Mehr zur höheren Berufsbildung und zu den Hochschulen in den Kapiteln 29 und 30
Am 1. Januar 1980 trat die 1978 verabschiedete Version der BBG in Kraft. Am 9. März 1998 beginnen die Arbeiten an der nächsten Revision des Gesetzes. Dazwischen ist in der Schweizer Berufsbildung mehr geschehen als in den 50 Jahren davor.
Zwei Revisionen der Bundesverfassung wirken sich aus: 1981 wird sie durch den Gleichstellungsartikel ergänzt. Es dauert zwar 15 Jahre, bis er in einem Gesetz umgesetzt wird, doch in der Zwischenzeit tut sich in der Berufsbildung bereits einiges, unter anderem im Rahmen der Weiterbildungsoffensive, siehe hier. 1999 wird die Regelungskompetenz des Bundes auf alle Bereiche der nichtakademischen Berufsbildung ausgeweitet, was sehr viel verändert, siehe hier.
Frauen in der Berufsbildung, thematisiert in Kapitel 17
Grosse Auswirkungen haben auch die Veränderungen in der Arbeitswelt. Die Schweiz erlebt in diesen zwanzig Jahren zwei Rezessionen mit einer Jugendarbeitslosigkeit von bis zu 6 Prozent und dazwischen eine Hochkonjunktur mit grossem Arbeitskräftemangel. Gleichzeitig veränderten sich die Strukturen der Wirtschaft: Von 1975 bis 1995 sinkt der Anteil der Arbeitenden im Sekundärsektor von 40 Prozent auf 27 Prozent. Die Hälfte aller Uhrenfirmen schliessen als Folge des Aufkommens elektronischer Uhren. Die Fusion von SSIH und ASUAG steht für den Start eines neuen Aufschwungs, realisiert durch Elektronik, neue Fertigungstechnik und neues Marketing. [1983h]
Abbildung 11Akademische Bildung als Basis für die Erwerbstätigkeit (Wandbild in der ETHZ)
Numerisch gesteuerte Werkzeugmaschinen und die Automatisation verändern die Arbeitsprozesse in der MEM-Industrie tiefgreifend: Unter den Schlagwörtern «lean production» und «just in time production» revolutionieren japanische Formen der Arbeitsorganisation weite Teile der Industrie. Die Arbeitenden bekommen mehr Gestaltungsspielraum bei der Arbeit, müssen aber mehr Verantwortung für deren Resultate übernehmen. [1990d] Dies stellt neue Anforderungen an sie, auf die besonders die MEM-Industrie mit neuen Ausbildungskonzepten reagiert, siehe hier.
Abbildung 12Mit der Einführung des IBM PC erobert die «Elektronische Datenverarbeitung» auch die Büros. Schreibmaschinen, Rechenmaschinen, Diktiermaschinen und Buchhaltungsmaschinen werden abgelöst (Keystone Press/Alamy Stock Foto)
Informations- und Kommunikationstechnik als neue Möglichkeit und neue Anforderung
Die Miniaturisierung der Elektronik führt zu neuen Möglichkeiten der Datenverarbeitung. In zwei «Impulsprogrammen» 1978−1982 und 1983−1987 wird die Informationstechnologie an Hochschulen und an Ingenieurschulen gefördert und die Ausbildung von Softwareingenieuren durch die Schaffung der «Softwareschule Schweiz» ermöglicht. [1978e] 1981 wird breiten Kreisen bewusst, dass Computer und Datenverarbeitung auch ihre eigene Tätigkeit verändern werden, denn in diesem Jahr bringt IBM mit massiver Werbung den «PC» auf den Markt.
An den kaufmännischen Berufsschulen wird 1974 «EDV» zum obligatorischen Schulfach. Die Träger der gewerblich-industriellen Berufslehren folgen erst zehn Jahre später: 1984 wird Computertechnik Teil der Elektronikerausbildung. [1967e; 1984c] Zu dieser Zeit wird auch deutlich, das IKT-Kenntnisse zu den Basisqualifikationen gehören: 1985 werden die Berufsschulen angewiesen, allen Lehrlingen in zwanzig Lektionen die Grundlagen der IT zu vermittelt, wozu das BIGA ein multimediales Unterrichtsprogramm entwickeln lässt. [1985a]
Mehr zur IKT in der Berufsbildung in Kapitel 26, zur Weiterbildung in Kapitel 31
«Weiterbildungsoffensive»
Die oben erwähnten Veränderungen der Arbeitswelt verlangen nach Weiterbildung der Arbeitenden. Im Jahr 1989, noch während der Hochkonjunktur, schlägt der Bundesrat «Sondermassnahmen zugunsten der beruflichen und universitären Weiterbildung sowie zur Förderung neuer Technologien im Fertigungsbereich (CIM)» vor, um den Mangel an Schweizer Fachkräften zu mildern. [1990b] Im Rahmen der sogenannten Weiterbildungsoffensive werden für die berufliche Weiterbildung 150 Mio. Fr. vorgesehen, verteilt auf sechs Jahre. Damit sollten in erster Linie die Höheren Fachschulen (Ingenieurschulen) gefördert werden. Erwähnt werden aber auch die Weiterbildung gelernter Berufsleute (Vorbereitung auf Berufs- und Höhere Fachprüfungen), die Weiterbildung von Lehrpersonen an Berufsschulen, die Nachholbildung für Ungelernte und der Wiedereinstieg von Frauen. [1990b]
Massnahmen für Stellenlose
Bildung wird bereits in den 1930er-Jahren und dann wieder nach dem «Ölschock» 1973 als Hilfsmittel zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit eingesetzt. Unter anderem wird ab 1983 ein modulares System zur Förderung von Informatikkenntnissen realisiert. [1983c] Auf dieser Basis und auf Massnahmen zur Standortbestimmung werden ab 1991, zu Beginn der zweiten grossen Arbeitslosigkeit des Jahrhunderts, Bildungsmassnahmen im breiten Stil angeboten, basierend auf Bestimmungen des Arbeitslosenversicherungsgesetzes. Träger sind grossenteils neu geschaffene Bildungsinstitutionen. Die etablierten Anbieter von beruflicher Aus- und Weiterbildung (Berufsschulen, Lehrwerkstätten, Handelsmittelschulen) beteiligten sich wenig daran. Es entsteht ein eigenes Bildungssystem mit wenig Kontakten zur Berufsbildung nach BBG, was der Durchlässigkeit abträglich ist. (Wiebel 1997) [BG-Arbeitsmarkt; AMM]
Die politische Linke steht der Berufslehre immer wieder kritisch gegenüber. Unter anderem hat das mit der Tatsache zu tun, dass im Gegensatz zum öffentlich-rechtlichen Bildungssystem Unternehmen bestimmen, wie viele Ausbildungsplätze zur Verfügung stehen. 1982 wurde die eidgenössische Volksinitiative «Für eine gesicherte Berufsbildung und Umschulung» eingereicht. Mit der Einrichtung von Lehrwerkstätten und anderen Ausbildungsstätten, finanziert von den Arbeitgebern und der öffentlichen Hand, sollte eine ausreichende Zahl von Ausbildungsplätzen sichergestellt werden. Die dazu notwendige Ergänzung der Bundesverfassung wird vom Volk 1986 abgelehnt, genau wie ähnlich lautende Vorstösse auf kantonaler Ebene. [1982a] 1999 wird die «Lehrstellen-Initiative» eingereicht, lanciert von der Jugendorganisation des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes. Verlangt wird ein Recht auf eine ausreichende berufliche Ausbildung. Dazu sollten Bund und Kantone für ein genügendes Angebot im Bereich der beruflichen Ausbildung sorgen, finanziert über einen von allen Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern gehäuften Berufsbildungsfonds. 2003 wird auch diese Volksinitiative abgelehnt. [1999f]
Rückgang der Lehrlingszahlen, gefolgt von Lehrstellenmangel
Grafik 1(siehe hier) zeigt es: Erstmals in diesem Jahrhundert gehen die Lehrlingszahlen zwischen 1985 und 1995 längere Zeit und in grösserem Ausmass zurück, um rund 40 000 Berufslernende. Tabelle 1gibt Hinweise auf die Gründe: Es gibt 60 000 Jugendliche im Alter von 15 bis 18 Jahren weniger und 10 000 Schülerinnen und Schüler mehr an allgemeinbildenden Schulen der Sekundarstufe II. Der Rückgang der Lehrlingszahlen hat also einerseits demographische Gründe, anderseits ist er eine Folge der Bevorzugung der Mittelschulen. Letzteres beunruhigt die Vertretungen der Berufsbildung.
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