Rahel Beyer / Albrecht Plewnia
Handbuch des Deutschen in West- und Mitteleuropa
Sprachminderheiten und Mehrsprachigkeitskonstellationen
Narr Francke Attempto Verlag Tübingen
[bad img format]
© 2019 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG
Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen
www.narr.de• info@narr.de
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
ISBN 978-3-8233-8154-9 (Print)
ISBN 978-3-8233-0174-5 (ePub)
Rahel Beyer / Albrecht Plewnia
Die heutige Ausdehnung des zentralen (geschlossenen) germanophonen Sprachraums in der Mitte Europas ist das Ergebnis mehrerer Jahrhunderte Besiedlungs- und Expansionsgeschichte germanischer Stämme, die im Frühmittelalter Territorien einnahmen und dort auch ihre Sprache etablierten (Roelcke 2009: 17f.). So kamen etwa die Alemannen im 9. Jahrhundert bis ins Wallis, die Siedlungen der Baiern erstreckten sich schließlich bis über das ganze heutige Österreich. Mit dem Ende des Mittelalters waren die Sprachgrenzen in Europa dann konsolidiert und haben sich seitdem nur wenig verändert. Indessen hielten Annexionsbewegungen, Staatenbildung und Grenzverschiebungen von Staaten (z.B. im Rahmen des Wiener Kongresses 1814/1815) bis ins 20. Jahrhundert an. Die neuen Grenzziehungen orientierten sich nun überwiegend nicht an sprachlichen Räumen, sondern durchquerten und zerteilten sie vielmehr. Dementsprechend gibt es heute eine Reihe von Staaten, in denen das Deutsche (bzw. bestimmte dem Deutschen zuzuordnende oder eng mit ihm verwandte Varietäten) in Minderheits- und/oder Mehrsprachigkeitsverhältnissen steht, d.h. in Ko-Existenz mit anderen Sprachen in je unterschiedlichen Konstellationen, sei es mit einer anderen (weiteren) Amtssprache, sei es in territorialer Mehrsprachigkeit. Solche Fälle finden sich in mehreren Gebieten am Rande des geschlossenen deutschen Sprachraums, also jenseits der Grenzen der Staaten mit deutscher Mehrheitssprache. Diesen widmet sich das vorliegende Handbuch.
Es reiht sich ein in eine Serie von Handbüchern, die Minderheiten mit Beteiligung des Deutschen systematisch in einer Zusammenschau erfasst und eine Grundlage für einen Vergleich „in grundsätzlicher Hinsicht“ (Eichinger 2008: VIII) liefert. Den Anfang dieser Serie bildet das Handbuch der mitteleuropäischen Sprachminderheiten (Hinderling/Eichinger 1996), in dem deutsche Minderheiten in Mitteleuropa und anderssprachige Minderheiten in deutschsprachigem Mehrheitsgebiet vergleichend gegenübergestellt wurden. Ergänzt wurde dieses Handbuch in den Folgejahren durch je einen Band zu deutschen Sprachminderheiten in Mittel- und Osteuropa (Eichinger/Plewnia/Riehl 2008) und zu deutschen Sprachminderheiten in Übersee (Plewnia/Riehl 2018).
Mit diesem Band liegt nun der erste von zwei Teilen einer vollständig überarbeiteten und erweiterten Neufassung des Ausgangsbandes vor (der zweite Teil wird die Sprachminderheiten mit Deutsch als Mehrheitssprache zum Gegenstand haben). Der Fokus dieses Bandes liegt auf West- und Mitteleuropa; dabei bilden Geographie und Entstehungsbedingungen die verbindende Klammer. Über die Dichotomie von Mehrheit und Minderheit1 hinaus sind hier weitere Ausprägungen gesellschaftlicher Mehrsprachigkeit zu finden. So bilden etwa die Deutschsprachigen in Belgien – gewissermaßen ein Prototyp einer Grenzminderheit – eine nationale Minderheit, da die Verwendung und Reichweite des Deutschen räumlich auf neun Gemeinden in Ostbelgien beschränkt ist. Dort stellt es wiederum eine regionale Mehrheitssprache dar, und ist aufgrund dessen auf nationaler Ebene Amtssprache. Luxemburg dagegen hat gar keine allochthonen Deutschsprecher, sodass man im eigentlichen Sinne nicht vom Deutschen als Minderheitensprache sprechen kann – dort ist heute das mit dem Deutschen eng verwandte Luxemburgische die meistgesprochene Sprache. Historisch gesehen ist das Deutsche jedoch ohne Zweifel Teil des kulturellen Erbes des Großherzogtums (Sieburg 2013: 95) und hat auch gegenwärtig durchaus seinen Platz in der Sprachlandschaft, jedoch mit differenzierterem Status. Ähnliches gilt für die deutschsprachige Schweiz: Einerseits wird vorherrschend das deutsche Diasystem verwendet, andererseits geht mit der stark ausgeprägten Standard-Dialekt-Diglossie eine distanzierte Haltung gegenüber dem „Schriftdeutschen“ bis hin zur Entfremdung einher, so dass auch hier das Deutsche nicht unbedingt als die „natürliche Sprache“ (Haas 2000: 106) gilt. Gemein ist allen Szenarien, dass sie unmittelbar an ein Gebiet mit deutschsprachiger Mehrheitsbevölkerung angrenzen, dass das Deutsche einen offiziellen Status besitzt und neben (mindestens) einer anderen Sprache, d.h. in einer Mehrsprachigkeitskonstellation, existiert.
Entsprechend der Einordnung in die erwähnte Serie orientiert sich auch die Gliederung des Buches bzw. der Beiträge an den Vorgängerarbeiten. Pro Beitrag wird ein Gebiet überblicksartig beschrieben, und dabei jeweils ein „gewisser Kernbestand an Problembereichen“ (Hinderling/Eichinger 1996: XII) behandelt. Die Beschreibungsdimensionen erstrecken sich von den historischen Entwicklungen über die aktuelle demographische und rechtliche Situation bis hin zur Rolle und Präsenz des Deutschen in Wirtschaft, Politik und Kultur. Darüber hinaus wird für jedes Gebiet eine Beschreibung der Kompetenz- und Sprachgebrauchssituation, der soziolinguistischen Situation mit ihren je spezifischen Standard-Substandard-Verteilungen sowie der Spracheinstellungen der Sprecherinnen und Sprecher geboten. Im Vergleich zu den vorherigen Bänden neu hinzugekommen ist schließlich eine Erläuterung der Verteilung und Verwendung visuell realisierter Sprache(n) im öffentlichen Raum ( linguistic landscape ) in Form von Straßen- und Verkehrsschildern, Plakaten, Ladenbeschriftungen usw. Gliederung und Ausführlichkeit der einzelnen Kategorien variieren dabei in gewissem Umfang je nach den Gegebenheiten in den behandelten Gebieten.
Die Herausgeber danken allen beteiligten Autorinnen und Autoren für ihren Beitrag und den kollegialen Austausch. Ein großer Dank gilt auch Heike Kalitowski-Ahrens und Julia Smičiklas, die eine große Stütze bei Erstellung, Satz und Korrektur der Manuskripte waren.
Wir danken dem Gunter-Narr-Verlag für die Aufnahme des Handbuchs in das Verlagsprogramm und insbesondere Tillmann Bub für seine immer währende Geduld und Freundlichkeit in der Betreuung auch dieses Bandes.
Eichinger, Ludwig M. (2008): Vorwort. In: Eichinger, Ludwig M./Plewnia, Albrecht/Riehl, Claudia M. (Hrg.): Handbuch der deutschen Sprachminderheiten in Mittel- und Osteuropa. Tübingen: Narr, S. VII–X.
Eichinger, Ludwig/Plewnia, Albrecht/Riehl, Claudia M. (Hrg.) (2008): Handbuch der deutschen Sprachminderheiten in Mittel- und Osteuropa. Tübingen: Narr.
Haas, Walter (2000): Die deutschsprachige Schweiz. In: Bickel, Hans/Schläpfer, Robert (Hrg.): Die viersprachige Schweiz. 2., neu bearb. Aufl. Aarau/Frankfurt a.M./Salzburg: Sauerländer, S. 57–138.
Hinderling, Robert/Eichinger, Ludwig M. (Hrg.) (1996): Handbuch der mitteleuropäischen Sprachminderheiten. Tübingen: Narr.
Hinderling, Robert/Eichinger, Ludwig M. (1996): Einleitung. In: Hinderling, Robert/Eichinger, Ludwig M. (Hrg.): Handbuch der mitteleuropäischen Sprachminderheiten. Tübingen: Narr, S. IX–XVII.
Plewnia, Albrecht/Riehl, Claudia M. (Hrg.) (2018): Handbuch der deutschen Sprachminderheiten in Übersee. Tübingen: Narr.
Pusch, Claus D. (2010): Old Minorities within a Language Space. In: Auer, Peter/Schmidt, Jürgen E. (Hrg.): Language and Space. An International Handbook of Linguistic Variation. Bd. 1. Theories and Methods. Berlin/New York: Mouton de Gruyter, S. 375–390.
Читать дальше