»Identitätsentwürfe brauchen Medien, um sich selbst zu entwerfen und um zu wirken. Medien bieten Bühnen für dieses Theater: die Straße, das Lokal, die Zeitung, das Radio, das Kino, das Fernsehen, das Internet. Und jedes dieser Medien bietet für sich selbst wieder eine Vielzahl an unterschiedlichen Bühnen, in denen Aspekte dieser Identitätsentwürfe artikuliert werden können. Jede Stadt hat Straßen ganz unterschiedlicher Funktion, die auch bestimmt, wie sich die Passanten verhalten.«44
Neben der Erfassung der Bedeutung von Medien für die Identitätsbildung geht es demnach um die Betrachtung von so unterschiedlichen Arrangements wie etwa der Straße oder einem Lokal als Medien.
Die Fokussierung auf medienkulturelle familienpolitische Arrangements umgeht bewusst naturphilosophische Fragen45. Dabei soll jedoch auch kein reiner Kulturalismus nach dem Motto ›Alles ist Kultur‹ ausgespielt werden. Das heißt nicht, dass Fragen nach Natur und Kultur sowie nach deren Verhältnis zueinander im Kontext von Familie nicht gestellt werden dürfen oder sollen. Es heißt aber, ich stelle sie nicht, und zwar a priori . Ich kann hier an Bergmann anknüpfen, der stets mittelbar auf Argumentationen mit Natur und Kultur fokussiert: »Es ist aufschlussreich zu verfolgen, wann mit Natur und wann mit Kultur argumentiert wird, wann die biologischen und wann die sozialen Grundlagen von Verwandtschaft herangezogen werden, wann von Substanz und wann von Prozessen gesprochen wird.«46 Bergmann bezieht sich mit dem Begriff » assistierte Authentizität «47 auf die performative Praxis der Authentifizierung, die zur Naturalisierung führt (wobei der materielle und symbolische Aufwand genannt werden). Die Beobachtung einer Kommunikation von Natur und Kultur ist dann vollends kompatibel mit Ullrichs kritischer Einschätzung der Tragfähigkeit einer dichotomen Unterscheidung zwischen Natur und Technik aufgrund der langen Tradition von Eingriffen in den Reproduktionsprozess48 und gemäß Meißners Klassifikation der Bestimmung des natürlichen Kerns eines gesellschaftlichen Phänomens als »müßige[r] Spekulation«49.
Durch die bisherigen Ausführungen und Beispiele wurde verdeutlicht, dass durch die Annahme einer Medienkultur von einer konstitutiven Verschachtelung von Medien und Lebenspraxis ausgegangen wird. Damit ist freilich noch nicht vollends geklärt, wie – ausgehend von dieser Annahme – neue und andere Erkenntnisse bei Fragen rund um Familienpolitik gewonnen werden können. Wie ist es möglich, das theoriegeleitete Beobachten von familienpolitischen Manifestationen in unserer Medienkultur an die Profilierung neuer und anderer wissenschaftlicher Erkenntnisse – an Medienkulturwissenschaft – zu binden? Unter der oben ausgeführten Voraussetzung ist es ja gerade nicht möglich zu behaupten, in den Medien werde etwas (Neues) gezeigt . Gleichsam ist damit die Annahme einer kanalisierenden Wirkung von Medien (»durch die Medien«) verunmöglicht. Einfach gefragt: Was ist dann aber gerade mit, und nur mit Medien in einem wissenschaftlichen Ansatz möglich? Wären Medien, und nur Medien zur Erkenntniserzeugung nicht nötig, dann wäre dieser Ansatz, der auf Medien rekurriert, obsolet. Sensu Siegfried J. Schmidt wird nun gerade Beobachtung zweiter Ordnung von den Medien erleichtert oder sogar erzwungen50. Omnipräsente, nicht zu stornierende, existente »Kultur als Programm materialisiert sich und ist entsprechend beobachtbar in Anwendungen wie Kunstwerken, Architekturen, Büchern oder Zeitungen«51. Daher fordert Schmidt gerade dazu auf, »möglichst genau die Rolle der Medien zu explizieren.«52
Erst jüngst ist nun eine Studie erschienen, die in medientheoretischer und medienhistorischer Aufarbeitung und Dekonstruktion einen neuen und äußerst fruchtbaren Medienbegriff konzipiert. Neues und Anderes, gerade Wissenschaft, kann in der vorliegenden Arbeit auch deshalb erzeugt werden, weil hinsichtlich des präferierten (weiten) Medienbegriffs auf die vor kurzem erschienene Studie Das Erscheinen des Mediums. Autoreflexivität zwischen Phänomen und Funktionen (2015) von Martin Mann zurückgegriffen wird. Im Hinblick auf die vorliegende Arbeit erweisen sich mindestens zwei miteinander verbundene Aspekte der Untersuchung von Mann als zentral. Der Autor zeigt, dass dem Kunstwerk Elemente aus dessen Außenraum einkopiert sind, wodurch es sich zu sich selbst verhält53. In Abkehr von der Transparenzthese geht er davon aus, dass »Medien ihr eigenes Medialisieren immer auch aus[stellen]«54 und »ihr Erscheinen zum Erscheinen [bringen]«55. Zum Ausdruck kommt damit eine das Medium als solches im Vollzug stiftende Eigenwendung. Strenggenommen kann erst mit einem erkenntnisleitenden Medienbegriff Medien kultur wissenschaft , und damit die Produktion von Erkenntnissen via Beobachtung einer Medienkultur, betrieben werden. Medienkulturwissenschaft kann sich erst dann erkenntnisorientiert entfalten, wenn die Berücksichtigung der Eigenschaften von Medien, und nur von Medien, einen Mehrwert generiert, den es sonst nicht gäbe. Die Medienkulturwissenschaft könnte ansonsten einfach auf den Terminus Medien verzichten. Anders formuliert: Medienkulturwissenschaft benötigt substantiell die Auseinandersetzung mit Medien als Medien, um einen Unterschied zu erzeugen, um Medien kultur wissenschaft zu sein. In Anlehnung an Mann kann gerade die selbstbedingende Passung der Medien, »nicht rein unauffällig (störungsfrei)«56 zu funktionieren, ein sinnlich wahrnehmbares Phänomen57 zu sein, medien kultur wissenschaftlich gewendet werden, und zwar insofern als »die Störung konventioneller Medienprozesse [hochgradig produktiv] sein kann.«58 Krämer, auf die Mann vielfach zurückgreift59, macht deutlich, dass Medien nicht einfach Sinn und Bedeutung vermitteln60. Sie haben aber laut Krämer eine wichtige Funktion: »Medien phänomenalisieren, sie machen wahrnehmbar.«61 Mann formuliert denn auch in Anschluss an Krämer:
»Sowohl Medium als auch Performanz sind in dieser Perspektive demnach erstens als Ereignis (also als Momente, die bei ihrem Entstehen schon wieder vergehen) und zweitens als Inszenierung (also als gerahmtes Geschehen) zu verstehen.«62
Das Medium ist demnach ereigniskonstituierter Schauplatz63.
Nach Konturierung des verwendeten Medienbegriffs kann nun der erkenntnisleitende Terminus Manifestation erläutert werden. Wenn ich in der vorliegenden Arbeit von familienpolitischen Manifestationen in unserer Medienkultur spreche, dann sind damit herausgehobene , als arrangiert-verdichtet zu kennzeichnende, konstruktiv-spielerische – dadurch nicht minder reale – Momente gemeint, welche die Medienkulturwissenschaft als ostentativ charakterisieren kann. Eine symptomatische familienpolitische Manifestation ist, und zwar insofern, als sie medienkulturwissenschaftlich gesehen als emphatisch gelten darf, eine Sequenz der Folge Onkel Doktor Cooper 64 aus der Sitcom The Big Bang Theory (USA 2007-, CBS, Warner Bros. Entertainment; AMAZON VIDEO). Als emphatisch kann nun gerade die plakative Ineinssetzung von ›Schwangerschaft und Krankheit‹ sowie die je perspektivisch-konträre Bewertung von Schwangerschaft und Geburt (ultranüchtern versus emotional) in der Konfligierung aufgefasst werden. Emphase zeigt sich auch durch den dargebotenen Zynismus, wenn ein Motorradunfall des Vaters als glücklicher Umstand kommuniziert wird, der Absenz bei der Geburt des eigenen Kindes erlaubt, oder in der vollends absurden Korrelation der Dauer der Geburt mit der Zeit auf der High School.
Ich gebe nun den Dialog zwischen Sheldon (Jim Parsons), Leonard (Johnny Galecki), Amy (Mayim Bialik) und Penny (Kaley Cuoco) wieder:
»Sheldon: Ich muss gleich weg.
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