Literarische Mehrsprachigkeit im österreichischen und slowenischen Kontext

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Die Erforschung literarischer Mehrsprachigkeit befindet sich in einer Phase der Konsolidierung, aber auch zunehmender theoretischer, methodologischer und kontextueller Diversifikation. Vor dem Hintergrund des zu Einsprachigkeit tendierenden Literaturbetriebs erörtern die Beiträge grundlegende literatursystemische und gesellschaftliche Fragen sowie neue konzeptuelle Zugänge zu kleinen, minoritären, überregionalen, polyphonen, migrantischen oder transkulturellen Literaturen. Zum anderen beleuchten sie anhand von Texten minoritärer oder migrierter Autor*innen wie Florjan Lipu, Peter Handke, Vladimir Vertlib, Tomer Gardi, Goran Vojnovi, Josip Osti, Ivan Tavar, Fulvio Tomizza, Diego Runko, Ada Christen und Zofka Kveder unterschiedliche Formen und Funktionen literarischer Ein- und Mehrsprachigkeit mit Fokus auf den österreichischen und slowenischen Kontext einschließlich Friaul-Julisch Venetiens und Istriens. Die Publikation richtet sich gleichermaßen an ein interessiertes Fachpublikum wie an Unterrichtende und Studierende.

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Literarische Mehrsprachigkeit im österreichischen und slowenischen Kontext

Alenka Koron / Andreas Leben

Narr Francke Attempto Verlag Tübingen

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© 2019 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG

Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen

www.narr.de• info@narr.de

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

ISBN 978-3-7720-8676-2 (Print)

ISBN 978-3-7720-0097-3 (ePub)

Vorwort

Der vorliegende Band geht auf die Tagung „Literarische Mehrsprachigkeit in Österreich und Slowenien“ zurück, die im April 2018 vom Institut für Slawistik der Universität Graz in Kooperation mit dem Wissenschaftlichen Forschungszentrum der Slowenischen Akademie der Wissenschaften und Künste (ZRC SAZU) in Graz veranstaltet wurde. Anlass für das Zusammentreffen von in Deutschland, Italien, Luxemburg, Österreich und Slowenien tätigen Forscherinnen und Forschern war das vom Fonds zur Förderung der Wissenschaft finanzierte Projekt „Die zweisprachige literarische Praxis der Kärntner Slowenen nach der Einstellung des mladje (1991) und ihre Position im überregionalen literarischen Interaktionsraum“, dessen Gegenstand nicht nur die Literatur der slowenischen Minderheit in Kärnten war, sondern Literatur jedweder Provenienz, die in einem rezeptiven, partizipativen oder produktiven Verhältnis zu dieser Literatur und ihren Produktionsweisen steht. Ziel der Tagung war es, den methodischen Zugang und erste Projektergebnisse im erweiterten Kontext aktueller slowenistischer, germanistischer und romanistischer literaturwissenschaftlicher Mehrsprachigkeitsforschung zu erörtern. Den Ausgangspunkt bildeten mit Österreich und Slowenien jene beiden Länder, auf die sich im Wesentlichen auch der im Projekt untersuchte Interaktionsraum erstreckt. Durch diesen Bezug sollte nicht nur ein diskursiver Rahmen für die Diskussion und den Vergleich mehrsprachiger literarischer Praxen bei minoritären und/oder migrierten Autorinnen und Autoren umrissen werden, vielmehr ging es auch darum, die behandelten Themen in ein Spannungsverhältnis zu den in beiden Ländern vorherrschenden monolingualen Paradigmen und den damit verbundenen Problemfeldern zu setzen. Die Engführung zweier konkreter staatlicher bzw. nationaler Zusammenhänge und die Notwendigkeit, diese ständig durchbrechen zu müssen, erwies sich für die Diskussion theoretischer Konzeptionen und Modelle wie auch für die Auseinandersetzung mit Formen und Funktionen literarischer Mehrsprachigkeit als überaus erhellend. Für den gegenständlichen Band konnte das Spektrum der auf der Tagung behandelten Fragestellungen wesentlich erweitert werden: zum einen dank der Kolleginnen und Kollegen, die an der Tagung persönlich nicht teilnehmen konnten, jedoch von Anfang an in das Buchprojekt eingebunden waren; zum anderen dank jener Beiträge, die auf Anfrage eigens für diese Publikation verfasst wurden und vor allem den Blick auf die ‚kakanische‘ Dimension literarischer Mehrsprachigkeit im österreichischen und slowenischen Kontext vertiefen.

Dass gut ein Jahr nach einer Konferenz auch schon die dazugehörige Publikation nachgereicht werden kann, ist keine Selbstverständlichkeit. Möglich gemacht haben dies zu allererst die Beitragenden sowie die Übersetzerinnen und Übersetzer, die sich alle an die relativ straffen Zeitvorgaben gehalten haben, wofür wir ihnen als Herausgeberin und Herausgeber herzlich danken möchten. Gedankt sei an dieser Stelle der Università degli Studi di Trieste und den anderen Förderern, die Mittel für die Übersetzung einzelner Beiträge bereitgestellt haben, Claudia Mayr-Veselinović für ihre tatkräftige Mitarbeit bei der Organisation der Tagung und der redaktionellen Betreuung der Texte sowie Rolf Parr und Till Dembeck, die uns die Möglichkeit eröffnet haben, den Band in der Reihe „Literarische Mehrsprachigkeit/Literary Multilingualism“ zu publizieren. Unser besonderer Dank gilt schließlich der Universität Graz und dem Wissenschaftlichen Forschungszentrum der Slowenischen Akademie der Wissenschaften und Künste für die großzügige Förderung des Gesamtprojekts, das im Herbst dieses Jahres mit dem Erscheinen der slowenischen Fassung dieses Bandes im Verlag ZRC SAZU seinen vorläufigen Abschluss finden wird.

Graz und Ljubljana, Mai 2019 Andreas Leben und Alenka Koron

Auf dem Weg zu literarischer Mehrsprachigkeit

Andreas Leben (Graz), Alenka Koron (Ljubljana)

Mit seiner Themensetzung, der literarischen Mehrsprachigkeit im österreichischen und slowenischen Kontext, positioniert sich der vorliegende Band an einer Schnittstelle slawistischer, germanistischer, romanistischer und komparatistischer Forschung. Länder-, regionen- und sprachenübergreifende Vergleiche sind im literaturwissenschaftlichen Feld gewiss keine Seltenheit, sie zielen in der Regel jedoch auf Fragestellungen ab, die eine eingehendere Befassung mit den dahinterstehenden nationalen literarischen Systemen nicht unbedingt erforderlich machen. Eben diese Absicht liegt den hier versammelten Beiträgen zugrunde, die ausgehend von den heutigen literarischen Verhältnissen die Rahmenbedingungen literarischer Mehrsprachigkeit, aber auch das Neben- und Miteinander mehrsprachiger Literaturen anhand zweier nationaler bzw. staatlicher Gebilde, nämlich Österreich und Slowenien, aufeinander beziehen. Die beiden Nachbarländer scheinen für einen solchen Zugang nicht nur aufgrund zahlreicher historischer, politischer und kultureller Gemeinsamkeiten und Verwerfungen besonders geeignet, sondern auch weil sie trotz ihrer gewachsenen sprachlichen Vielfalt auch ein Beispiel für die Wirkmächtigkeit homogenisierender nationaler Ideen sind. Monolinguale Nationalliteraturen mögen in der Tat „eine allenfalls pragmatisch zu rechtfertigende Fiktion“ (Schmitz-Emans 2004: 11) sein, nichtsdestoweniger ist hier die Hegemonie des Deutschen, dort die Hegemonie des Slowenischen nicht zu übersehen, weshalb der Blick auf Minderheiten-, Migrations- anderssprachige oder mehrsprachige Literaturen in beiden Ländern lange Zeit verdeckt blieb. Einleitend sei daher zumindest skizzenhaft auf die Entstehung und die Auswirkungen dieser hegemonialen Verhältnisse eingegangen, die sowohl für die mehrsprachige literarische Produktion als auch für die literaturwissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesem Phänomen von maßgeblicher Bedeutung sind, die aber signifikante Unterschiede aufweisen.

Im Allgemeinen kann festgehalten werden, dass der Literatur im slowenischen Zusammenhang eine ungleich höhere identitätsstiftende nationale Funktion zugeschrieben wird, als dies in Österreich der Fall ist, dennoch darf die Bedeutung von Literatur für die Herausbildung und Entwicklung des heutigen Österreich-Bewusstseins nicht unterschätzt werden. Erst mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, als sich das politische Österreich in Anlehnung an die Moskauer Deklaration als ‚erstes‘ Opfer der nationalsozialistischen Aggression zu verstehen begann (vgl. Uhl 2001), löste man sich von der Idee der Zugehörigkeit zur ‚deutschen Sprachnation‘, bis sich schließlich in den 1970er Jahren die Vorstellung von Österreich als einer souveränen Staatsnation mit eigener Identität mehrheitlich etablierte (vgl. Bruckmüller 1998). In fortschreitender Abgrenzung von Deutschland kam es auch zu einer „Nationalisierung des literarischen Feldes“ (Sievers 2016: 23–30), die insbesondere die literarischen Strukturen betraf, von denen viele in den 1970er und 1980er Jahren neu geschaffen wurden. Auch die österreichische Germanistik begann den Staat nun als eigenen Literaturraum zu begreifen (vgl. Zeyringer 1995: 42–53), wobei der Fokus ganz auf der deutschsprachigen Literatur zu liegen kam, obwohl eingeräumt wurde, „daß es hier auch Literatur in mehreren Sprachen zu betrachten gilt“ (Schmidt-Dengler/Zeyringer 1995: 16). Auch der durchschlagende Erfolg des von Peter HandkeHandke, Peter und Helga MračnikarMračnikar, Helga ins Deutsche übertragenen Romans

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