Leonard: Wohin?
Sheldon: Nach Texas.
Amy: Jetzt sofort? Wieso?
Leonard: Ist jemand krank?
Sheldon: Ja, der Uterus meiner Schwester brütet im Moment ein Baby aus.
Penny: Oh, sie ist schwanger. Das ist ja toll. Dann wirst du ja Onkel – Onkel Sheldon.
Sheldon: Was, nein. Ich bin dann Onkel Dr. Cooper.
Amy: Warum hast du nie erzählt, dass sie schwanger ist?
Sheldon: Ich hab dir auch nicht gesagt, dass mein Bruder Nierensteine hat. Willst du alles wissen, was aus den Genitalien meiner Familie kommt?
Leonard: Ich gratuliere, schön für deine Schwester, dass du dabei sein wirst.
Sheldon: Naja, ich springe für ihren Ehemann ein, der sich noch von einem ganz furchtbaren Motorradunfall erholt – der Glückliche.
Penny: Wow. Und wie lange wirst du weg sein?
Sheldon: Tja, der Geburtstermin soll morgen sein. Allerdings hat sie sechs Jahre für die High School gebraucht. Also, wer weiß« (B 00:00:30).
Festgehalten werden kann also, dass eine Verstrickung von ›Schwangerschaft und Krankheit‹, konkurrierende normative Geburtsvorstellungen, eine bestimmte väterliche Absenz-Position via Zynismus sowie Geburtsterminologie qua Absurdität als Echo widerhallen.
Eine weitere familienpolitische Manifestation entfaltet sich herausgehoben durch ein intermediales Arrangement (etwa B 00:03:02 und B 00:03:46), in dem Sheldon innerhalb der Metadiegese via iPad abwertend-normativ die Geburtskonzeption seiner Schwester (»Hausgeburt«) erzählt, wobei diese erneut in der Gegenrede von Raj (Kunal Nayyar) konfligiert wird.
Durch die serielle Verschaltung unterschiedlicher Darbietungen (vom Klingeln bis hin zur Metadiegese) des iPad qua Einstellungsgrößen wird gerade die Aufmerksamkeit auf das iPad gelenkt, und zwar verstärkend, indem ein wunderlicher Okkasionalismus65 (»Fruchtwasserschlitterbahn«) installiert ist. Ich gebe nun den Dialog wieder:
»Penny: Hey, wie geht’s deiner Schwester?
Sheldon: Sie hat seit knapp einer Stunde ihre Wehen.
Amy: Das ist wunderbar, seid ihr im Krankenhaus?
Sheldon: Nein, sie wollte eine Hausgeburt. Ihr Lebensstil gleicht gewissermaßen dem in der Steinzeit, und eine Höhle ist gerade nicht verfügbar.
Raj: Weißt du, viele Leute glauben, dass eine Hausgeburt besser ist, weil die Mutter in einer angenehmen, vertrauten Umgebung ist und ihre Liebenden [sic!] sie pflegen können.
Sheldon: Und dort den Schlafzimmerfußboden in eine Fruchtwasserschlitterbahn verwandeln« (B 00:03:22).
Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass Geburtskonzeptionen wie etwa eine Hausgeburt und kulturell damit verbundene Klischees (vertraute Umgebung) sowie ihre konträre Kritik und damit einhergehende Konnotationen (wie etwa Fragen zum Lebensstil) als konfligierende herausgehoben sind. Eingedenk der konstitutiven Verschachtelung von Medien und Familienpraxis ist es demnach auch kein Zufall, dass Sheldon durch Aufforderung einer weiblichen Stimme aus dem Off, die zum Familienfoto während des Geburtsvorgangs einlädt , zu diesem Geburtsgeschehen zurückgeholt wird: »Sheldon, komm her! Der Muttermund deiner Schwester ist jetzt vollständig geöffnet und sie will ein schönes Familienfoto, bevor hier alles verblutet« (B 00:03:50). Durch die Inszenierung eines skurrilen und hyperbolischen Vorgangs des Geburtsgeschehens ist die mitkonstituierende Funktion des Fotos markiert. Skurril ist die synchrone Kopplung des vollständig offenen Muttermunds mit einem als ästhetisch sich darstellenden fotografischen Festhalten. Hyperbolisch ist die gleitende Bewegung vom schönen Foto hin zur Szenerie des Verblutens.
Im Kontrast zum klaren Bekenntnis des Pinguins aus dem Film Die Pinguine aus Madagascar (»Du hast uns, wir haben einander und wenn das keine Familie ist, dann weiß ich auch nicht«) manifestiert sich aktuell in unserer Medienkultur ein lebhafter Diskurs über Familialität (»Die neue Unübersichtlichkeit der Familie«66). Da ist medienkulturell beispielsweise die Rede von Regenbogenfamilien (ihren Befürwortern und Gegnern), gespaltener Elternschaft (die Existenz von drei Müttern und zwei Vätern ist möglich67), Single Parenting, Leihmüttern und Samenspendern. Die erste Folge der ersten Staffel der bereits zitierten Sitcom The Big Bang Theory 68 zeigt beispielsweise, wie Dr. Leonard Hofstadter und Dr. Dr. Sheldon Cooper eine Samenbank für Leute mit hohem IQ aufsuchen, um einen finanziellen Zuschuss für einen Breitband-Internet-Anschluss zu erhalten. Neben der grotesken Verknüpfung von Samenbank und Breitband-Internet wird auch der deterministisch-monokausale Glaube an Gene persifliert, indem Sheldon seine Bedenken äußert: »Wir begehen einen genetischen Betrug. Es gibt keine Garantie, dass unsere Spermien hochintelligente Nachkommen hervorbringen. Denk doch mal nach. Ich hab eine Schwester mit ziemlich derselben DNA-Mischung, und sie serviert Fastfood« (B 00:01:31).
Im nun folgenden Potpourri medienkultureller Diversität soll gezeigt werden, wie persistent in unserer Gegenwart Familienpolitik verhandelt wird. Nur durch jenen mediensyntagmatischen Zugang , nur durch das Zulassen einer weiten Objektebene kann familienpolitischer Diversität begegnet werden.
In unserer Gegenwart hat sich ein medienkulturelles Koordinatensystem herausgebildet, in dem – so wird vielerorts und allgemein angenommen – die Parameter sozial und biologisch , sowie künstlich und natürlich vielfältig miteinander kombiniert sind. Zu beobachten sind eine Erweiterung der Familie als Sozialisation und eine Eventisierung von engster biologisch-leiblich-genetischer Konturierung der Familie sowie eine scharfe Konkurrenzsituation zwischen den rhetorischen Deklarationen von natürlicher und künstlicher Familie.
In dem Sommerhit Hey Brother (USA 2013, DJ/Produzent: Avicii, Label: Universal Music und PRMD; RADIO), in dem expressis verbis Blutsverwandtschaft gefeiert wird (»Know the water’s sweet but blood is thicker«), wird grenzenlose brüderliche Solidarität, grenzenloses brüderliches Engagement besungen: »Oh, if the sky comes falling down, for you, there’s nothing in this world I wouldn’t do«.
In dem Actionfilm Fast & Furious 7 (USA 2015, Regie: James Wan, Universal Pictures) dagegen erhebt Dom (Vin Diesel) seine Freunde zur Familie. Konstituens ist in diesem Fall eine sozial-familiale Verbindung. Bereits der Trailer zu Fast & Furious 7 69 (2015) beinhaltet das Aufgehen von Freundschaft in Familie: »Ich habe keine Freunde, ich habe Familie« (00:01:02).
Ein Facebook-Nutzer erweist einem Freund auf seiner Facebook -Seite eine freundschaftlich-familiale Hommage: »Happy to see you, bro! Stay the way you are. God bless you!« Die Anrede »Bro« für einen sehr guten Freund erborgt für Freundschaftskonzepte den Nimbus gerade ›unleugbarer‹, also genetisch-biologischer Verwandtschaft, so dass nicht nur der »Brocode« in How I met your mother (USA 2005–2014, CBS; TV (PRO 7)) zu einer Verflüssigung zumindest familialer Rhetorik-Konzepte führt.
So stellt Dreysse eine sukzessive Ersetzung der biologischen Familie in der populären Kultur fest: »In der populären Kultur der Mehrheitsgesellschaft treffen wir […] zunehmend auf chosen families , die die biologische Familie ersetzen.«70 Dabei verweist sie auch auf die Serie How I met your mother (ohne allerdings auf den »Brocode« einzugehen) und fasst zusammen:
»Das Zerbrechen traditioneller Familienstrukturen in der gesellschaftlichen Realität ebenso wie das Bedürfnis nach nicht hierarchischen, nicht normativen Formen des Zusammenlebens bzw. der Zugehörigkeit scheint zu Vorstellungen von Familie, die selbst gewählt und frei gestaltbar sind, aber emotionale Qualitäten der bürgerlichen Kleinfamilie wie Zugehörigkeit, Verlässlichkeit, emotionale Nähe und Schutz garantieren, zu führen. Sie werden in den erwähnten Fernsehserien [u.a. Big Bang Theory M.P.] als dauerhaft, meist dauerhafter als jedwede durch Biologie, heterosexuelles Begehren oder die Ehe begründete Beziehung, dargestellt, zugleich aber auch als Effekt einer Praxis, eines alltäglichen Tuns, das die familiäre Gemeinschaft immer wieder aufs Neue kreiert und artikuliert. […] In diesem Sinne sind viele der Freundesgruppen in Film und Fernsehen als Formen der Verwandtschaft zu betrachten«71.
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