Bezogen auf den Begriff der relationalen Newness führt die Vermengung referentieller und relationaler Perspektiven sogar zu einem konzeptionellen Widerspruch. Dies wird deutlich, wenn wir das Konzept der relationalen Newness auf das Beispiel Reinharts anwenden, das hier der Übersicht halber noch einmal aufgeführt ist:
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A: Who did Felix praise? |
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B: Felix praised HIMSELF. |
Wenn wir relationale Newness, analog zur relationalen Givenness, auf den Diskursreferenten beziehen und sagen, der Referent von himself – dem aufgrund des vorausgesetzten Fragekontextes ja auch Topikstatus zukommen soll – sei in relationaler Hinsicht neu, dann hat das zur Konsequenz, diesem Diskursgegenstand (aktuell) sowohl Topik- als auch Fokus-Status zuschreiben zu müssen.
Bedeutet dies nun, dass Reinharts Skepsis gegenüber referenzorientierten Explikationen doch berechtigt ist? Zumindest kann bis hierhin festgehalten werden, dass Gundels Unterscheidung zwischen referentieller und relationaler Givenness bzw. Newness offensichtlich nicht dazu in der Lage ist, Reinharts Beispiel widerspruchsfrei zu analysieren. Dass Gundels Unterscheidung an Reinharts Beispiel scheitert, liegt allerdings weniger an ihrer unscharfen Bestimmung der Aboutness-Relation, sondern vielmehr daran, dass die Vermengung referentieller und relationaler Perspektiven unausgesprochen auch ihrem Begriff der relationalen Newness zugrunde liegt. Dies muss zu widersprüchlichen Status-Zuschreibungen führen, solange unklar bleibt, worüber Fokussiertheit ausgesagt wird und der Fokus-Begriff unausgesprochen auch auf die Referenten fokussierter Ausdrücke bezogen ist. Schauen wir uns nun an, welche Lösung sich in Lambrechts Ansatz (vgl. Lambrecht 1994) für dieses Problem findet.
3.4 Lambrecht: Topik-Relation vs. Fokus-Relation
Was den Topik-Begriff anbelangt, so weist Lambrechts Explikation zunächst deutliche Parallelen zu Gundels Ansatz auf:
A referent is interpreted as topic of a proposition if in a given situation the proposition is construed as being about this referent, i.e. as expressing information which is relevant to and which increases the addressee’s knowledge of this referent. (Lambrecht 1994, 131)
Die Nähe zu Gundels Topik-Bestimmung zeigt sich nicht nur im z.T. gleichen Wortlaut, sondern vor allem darin, dass Lambrecht ebenso wie Gundel für einen Topik-Begriff optiert, der auf den Referenten bezogen ist. Lambrechts Bestimmung gelingt es jedoch, die Unschärfe in Gundels Bestimmung zu vermeiden, indem er Aboutness als Relation zwischen Diskursreferent und Proposition expliziert und so eine ‚Lesarten‘-Deutung nahelegt.
Der entscheidende konzeptionelle Unterschied besteht jedoch im Folgenden: Lambrecht bestimmt die Topik-Kategorie zwar ebenso wie Gundel als Statuskategorie für Diskursreferenten; anders als Gundel deutet er die Aboutness-Relation selbst jedoch nicht als „partition of the semantic/conceptual representation of a sentence into two complementary parts“ (vgl. oben, Gundel/Fretheim 2004, 177). Dies wird deutlich, wenn wir uns Lambrechts Fokus-Definition anschauen, die – anders als seine Topik-Bestimmung – explizit nicht -referentiell formuliert ist: Lambrecht bestimmt Fokus intensional als „the semantic component of a pragmatically structured proposition whereby the assertion differs from the presupposition“ (Lambrecht 1994, 213). Hieraus ergibt sich der wesentliche Unterschied zu Gundels Ansatz, denn das, was innerhalb der „pragmatically structured proposition“ die Komplementär-Komponente zur „pragmatic assertion“ bildet, ist nicht das Topik, sondern die „pragmatic presupposition“ (vgl. Lambrecht 1994, 52).
Insofern ist Gundels Verständnis der relationalen Version ihrer Given/New-Unterscheidung als „partition of the semantic/conceptual representation of a sentence into two complementary parts“ eher mit Lambrechts Aufgliederung der „pragmatically structured proposition“ in „pragmatic presupposition“ und „pragmatic assertion“ vergleichbar, und nicht mit seiner Topik/Fokus-Unterscheidung. Topik und Fokus stellen für Lambrecht keine Komplementärkategorien dar, sondern bilden jeweils eigenständige Relationen aus, die nicht miteinander deckungsgleich sind: Die Topik-Relation ist als Relation zwischen Topik-Referent und Proposition im Sinne der Aboutness definiert. Die Fokus-Relation ist demgegenüber propositions intern verortet und erwächst aus der Differenz zwischen „pragmatic presupposition“ und „pragmatic assertion“. Ebendies ist der Grund dafür, dass Lambrecht Topik und Fokus nicht als Komplementärkategorien konzipiert. Fokus steht nicht in Relation zum Topik, sondern – ebenso wie das Topik – in Relation zur Proposition:
Thus when we say that [a] phrase […] is the focus [of a sentence] what we mean is that the denotatum of this phrase stands in a pragmatically construed relation to the proposition such that its addition makes the utterance of the sentence a piece of new information. (Lambrecht 1994, 210)1
Ein weiterer Punkt kommt hinzu: Die Aboutness-Relation – bzw. in Lambrechts Terminologie: die Topik-Relation – gilt lediglich für einen bestimmten Typ „pragmatischer Gliederungen“ ( pragmatic articulations ), der von anderen, davon abgrenzbaren Typen zu unterscheiden ist. Lambrecht erläutert die verschiedenen Typen anhand des Beispielsatzes „Die Kinder sind in die Schule gegangen“ (vgl. Lambrecht 1994, 121ff.). Wenn der Satz etwa als Antwort auf die Frage danach fungiert, was die Kinder getan haben, liegt eine sogenannte Topik/Kommentar-Gliederung vor: Die Kinder sind aktuelles „center of interest“ im Sinne Strawsons und stehen in Aboutness-Relation zu der durch den Satz ausgedrückten Proposition, dass sie in die Schule gegangen sind.2 Eine solche Frage-Antwort-Konstellation ist zu unterscheiden von dem Fall, in dem der Satz eine Antwort auf die Frage darstellt, wer in die Schule gegangen ist. Den dieser Konstellation zugeordneten Typ nennt Lambrecht Argumentfokus-Gliederung.3 In diesem Fall sind die Kinder nicht Topik, sondern die auf die Kinder referierende NP die Kinder bildet den Argumentfokus-Ausdruck und gehört zur ‚pragmatic assertion‘, die sich abgrenzen lässt von der hier zugrundeliegenden ‚pragmatic presupposition‘, dass jemand in die Schule gegangen ist.4
Der Unterschied zur Topik/Kommentar-Gliederung besteht nicht nur darin, dass die Kinder keinen Topikstatus haben; Lambrecht stellt heraus, dass der Satz innerhalb einer solchen Frage-Antwort-Konstellation überhaupt kein Topik hat, da sich das hier präsupponierte Hörer-Wissen, dass jemand in die Schule gegangen ist, im Rahmen der Argumentfokus-Gliederung nicht als ‚Gegenstand‘ des Diskurses im Sinne der Aboutness begreifen lässt, d.h. als Gegenstand, über den ausgesagt wird, dass die Kinder es sind, die in die Schule gegangen sind.5
Dieser Punkt berührt den wesentlichen Unterschied zu den anderen diskutierten Deutungen der Aboutness-Relation: Dadurch, dass Lambrecht die Topik/Kommentar-Gliederung als einen spezifischen Typ begreift, der von anderen Typen pragmatischer Gliederungen zu unterscheiden ist, geht die Aboutness-Relation nicht mehr in der Unterscheidung von Präsupposition und Assertion auf. Das heißt, das Verhältnis des Präsupponierten zum Assertierten lässt sich dann nicht mehr allgemein im Sinne der Aboutness-Relation deuten – so wie es etwa bei Strawson der Fall ist, dessen Verhältnis von ‚ignorance-presumption‘ und ‚knowledge-presumption‘ allgemein auf ein bestimmtes aktuelles ‚center of interest‘ abzielt, oder wie es Gundel macht, wenn sie Topik und Fokus als allgemein geltende „partition of the semantic/conceptual representation of a sentence into two complementary parts“ begreift, die zueinander in einer Aboutness-Relation stehen.
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