morgen, als ich zur Beerdigung losfuhr, keinen Blick mehr drauf geworfen. Nun ist es bereits kurz nach acht Uhr, wie ich nach einem ersten Blick aufs Display sehe. Vier verpasste Anrufe und sechs neue Nachrichten werden angezeigt. Na, das geht ja noch …
Als ich entspannt in dem nach rotem Mohn duftenden Badewasser liege, öffne ich die NachrichtenApp und schau mir im Detail an, was alles eingegangen ist. Die vier verpassten Anrufe sind vom Boss, oder wohl eher von seiner Sekretärin. Zwei der Nachrichten sind ebenfalls von ihm. Es sind Sprachnachrichten. Die höre ich mir als Erstes an, scheint ja wichtig zu sein. Er beordert mich am Sonntagabend zum Flughafen, ich soll ihn zu einem Geschäftsmeeting begleiten, das bis Mittwoch dauert. Die Details dazu seien in seiner E-Mail zu finden. Da unser Dienstagabend in diese Zeit fällt, bittet er mich in der zweiten, persönlicheren Nachricht darum, die üblichen Sachen einzupacken. Ich schmunzle und zeichne ihm ebenfalls eine kurze Nachricht auf, in der ich bestätige, dass ich mich Sonntagabend pünktlich zu seiner Verfügung halten werde. Es kommt ab und zu vor, dass er mich kurzfristig als Begleitung für Geschäftsreisen einspannt und da ich frei und flexibel bin, ist es auch kein Problem für mich. Für ganz dringende Fälle habe ich sogar immer ein der Jahreszeit angepasstes und gepacktes Reise-Set bereitstehen.
Die nächste Nachricht ist von Sophia. Eine frühere Schulkollegin und eine der Frauen, mit welchen ich damals im Pub meine Heimkehr gefeiert hatte. Sie fragt, ob ich Lust hätte, morgen Abend mit ihr ein klassisches Konzert zu besuchen. Ihr Freund Sven habe eine Magen-Darm-Grippe aufgelesen und könne nicht mit. Ich schreibe ihr, dass ich mit Sabrina zum Italiener gehe, und empfehle ihr, sich bei Vanessa zu melden. Die mag klassische Musik sowieso viel lieber als ich, was ich aber nicht extra erwähne. Nachrichten Nummer vier und fünf sind von Nick, meinem Anlageberater. Er erinnert mich an unsere fällige halbjährliche Besprechung. In seiner zweiten Nachricht sind ein paar Terminvorschläge für die nächsten Tage und er bittet mich um eine Bestätigung. Ich schreibe ihm, dass ich mich ab nächsten Mittwoch für eine neue Terminvereinbarung melde und leider keinen seiner Vorschläge annehmen könne, da ich ein paar Tage auf Geschäftsreise sei. Nachricht Nummer sechs ist von Sabrina und sehr kurz. Da steht nur „SORRY!!!! Ging nicht anders …“ und dazu das Äffchen-Symbol, welches sich den Mund zuhält. Ich schreibe ein „Wofür denn?“ zurück und will dann das Handy weglegen. Das Wasser wird bereits langsam kalt und ich muss mal raus aus der Wanne. Das Handy vibriert bereits wieder und ich gucke nochmal drauf, vielleicht hat Sabrina ja bereits geantwortet und ich bin neugierig, wofür sie sich entschuldigt.
Die eingegangene Nachricht ist jedoch von einer vom Handy nicht identifizierten Nummer und als ich reingehe, steht da: „Du hast dich nicht von mir verabschiedet!!! Ich denke, dafür schuldest du mir einen Kuss!!!“ Jetzt weiß ich wenigstens, wofür sich Sabrina vorhin entschuldigt hat, denn mir ist natürlich sofort klar, dass Alex hinter dieser Nachricht steckt. Sie muss ihm meine Nummer gegeben haben. Ich weiß noch gut von früher, wie hartnäckig er sein konnte, und rolle, Sabrina gleichzeitig vergebend, mit den Augen, als ich ihm zurückschreibe: „Und ich denke, dass ich niemandem irgendetwas schuldig bin zurzeit.“ Und nach dem Absenden kann ich es nicht sein lassen und schicke extra noch ein: „Wer bist du denn überhaupt, Fremder?“ hinterher. Dann lege ich das Handy endgültig aus der Hand, erhebe mich aus der Wanne und wickle mich in mein flauschiges Badetuch. Das Handy vibriert bereits wieder, aber ich lasse es absichtlich liegen und schminke mich erst mal in aller Ruhe ab, während ich den Rotwein dazu austrinke und grad so laut wie falsch mit der Musik mitsinge. Ich öle meinen Körper großzügig ein, danach ziehe ich mir ein kuschliges Wohlfühlensemble an und mache es mir, mit einem zweiten Glas Wein, auf der Couch bequem. Ein Blick aufs Handy zeigt, dass drei neue Nachrichten warten.
Die erste ist von Sam, dem DRAUFGÄNGER. Er will wissen, ob er Thor später noch abholen dürfe. Er möchte ihn morgen Früh gerne zu einer Wanderung in die Berge mitnehmen. Die beiden mögen sich und es ist nicht das erste Mal, dass Sam darum bittet. Und jedes Mal, wenn ich ein paar Tage weg muss, darf ich ihm meinen geliebten vierbeinigen Freund ebenfalls anvertrauen. Gut, dass er sich meldet! Ich hätte ihn ja eh noch informieren sollen wegen Sonntag. Das hatte ich beinahe vergessen. Ich schreibe ihm zurück, dass Thor sich sicher freuen wird, und schlage ihm vor, ihn gleich bis Mittwochabend bei sich zu behalten. Erzähle ihm vom Meeting und dass ich ein paar Tage wegmuss. Die beiden anderen Nachrichten kommen von Alex. Die erste lautet: „Ich denke, dass du haargenau weißt, wer ich bin.“ Und in der zweiten steht: „Und außerdem gedenke ich, die ausstehende Schuld noch heute Abend einzutreiben!!!“
Was glaubt der Kerl eigentlich, wer er ist! Ich bin doch kein Teenager mehr und lasse mich einfach so zu einem Kuss nötigen! Also schreibe ich umgehend zurück: „Wenn du dich hier blicken lässt, hetze ich dir Thor auf den Hals!!! Das meine ich völlig ernst!“ Noch ehe ich einen Schluck Wein trinken kann, vibriert das Handy erneut und er schreibt: «Wer ist Thor? Wie gefährlich ist der Kerl und womit kann man ihn am besten bestechen?» Ich grinse ungewollt und herzklopfend vor mich hin. Humorvoll war er ja schon immer. Von Sam kommt ebenfalls eine weitere Nachricht. Er schlägt seinerseits vor, Thor gleich bis Donnerstag bei sich zu behalten und ihn dann zu unserem üblichen abendlichen Date heimzubringen. Ich willige ein und danke ihm schon mal. Eine nächste Nachricht von Alex ist ebenfalls eingegangen und da heißt es: „Ignorierst du mich etwa absichtlich, Wildkatze? Ich bin jetzt unterwegs und habe Wurst dabei, falls Thor, wie ich vermute, dein Schoßhündchen ist!“
Jetzt geht er aber zu weit und HALLO?!! Echt?! Thor ein Schoßhündchen!? (Nicht, dass er es nicht auch schon versucht hätte, aber er ist definitiv zu groß dafür!) Ich tippe umgehend zurück: „Thor ist alles andere als ein Schosshund und zudem gut abgerichtet!! Aber er hatte bereits Abendessen, also steck dir deine Wurst sonst wohin und geh wieder heim, falls du tatsächlich unterwegs bist!“ Ich bin mir ziemlich sicher, dass Alex sowieso bloß blufft und sich einen Spaß erlaubt, das würde zu ihm passen. Ich kraule grad Thor hinter den Ohren und erzähle ihm, dass Sam ihn nachher abholen wird und dass Frauchen ein paar Tage weg muss. Und als es auch gleich kurz darauf bereits klingelt, sage ich: „Siehst du, da ist Sam ja schon.“ Wir machen uns beide auf den Weg zur Tür, wobei Thor bereits aufgeregt mit dem Schwanz wedelt und vorfreudig jault. Ich bin überzeugt, dass er viel von dem versteht, was ich ihm sage, und beim Namen Sam spitzt er eh immer freudig die Ohren.
Als ich die Haustüre öffne, steht jedoch Alex vor mir. Ich bin überrascht und vorübergehend sprachlos. Thor schaut mit schräg gehaltenem Kopf prüfend zwischen Alex und mir hin und her. Schätzt ab, ob Gefahr in Verzug ist, wie jedes Mal, wenn er jemandem begegnet, den er noch nicht kennt. Da ich jedoch keine Angstgefühle ausstrahle, unterlässt er ein Knurren. „Der Schuldeneintreiber ist da!“, sagt Alex gut gelaunt und locker lächelnd. Und danach zu Thor gerichtet, während er sich gleichzeitig in die Hocke auf dessen Augenhöhe begibt: „Und du musst Thor sein.“ Er hält ihm seine Hand hin, damit dieser ihn beschnuppern kann, und fährt fort: „Du bist aber ein hübscher und gut gebauter Kerl, magst du zufälligerweise Wurst?“
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