To look at language as a practice is to view language as an activity rather than a structure, as something we do rather than a system we draw on, as a material part of social and cultural life rather than an abstract entity. (Pennycook 2010: 2)
Diese Position führte u.a. dazu, im deutschen Sprachraum von „Sprachlichkeit“ bzw. auch von „SpracherlebenSpracherlebnis“ (Busch 2013: 18ff.) zu sprechen und stärker in den Blick zu nehmen, wie Menschen – und zwar individuell wie auch kollektiv – Bedeutung und Bedeutungssysteme konstruieren, inszenieren oder erzählen. Die Lernenden werden als sinnstiftende, reflektierende und sich erinnernde Wesen verstanden (vgl. Hu 2013). Im englischsprachigen Raum spricht man zunehmend auch von „LanguagingLanguaging“ (Swain 2006), betont also durch die verbale Form den Handlungscharakter von Sprache.
Eine zweite wichtige Dimension dieses soziokulturellen Verständnisses von Sprache bzw. SprachlichkeitSprachlichkeit in Lehr-Lernzusammenhängen betrifft die Idee des Sprachenrepertoires. Mit Rückgriff auf Gumpertz (1964) und Bakhtin (1981) wird SprachenrepertoireSprachenrepertoire z.B. bei Busch folgendermaßen definiert (2013: 20):
Das Repertoire wird als Ganzes begriffen, das jene Sprachen, Dialekte, Stile, Register, Codes und Routinen einschließt, die die Interaktion im Alltag charakterisieren. Es umfasst also die Gesamtheit der sprachlichen Mittel, die Sprecher_innen einer SprachgemeinschaftSprachgemeinschaft zur Verfügung stehen, um (soziale) Bedeutungen zu vermitteln.
Dieses Konzept ist der bislang eingebürgerten Vorstellung von MonolingualismusMonolingualismus diametral entgegengestellt, da es die scharfen Trennungen zwischen Ein- bzw. ZweisprachigkeitZweisprachigkeit/Bilingualismus wie auch generell die Vorstellung von klar voneinander abgrenz- und zählbaren Sprachsystemen (L1, L2) aufbricht und auf grundsätzlich vorhandene „heteroglossische RessourcenRessourcenheteroglossische“ verweist (↗ Art. 2).
Ein dritter wichtiger Aspekt betrifft den Zusammenhang von Sprache und Identität. Im angloamerikanischen Raum hat vor allem Norton auf die enge Verbindung von SprachenlernenSprachenlernen und IdentitätIdentität hingewiesen:
Whereas some linguists may assume, as Noam Chomsky does, that questions of identity are not central to theories of language, we as L2 educators need to take this relationship seriously. The questions we ask necessarily assume that speech, speakers and social relationships are inseparable. […] In this view, every time language learners speak, they are not only exchanging information with their interlocutors, they are also constantly organizing and reorganizing a sense of who they are and how they relate to the social world. They are in other words, engaged in identity construction and negotiation. (Norton 1997: 410)
Aus der Perspektive dieser soziokulturellen Theorien sind Sprachenlernende Mitglieder sozialer und historischer Gemeinschaften, die Sprache als dynamisches Werkzeug – nicht zuletzt zur Aushandlung von IdentitätIdentität – verwenden. Es ist bemerkenswert, dass die Entwicklungen in der Identitätstheorie und in den soziokulturellen Ausrichtungen von Spracherwerbsforschung (↗ Art. 51) und Didaktik der Sprachen durchaus konvergierende Züge aufweisen, wie im Folgenden dargestellt wird.
Identität ist ein transdisziplinäres Konzept, das vor allem in den Geistes- und Humanwissenschaften und nicht zuletzt auch in der Mehrsprachigkeitsforschung und der Didaktik der Sprachen eine wichtige Rolle spielt. Drei Entwicklungsstränge in der Identitätstheorie sind – gerade in Bezug zum Thema „Sprachlichkeit“ – besonders hervorzuheben: die Dekonstruktion eines essentialistischen Subjekt- bzw. Identitätsbegriffs (↗ Art. 40), das Konzept der narrativen Identität sowie die Betonung der jeder Identität inhärenten Dynamik und HybriditätHybridität u. Identität.
Seit der nach-idealistischen Philosophie des 19. Jahrhunderts und dem Beginn der Psychoanalyse setzt eine kritische Hinterfragung der Vorstellung eines rational-autonomen Subjekts ein (Nünning 2001: 613). Insbesondere poststrukturalistische Philosophen wie Jacques Lacan, Michel Foucault, Jean-François Lyotard und Jacques Derrida dekonstruieren die Vorstellung eines substanziell essentialistischen und selbstbestimmten Subjekts. Die Vorstellung von Identität im Sinne eines reifizierbaren Vorliegens eines Sachverhalts wird unhaltbar; IdentitätIdentität muss vielmehr als prinzipiell unvollständige und unvollendete Aspiration verstanden werden,
[…] als Fluchtpunkt einer sozialen Praxis, in deren Rahmen der Einzelne ins Verhältnis zu sich selbst tritt und sein Handeln am Horizont der gewünschten Autonomie des eigenen Selbst orientiert. (Straub 2004: 280)
Bei Jacques Lacan z.B. wird die traditionelle SubjektvorstellungSubjektvorstellung aus psychoanalytischer Perspektive in ein neues Licht gerückt. Die Rolle der Sprache gewinnt hier für die Genese des Subjekts einen zentralen Stellenwert:
In der Lacanschen Entwicklungsgeschichte des Kleinkinds identifiziert sich das Kind noch vor dem Spracherwerb über sein Spiegelbild mit einem imaginären, ganzheitlichen und autonomen Ich (Spiegelstadium). Mit dem Spracherwerb erweist sich dieses Ich jedoch noch deutlicher als unerreichbar. Um ein soziales Subjekt werden zu können, muss der Einzelne in die von der Sprache verkörperte symbolische Ordnung eintreten, die seiner Existenz vorgängig ist und ihm nur dann die Möglichkeit bietet, sich auszudrücken und eine symbolische Identität anzunehmen […]. Darüber hinaus bedeutet der Eintritt in die Sprache eine Subjektspaltung. Das Ich, das spricht (sujet d‘ énonciation), ist ein anderes, als das Ich, das im Diskurs repräsentiert wird (sujet d’énoncé). (Nünning 2001: 613)
Identität erscheint hier als der Ordnung des Imaginären zugehörig und stellt letztlich immer ein Trugbild dar.
Bei Michel Foucault handelt es sich hingegen weniger um eine psychoanalytische als um eine historisch begründete Kritik klassischer SubjektvorstellungenSubjektvorstellung. Foucault geht von einem Subjektbegriff aus, der das Moment der Unterwerfung (lat. subicere = unterwerfen) ins Zentrum rückt und zwar der Unterwerfung der sprechenden Subjekte unter die Diskurse und der Unterwerfung der Diskurse unter die sprechenden Individuen (Foucault 1994, 246). Gegen die Idee der Voraussetzungslosigkeit von Sprache und sprachlich handelndem Subjekt stellt Foucault die Bedingungen für die Legalisierung von Diskursen ins Zentrum. In diesen Ansätzen innerhalb der Identitätstheorie spielt die Sprache – im Sinne von Diskurs – eine wichtige Rolle.
In explizit narrativen Konzeptionen von Identität wird dieser Aspekt noch stärker hervorgehoben und die Verknüpfung von Selbst und Sprache in besonderer Weise betont, z.B. bei Jerome Bruner (1990), Anthony P. Kerby (1991), Alisdair Macintyre (1995) und Paul Ricoeur (1985). Während traditionellerweise das essenzielle Selbst der SpracheSpracheWesen der übergeordnet wurde, wird hier das Selbst als durch Sprache konstituiert verstanden:
Our own existence cannot be separated from the account we can give of ourselves. It is in telling our own stories that we give ourselves an identity. We recognize ourselves in the stories that we tell about ourselves. It makes very little difference whether these stories are true or false, fiction as well as verifiable history provides us with an identity. (Ricoeur 1985: 214)
Die eigene Identität wird also durch GeschichtenNarrative konstituiert:
On a narrative account, the self is to be construed not as a prelinguistic given that merely employs language, much as we might employ a tool, but rather as a product of language – what might be called the implied subject of self-referring utterances. (Kerby 1991: 4)
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