Patrick Wolf-Farré / Katja F. Cantone / Anastasia Moraitis / Daniel Reimann
Sprachkontrast und Mehrsprachigkeit
Linguistische Grundlagen, didaktische Implikationen und Desiderata
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© 2021 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG
Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen
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ISSN 2199-1340
ISBN 978-3-8233-8349-9 (Print)
ISBN 978-3-8233-0254-4 (ePub)
Patrick Wolf-Farré, Katja F. Cantone, Anastasia Moraitis, Daniel Reimann
Im Mittelpunkt des Sammelbandes steht die kontrastive Linguistik als eine der Subdisziplinen der vergleichenden Sprachwissenschaft. Im Vergleich ergeben sich Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Sprachen, im Vergleich öffnen sich Zugänge zur eigenen und fremden Sprache und im Vergleich lassen sich sprachliche und kulturelle Grenzen erkennen und somit überwinden. Dabei kann sich eine erste Annäherung auf theoretischer Ebene vollziehen. Werden zwei Sprachen gegenübergestellt, dann lassen sich – basierend auf typologischen Klassifikationen – sprachspezifische Eigenschaften wie morphosyntaktische Konstruktionen herausarbeiten. In unterrichtlichen Kontexten können die erkannten Unterschiede gegebenenfalls Prognosen über potenzielle Schwierigkeiten bei der Aneignung einer Sprache vor dem Hintergrund einer typologisch differenten Sprache ermöglichen.
Nachdem Mehrsprachigkeit als Thema im didaktischen Diskurs nahezu allgegenwärtig erscheint, ist die Forderung nach der Berücksichtigung, Sichtbarmachung oder Förderung anderer Sprachen als der Deutschen im schulischen Alltag nach wie vor von hoher Aktualität. Während aber Sprachkontrastivität in ihrer Bedeutung für den Spracherwerb in der Fremdsprachenforschung viel diskutiert wurde und mitunter noch wird, offenbaren Schulbuchanalysen einen Mangel an Anwendungsmöglichkeiten von Sprachvergleichen in der Unterrichtspraxis (im Deutschunterricht wie auch im Fremdsprachenunterricht). Angesichts der Tatsache, dass von Seiten der schulischen Curricula entsprechende Inhalte gefordert werden, ist diese Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis kritisch zu betrachten. Hinzu kommt, vielleicht auch als Folge dieses Mangels, dass seitens der angehenden Lehrkräfte sprachkontrastive Arbeit im Unterricht häufig als gute Idee angesehen wird, die aber nur sehr schwer umzusetzen ist.
Es gilt das Dilemma zu überwinden, das zwischen den Vorgaben der schulischen Curricula einerseits – nämlich mehrsprachigkeitssensibel im Unterricht zu agieren – und dem Mangel didaktisch adäquater und den Unterricht unterstützender Materialien andererseits besteht. Die entscheidende Frage lautet daher: Wie kann sprachvergleichende Arbeit im Sprachenunterricht implementiert werden, ohne die Lernenden, aber auch ohne die Lehrenden zu überfordern? In einer von Mehrsprachigkeit und sprachlicher Vielfalt geprägten Gesellschaft ist die Beantwortung dieser Frage mehr als dringlich.
Das vorliegende Werk, das besonders Studierende des Lehramts im Blick hat, will erste Schritte zur Beantwortung dieser Frage gehen. Es vereint Ansätze aus der Germanistik, Romanistik und Deutsch als Zweitsprache / Deutsch als Fremdsprache mit kultursoziologischen, fachdidaktischen und mehrsprachigkeitsforschenden Blickwinkeln. Dabei werden Forschungsperspektiven aus Deutschland, der Schweiz, Griechenland, Italien und Spanien gebündelt, die dazu beitragen möchten, genau die Lücke zwischen theoretischem Diskurs und praktischer Umsetzung wissenschaftsbasiert zu schließen. Alle Beiträge sind aus einer Ringvorlesung hervorgegangen, die im Sommersemester 2019 in Kooperation der Institute für DaZ/DaF und Romanistik an der Universität Duisburg-Essen stattgefunden hat. Diese Veranstaltungsreihe verfolgte gleich zwei Ziele: Zunächst sollte sie die Studierenden auf möglichst praxisnahe Weise an die sprachkontrastive Arbeit heranführen. Weiterhin sollte speziell die naheliegende Verbindung zwischen den Themen der Mehrsprachigkeit im Unterricht und dem Sprachvergleich herausgearbeitet werden.
Wir möchten an dieser Stelle dem Dekan der Fakultät für Geisteswissenschaften an der Universität Duisburg-Essen, Herrn Prof. Dr. Dirk Hartmann, herzlich für die Finanzierung danken, wodurch die Veröffentlichung ermöglicht wurde. Ebenfalls danken wir der Kommission zur Qualitätsverbesserung in Lehre und Studium, welche die Ringvorlesung mit Mitteln unterstützt und uns damit den internationalen und interdisziplinären Austausch ermöglichte hatte, der die Grundlage für dieses Werk darstellt. Unser Dank gilt auch den studentischen und wissenschaftlichen Hilfskräften Monique Grüter, Sebastian Wolf und Sarah Schiffbäumer, die uns bei der Arbeit an diesem Sammelband tatkräftig unterstützt haben.
Die Beiträge des vorliegenden Bandes unterlagen einem je zweifachen, doppelt-blinden Peer-Review-Verfahren. So sei an dieser Stelle allen externen Gutachterinnen und Gutachtern, die mit ihrer Expertise zur Veröffentlichung dieses Buches beigetragen haben, für ihre Zeit und ihren kritischen Blick besonders gedankt.
I. Grundlagen
Sprachkontrast und Mehrsprachigkeit
Linguistische Grundlagen, didaktische Implikationen und Desiderata
Anastasia Moraitis
Die Bildungs- und Schulpolitik hat ein besonderes Interesse daran, das Bewusstsein für Mehrsprachigkeit in den Schulklassen zu schärfen und zu fördern. Mit Blick auf die philologischen Fächer werden laut den curricularen Vorgaben von den Lernern umfangreiche Kompetenzen erwartet, die für das Erreichen einer dem Schulabschluss adäquaten Ausbildung bindend sind. Zur Ausbildung gehört auch, empathisch motivierte Begegnungen mit verschiedenen Herkunftssprachen zu ermöglichen und zu fördern. Für Schulen – bspw. in Nordrhein-Westfalen – wurde daher festgelegt: „Dem Deutschunterricht kommt für das sprachliche Lernen in allen Fächern orientierende Funktion zu […]. Kinder und Jugendliche anderer Herkunftssprachen können aus ihren Erfahrungen der Mehrsprachigkeit einen Beitrag zur vertieften Sprachkompetenz und Sprachbewusstheit leisten“ (cf. KLP 2004, 11). Mit Beendigung der Jahrgangsstufe 9/10 an einer Realschule sollten Schülerinnen und Schüler über eine hohe Reflexionskompetenz verfügen: „Sie reflektieren ihre Kenntnis der eigenen Sprache und ihre Bedeutung für das Erlernen von Fremdsprachen. (Mehrsprachigkeit zur Entwicklung der Sprachbewusstheit und zum Sprachvergleich nutzen)“ (cf. KLP 2004, 41). Mit Beendigung der Sekundarstufe I am Gymnasium haben die Lerner sich mit Mehrsprachigkeit als individuellem und gesellschaftlichem Phänomen beschäftigt (cf. KLP 2019, 31). Ähnliches gilt auch für das Fach Deutsch an Hauptschulen am Ende der Doppeljahrgangsstufen 5/6, 7/8 und 9/10 (cf. KLP 2011, 19, 23, 28). Die Vermittlung von fachspezifischen Inhalten sowie die Bezugnahme auf Themen zur Förderung sog. soft skills obliegt den Lehrkräften. Von ihnen sind folglich neben fundierten einzelsprachlichen Kompetenzen auch Grundkenntnisse über sprachwissenschaftliche Themen zu erwarten.
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