Bader/Häussler (2010) führen ihre vergleichsweise hohen Werte auf die Tatsache zurück, dass ausschließlich den-NPs im Akkusativ Singular und Dativ Plural berücksichtigt wurden und dadurch keine Querschnittsanalyse von OS-Sätzen im Allgemeinen abgebildet wird. Alle vier Korpusstudien kommen zu dem Schluss, dass in nicht-kanonischen Bedingungen das topikalisierte Objekt deutlich häufiger akkusativ- als dativmarkiert ist. Bei Schlesewsky et al. (2002) machen innerhalb der OS-Sätze in allen drei Korpustypen dativmarkierte Objekte jeweils nur ca. 15 % der Vorkommen aus, wobei in absoluten Zahlen der Anteil mit zwei (nicht-fiktionale Texte), fünf (fiktionale Texte) und fünfzehn (gesprochene Sprache) Treffern fast verschwindend gering ist. Zu einem sehr ähnlichen Fazit kommen Bader/Häussler (2010). Auch in ihrer Korpusanalyse, die jedoch ausschließlich Zeitungstexte umfasst und nur Sätze berücksichtigt, die eine den-NP (Akkusativ Singular und Dativ Plural) enthalten, sind topikalisierte Objekte in gut 70 % akkusativmarkiert. Dativmarkierte Objekte, die vor dem Subjekt realisiert werden, finden sich hingegen vor allem im Mittelfeld, also zum Beispiel in Form von … , dass dem Opa der Witz gefallen hatoder …, dass dem Opa ein Malheur passiert(ebd.: 734). Die Beispiele illustrieren weiterhin einen zentralen Befund von Bader/Häussler: OS-Abfolgen im Mittelfeld sind gebunden an spezifische Verben und sind somit ein Resultat lexiko-semantischer und nicht syntaktischer Faktoren. Ebenso ist für genau diese verbgebundenen OdatS-Abfolgen im Mittelfeld das Vorhandensein eines belebten Objekts und eines unbelebten Subjekts typisch. Insbesondere in OakkS-Sätzen mit topikalisiertem Objekt im Vorfeld dominiert hingegen die Opposition S[+belebt] vs. O[-belebt] (vgl. ebd: 731) Es lässt sich also folgern, dass das Deutsche trotz der syntaktische Möglichkeit, OS-Sätze zu verwenden, nur selten davon Gebrauch macht. Problematisch bei dem Befund, dass OS-Sätze meist akkusativmarkierte Objekte enthalten, ist die Tatsache, dass im Deutschen der Akkusativ nur im Maskulinum lokal, das heißt auf Basis des einzelnen Markers identifizierbar ist. Lediglich das Maskulinum verfügt über ein maximal ausdifferenziertes Kasusparadigma; im Neutrum und Femininum finden sich diverse Synkretismen (s. Tabelle 2). Tabelle 2: Kasussystem des Deutschen (Singular) Aus Tabelle 2 geht zunächst hervor, dass Kasusmarker im Deutschen überwiegend am Artikel zu finden sind. Das Substantiv wird nur im Genitiv Maskulinum und Neutrum Singular ( Mann-es, Kind-es) sowie im Dativ Plural in allen Genera ( den Männer-n/Frau-en/Kinder-n) zusätzlich flektiert. Hinzu kommt im Deutschen eine schwache Deklinationsklasse, die Maskulina umfasst, die in beiden Numeri mit dem Flexionsmorphem -nmarkiert werden (zum Beispiel den/dem/des Junge-n). Insgesamt ist die formale Kasusinformation jedoch in der Regel ausgelagert und zeigt sich am Determinierer sowie in komplexen Nominalphrasen am Adjektiv, sofern dieses stark flektiert wird (zum Beispiel ein groß-esnom/akk Kind). Tabelle 2 zeigt weiterhin, dass der Artikel dender einzige transparente, das heißt nicht multifunktionale Marker im Singular ist. Alle übrigen Formen decken mehrere Funktionen ab. Dabei ist zu unterscheiden, ob die Formen einen Kasus abdecken und in zwei Genera formidentisch sind, oder ob eine Form in verschiedenen Kasus auftritt. So ist demausschließlich Dativ- und damit Rezipiensmarker, wird jedoch sowohl im maskulinen als auch neutralen Paradigma verwendet. Selbiges gilt für desals Genitivmarker. Die Form dasim Neutrum wird hingegen nicht nur im Nominativ, sondern auch im Akkusativ verwendet. Die zentralen semantischen Rollen Agens und Patiens sind folglich im Neutrum formal nicht differenzierbar. Selbiger Synkretismus findet sich im Femininum ( die). Nur durch die Opposition zu einer zweiten NP können die intransparenten Marker dasund diedisambiguiert werden. Disambiguierung heißt wiederum, dass ihnen eine spezifische Funktion zugeordnet werden kann. Auch derist eine multifunktionale Form. Sie kann entweder den Nominativ im Maskulinum oder den Dativ beziehungsweise Genitiv im Femininum kennzeichnen. Der Artikel allein kann also keinen eindeutigen Hinweis auf die semantische Rolle liefern, sodass bei der Satzverarbeitung nicht nur das Genus der NP, sondern weitere Merkmale (hier besonders die morphologische Opposition zur zweiten NP) mitberücksichtigt werden müssen, damit eine Rollenzuweisung vorgenommen werden kann. Es lässt sich damit zwischen funktional transparenten ( den, dem), halb-transparenten ( der) und intransparenten ( das, die) Formen differenzieren. Bei ersteren verweist die Form eindeutig auf Nicht-Agentivität, letztere können sowohl auf eine agentivische als auch eine nicht-agentivische Rolle verweisen und sind damit maximal ambig. Die als halb-transparent klassifizierte Form derkann hinsichtlich ihrer Funktion nur unter Hinzunahme des lexemspezifischen Genus disambiguiert werden. Sofern dieses berücksichtigt wird, ist die Zuordnung zu agentivisch beziehungsweise nicht-agentivisch eindeutig. Wird das Genus (bei der Verarbeitung) außen vor gelassen, ist die Form ambig. Ebenso macht ein Blick auf Tabelle 2 deutlich, dass es im Deutschen zwar eindeutige nicht-agentivische Marker ( den, dem), jedoch keine eindeutigen agentivischen Formen gibt. Jede Nominativmarkierung ( der, dasund die) kommt auch in den obliquen Kasuskontexten vor. Die Übersicht zeigt, dass das Deutsche zwar Kasusmarker enthält, diese jedoch nur selten auf eindeutige Form-Funktionsbeziehungen verweisen. Auf insgesamt zwölf Zellen im Singular kommen lediglich sechs unterschiedliche Formen, sodass die Zahl der Synkretismen vergleichsweise hoch ist.9 Für die Satzverarbeitung bedeutet dies konkret, dass Kasusmarker vor allem in Sätzen mit akkusativregierendem Verb nur bedingt valide sind. Kempe/MacWhinney (1998) errechnen für Kasusmarker im Deutschen einen Validitätswert von gut 50 %. Der niedrigere Wert geht darauf zurück, dass in Sätzen mit einem akkusativregierenden Verb und zwei Feminina, zwei Neutra oder einem Femininum und einem Neutrum disambiguierende Mittel nicht verfügbar sind und die Wortstellung als einzige Interpretationsgrundlage übrig bleibt (s. Bsp. 11 und 12 in Tabelle 3). Eine Disambiguierung kann nur bei Verfügbarkeit einer maskulinen NP erfolgen (Bsp. 9 und 10). Steht diese nicht zur Verfügung, muss die satzinitiale NP als agentivisch eingestuft werden (Bsp. 11 und 12). Tabelle 3: Akkusativ- und Dativformen in OVS-Sätzen Aufgrund des vollständigen Formenzusammenfalls zwischen NOM und AKK im Neutrum und Femininum fungieren dasund diein den Beispielen 11 und 12 nur noch als Genus- und Numerusmarker, nicht mehr als Kasusformen. Das Deutsche verhält sich damit in entsprechenden Fällen wie das Niederländische und zeigt semantische Relationen nur noch mithilfe der Konstituentenabfolge an. Eine höhere formale Eindeutigkeit und damit die Möglichkeit, eine N>N-Struktur als O>S-Satz zu identifizieren, besteht in Sätzen mit dativregierenden Verben (Bsp. 13–16). Da sowohl im Neutrum als auch im Femininum die formale Abgrenzung zwischen Nominativ/Akkusativ versus Dativ besteht, können Sprecher in entsprechenden Fällen auf die Kasusinformation zurückgreifen. Eine potentielle Schwierigkeit für Lerner besteht lediglich bei der Einordnung des Markers derdat. Ist ihnen das Genus der NP nicht bekannt oder sind sie in der Genuszuweisung unsicher, kann die Form derdat in den Beispielen 14 und 16 auch als morphologisch unmarkierte maskuline NP und damit als Agensmarker verarbeitet werden. Die Gegenüberstellung des Niederländischen und Deutschen zeigt, dass Wortfolge und Kasusmarker als Indikatoren für semantische Relationen in unterschiedlichem Umfang verfügbar sind. Im Niederländischen verweist die Abfolge N>N immer auf S>O, morphologische Marker spielen keine Rolle. Das Deutsche verfügt zwar über Kasusmarker, jedoch sind sie je nach Genus häufig intransparent. Die Konstituentenabfolge gewinnt damit an funktionaler Validität. Im Vergleich zum Niederländischen ist die Wortstellung als Indikator für semantische Relationen im Deutschen zwar deutlich weniger valide, aber trotzdem relevant. Anders als das Deutsche, ist das Russische eine morphologisch ausdifferenzierte Sprache, die in nur geringem Ausmaß einen Formenabbau erfahren hat. Das Russische verfügt über insgesamt sechs Kasus, die sich am Substantiv sowie bei Verfügbarkeit auch am attributiven Adjektiv zeigen: Nominativ, Akkusativ, Dativ, Genitiv, Instrumental und Präpositional.10 Parallelen zum Deutschen gibt es im Bereich der Formenbildung. In beiden Sprachen ist die Kasusform jeweils vom Genus und Numerus des Substantivs abhängig, sodass die entsprechenden Funktionsträger (im Deutschen die Artikel, im Russischen das Flexionsmorphem am Substantiv) jeweils unterschiedliche grammatische und semantische Kategorien kennzeichnen. Einen Überblick über das russische Kasussystem (Singular) bietet Tabelle 4.11 Tabelle 4: Kasussystem des Russischen (Singular) Das Deklinationsparadigma ist im Russischen nicht nur vom Genus und damit von der phonologischen Wortstruktur, sondern auch von der Belebtheit abhängig. Maskulina, die auf einen Konsonanten auslauten, und alle Neutra12 können in einer Deklinationsklasse zusammengefasst werden. Charakteristisch für diese Klasse ist der Formenzusammenfall zwischen NOM und AKK bei unbelebten Substantiven. Bei belebten Konstituenten werden Nominativ und Akkusativ morphologisch unterschieden; stattdessen entspricht in dieser Klasse der Akkusativ dem Genitiv. Diese Differenzierung ist besonders für die Maskulina relevant, da es bei den Neutra nur zwei belebte Lexeme gibt (neben dem in Tabelle 4 aufgeführten Lexem životnoenur dit’jo( Kind), dessen Gebrauch im Singular sehr selten ist und das tendenziell durch das Synonym rebjonokmask ersetzt wird). Tendenziell sind also im Russischen alle Neutra unbelebt und dadurch im NOM und AKK formidentisch. Einen Sonderfall bilden die Feminina, die aufgrund zweier unterschiedlicher phonologischer Strukturen in zwei Klassen unterteilt werden. Differenziert wird zwischen Feminina auf - a13(Feminina I) und Feminina, die auf einem palatalisierten alveolaren Frikativ ([s j], [z j]) oder einer postalveolaren Affrikate ([dž j], [tʃ j]) auslauten (Feminina II). Letztere Gruppe zeichnet sich wie die unbelebten Maskulina und Neutra durch einen Formenzusammenfall im NOM und AKK aus und enthält überwiegend unbelebte Lexeme.14 Die größere Gruppe der Feminina auf - a, die sowohl belebte als auch unbelebte Lexeme umfasst, differenziert hingegen zwischen diesen beiden Kasus. Dadurch, dass Feminina der Klasse II mehrheitlich unbelebt sind, äußern sich die Differenzen in der phonologischen Struktur der beiden Femininagruppen tendenziell auch in einer Belebtheitsunterscheidung, die sich wiederum auf das Formenspektrum der Kasusformen auswirkt. Wie im Deutschen gibt es dadurch auch im Russischen in bestimmten Kontexten multifunktionale Formen zwischen NOM und AKK. Während jedoch im Deutschen der Zusammenfall auf bestimmte Genera (Neutra und Feminina) eingegrenzt ist, ist im Russischen sowohl die Genusdifferenzierung (Maskulina vs. Neutra) als auch die Belebtheit und damit auch die phonotaktische Wortstruktur für eine potentielle Formidentität ausschlaggebend. Weitere Gemeinsamkeiten zwischen dem deutschen und dem russischen Kasussystem finden sich in der Verwendung eines Flexionsmarkers für unterschiedliche Kasus in unterschiedlichen Genera. So wird zum Beispiel die Flexionsendung - usowohl als Dativmarker bei Maskulina und Neutra als auch als Akkusativmarker bei Feminina des Typs I verwendet. Solche Formzusammenfälle sind jedoch im Gegensatz zum Deutschen seltener. Ebenso selten kommt der Fall vor, dass innerhalb einer Deklinationsklasse ein Flexiv mehrere Kasus abdeckt. Dies ist insbesondere für Feminina des Typs II der Fall, bei denen die Endung - isowohl im Dativ als auch im Genitiv gebraucht wird. In den übrigen Genera finden sich solche Formzusammenfälle – mit Ausnahme des NOM-AKK-Zusammenfalls bei unbelebten Substantiven – kaum. Auch wenn das Russische also keine 1:1-Korrespondenz zwischen Kasusmarker und Funktion aufweist, ist der Anteil der Synkretismen deutlich niedriger als im Deutschen und die Validität morphologischer Marker entsprechend höher. Weiterhin gibt es anders als im Deutschen keine Formidentität zwischen einem Dativ- und einem Nominativmarker. Eine Endung wie - uoder - iist stets als oblique Form deutbar und kann nie im Nominativ auftreten. Somit gibt es zwar zentrale Parallelen zwischen dem deutschen und dem russischen Kasussystem, jedoch auch zentrale Unterschiede. In beiden Sprachen ist die Kasusform vom Genus und Numerus des Substantivs abhängig. In beiden sind Kasusmarker nicht eindeutig, sondern multifunktional. Jedoch ist im Russischen das Kasusparadigma innerhalb der einzelnen Deklinationsklassen und damit der einzelnen Genera formal ausdifferenzierter als im Deutschen. Die paradigmatische Ausdifferenziertheit der Kasusflexive führt schließlich dazu, dass in den meisten Fällen eine eindeutige Abgrenzung zwischen dem Nominativ und den obliquen Kasus stattfinden kann. Geht man auch für das Russische davon aus, dass der Nominativ überwiegend zur Markierung des Agens genutzt wird, so verweist die formale Differenzierung [+/-MORPHOLOGISCH MARKIERT] auf die Unterscheidung [+/-AGENS]. Dass diese grundlegende Unterscheidung auch für den Erwerb von Kasusflexiven relevant zu sein scheint, erschließt sich aus einer Studie von Gagarina/Voeikova (2009). Sie können zeigen, dass die von ihnen untersuchten einsprachig russischen Kinder zunächst in den produktiven Deklinationsklassen I und II spezifische Kasusoppositionen (unmarkiert für Nominativ sowie markiert für fast alle anderen Kasus) aufbauen. Sobald ihr Gebrauch einsetzt (als „mini-paradigms“ (ebd.: 197) bezeichnet), durchlaufen die Lerner eine Art „morphological spurt“ (ebd.: 193). Dabei kommt eine Reihe neuer Lemmata hinzu, die sowohl morphologisch markiert als auch unmarkiert gebraucht werden. Die obliquen Formen werden dabei zunächst unsystematisch verwendet, sodass im L1-Erwerb zuerst die Dichotomie [-MARKIERT] vs. [+MARKIERT] zur Differenzierung von Agens und Nicht-Agens etabliert wird. In einem zweiten Schritt werden dann die nicht-agentivischen obliquen Marker systematisch differenziert. Im Deutschen ist eine analoge Formeindeutigkeit in Hinblick auf die Unterscheidung zwischen Agens und nicht-agentivischen Rollen paradigmatisch nur im Maskulinum gegeben. Dies führt laut Kempe/MacWhinney (1999) dazu, dass der Anteil von Sätzen, die keine eindeutige Kasusmarkierung haben, im Deutschen höher ist als im Russischen. Zurückzuführen ist dies auf einen höheren Anteil neutralisierter Formen im Akkusativparadigma im Deutschen (s. Tabelle 3, Beispiele 11 und 12).15 Die Abhängigkeit vom Maskulinum als disambiguierende Form schränkt die Verfügbarkeit morphologisch eindeutiger Formen ein, wodurch die Validität von Kasusmarkern als Indikatoren für semantische Relationen im Deutschen geringer ist (ca. 50 %) als im Russischen (ca. 90 %; vgl. Kempe/MacWhinney 1998). Zurückzuführen ist dies wiederum auf die Belebtheit im Russischen. Sobald ein belebtes Substantiv gebraucht wird, ist eine ambige Lesart des Satzes ausgeschlossen. So wäre in einem Satz wie stol-ømask /akk vidit brat-ømask/nom ( Tischakk sieht Brudernom) trotz einer fehlenden morphologischen Markierung der präverbalen NP die einzige in Frage kommende Lesart hier OVS. Wäre nämlich brathier nicht Agens, sondern Patiens, müsste aufgrund des Merkmals [+BELEBT] das Akkusativflexiv - arealisiert werden. Der Satz wäre also nur dann ambig und würde die Wortstellung als einzigen Indikator zulassen, wenn beide Konstituenten unbelebt wären, was wiederum sehr selten ist.16 Insgesamt sind die Bedingungen, in denen die Konstituentenabfolge der einzige Indikator für semantische Relationen wäre, im Russischen auf sehr spezifische Kontexte eingegrenzt. Funktional transparente Kasusmarker sind meistens verfügbar und limitieren den Validitätsstatus der Konstituentenabfolge. Kempe/MacWhinney (1999) können anhand eines Reaktionszeitexperiments zeigen, dass sich die hohe Validität der Kasusmarker im Russischen auch auf Satzverarbeitungsstrategien auswirkt. Russischsprachige Probanden wählen bei OVS-Sätzen mit transparenter Kasusmarkierung schneller N2 als Agens als deutsche Sprecher. Das heißt, dass deutsche Sprecher bei einem Satz wie Den Teller sucht die Mutterlänger für die Agenswahl benötigen als russische Sprecher bei äquivalent konstruierten russischen Sätzen ( Tarelkuakk iščet mat´nom). Weiterhin können Kempe/MacWhinney belegen, dass russischsprachige Erwachsene semantische Informationen wie Belebtheit ignorieren, während deutsche Probanden sie mitberücksichtigen. So benötigen deutsche Sprecher für die Verarbeitung von Sätzen wie Die Blume sucht den Mannlänger als russische Sprecher in äquivalenten Kontexten. Die Verarbeitungsdauer bleibt bei ihnen unabhängig von der Belebtheitsinformation unbeeinträchtigt. Kempe/MacWhinney folgern daraus (ebd.: 151), dass der generelle Validitätsstatus morphologischer Kasusmarker innerhalb der untersuchten Sprachen Deutsch und Russisch einen Einfluss darauf hat, wie gut die Sprecher den formalsprachlichen Markern ‚trauen‘. Die grundsätzlich geringere Verfügbarkeit eindeutiger transparenter Kasusmarker im Deutschen führt offensichtlich dazu, dass Sprecher andere Informationen im Satz (hier die Belebtheit) mitverarbeiten. Die deutlich höhere Validität von Kasusmarkern im Russischen hat zur Folge, dass sich Sprecher bei der Satzverarbeitung ausschließlich auf morphologische Informationen stützen. Die Ergebnisse von Kempe/MacWhinney zeigen neben der unterschiedlichen Gewichtung unterschiedlicher Kodierungsmechanismen als Resultat typologischer Varianz auch, dass für Sprecher die Informationen der satzinitialen NP entscheidend sind. MacWhinney (1977) sowie Langacker (1998) verweisen in diesem Zusammenhang auf das starting point-Prinzip, das den Verarbeitungsprozess zu lenken scheint. So determiniert die semantische und morphologische Information innerhalb der satzinitialen NP, ob eine N>N-Struktur als S>O- oder O>S-Satz interpretiert wird. Je später dabei eine disambiguierende Form im Satz auftritt, desto unwahrscheinlicher wird es, dass diese überhaupt Berücksichtigung findet. Entscheidend für die Satzinterpretation sind besonders Informationen, die früh auftauchen (vgl. hierzu besonders Choi/Trueswell 2010). Besonders mit Blick auf das Deutsche hat dies Auswirkungen darauf, unter welchen Bedingungen eine N>N-Struktur als S>O- oder S>O-Satz interpretiert wird. Die hohe formale Ausdifferenziertheit im russischen Kasussystem und die Verfügbarkeit synthetischer Marker führen dazu, dass die Abfolge der nominalen Konstituenten als Indikator für semantische Relationen kaum in Frage kommt. Dies äußert sich in einer relativ variablen Wortstellung, die charakteristisch für das Russische ist. Die Übersicht bezieht sich auf einfache Aussagesätze sowie ihre einzelsprachlichen Realisierungsmöglichkeiten.17 Die Beispiele 17 bis 22 zeigen, dass im Russischen dafür sechs verschiedene Wortstellungsmöglichkeiten in Betracht kommen. Jede Variante ist dabei zwar abhängig von pragmatischen Faktoren, allerdings führt keine zu einer Veränderung der semantischen Rollen oder des Satztyps (vgl. Bailyn 1995, 2012 sowie Neidle 1988). Im Deutschen ist die Wortstellungsvarianz deutlich eingeschränkter, was nicht unmittelbar auf eine geringere Validität der Kasusflexive, sondern auf den Stellenwert der Verbposition, die wiederum mit spezifischen Satztypen korreliert, zurückzuführen ist. Lässt man die Position des Verbs außen vor und legt den Fokus auf die Abfolge von Subjekt und Objekt, zeigt sich mit Blick auf die Beispiele 19–22, dass die Reihenfolge der Konstituenten nur bedingt variabel ist. In den Sätzen 20 und 22 ist zwar die Position des Verbs veränderbar, eine O>S-Abfolge jedoch fragwürdig, wenn nicht sogar unmöglich, sofern es sich um nominale Konstituenten handelt.18 Während also die Verbposition im Deutschen relativ flexibel (beziehungsweise grammatikalisiert) ist, ist der Positionswechsel von Subjekt und Objekt stark eingeschränkt. Die Abfolge O > S ist dabei vor allem in Sätzen mit Verbzweitposition akzeptabel, bei Verberst- und Verbletztsätzen hingegen stark eingeschränkt. Ähnlichkeiten zwischen dem Deutschen und Niederländischen finden sich in Hinblick auf die Grammatikalisierung der Verbposition. Bei der Abfolge der Konstituenten gibt es jedoch mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten. Während die Realisierung des Objekts vor dem Subjekt im Deutschen zumindest in NVN-Sätzen gängig ist, ist sie im Niederländischen schlicht nicht möglich, sodass die Wortstellungsvarianten OVS, OSV sowie VOS im Niederländischen bei Kombination zweier nominaler Konstituten nicht vorhanden sind.19 Während also im Russischen die Abfolge zweier nominaler NPs sowohl auf eine SO- als auch eine OS-Struktur verweisen kann, ist die OS-Lesart im Deutschen auf spezifische Satztypen beschränkt und im Niederländischen nicht vorhanden. Trotz der einzelsprachspezifischen Wortstellungsvarianten teilen sich die drei Sprachen eine zentrale Gemeinsamkeit. In allen Sprachen ist die kanonische Konstituentenfolge S>O (Bsp. 17) die neutrale Struktur für aktivische Hauptsätze (vgl. Bailyn 1995, Divjak/Janda 2008, Hawkins 1983 und Tomlin 1986 für das Russische, Musan 2010 für das Deutsche und Bouma 2008 für das Niederländische).20 In allen drei Sprachen wird also das Agens in der Regel satzinitial realisiert und ist morphologisch nicht markiert. Die Abfolge der Konstituenten interagiert mit dem Merkmal der morphologischen Markierung in Hinblick auf die Kennzeichnung semantischer Relationen. Eine weitere Gemeinsamkeit der drei Sprachen ist die Belebtheitsopposition, die als semantische und damit nicht-grammatische Information gewertet werden muss (s. Bsp. 23 und 24). Während in Beispiel 23 Konstituentenabfolge und Belebtheitskontrast in einem prototypischen Verhältnis stehen, führt die Belebtheitsopposition in Satz 24 dazu, dass die NPs die Nacht/noč´/nachtals Patiens und die Mutter/mat´/moederals Agens interpretierbar sind, obwohl die Konstituentenabfolge für eine S>O-Lesart sprechen würde. Die Belebtheitsopposition kann also potentiell die kanonische Konstituentenabfolge als Hinweis auf satzinterne Rollenrelationen aushebeln, die hier aufgrund der fehlenden eindeutigen morphologischen Markierungen als einzige Interpretationsgrundlage aktiviert werden müsste. Die Belebtheit hat folglich das Potential, als zur Konstituentenabfolge konkurrierende Information aufzutreten. Welche Option (Belebtheitsopposition oder Konstituentenabfolge) als Interpretationsgrundlage gewählt wird, hängt vermutlich mit ihrer einzelsprachspezifischen Validität zusammen, sodass es wahrscheinlich ist, dass sich niederländische Sprecher eher auf die Konstituentenabfolge stützen als russische. Die Konstituentenabfolge hat für die Kodierung semantischer Relationen je nach Sprache einen unterschiedlich hohen Stellenwert. Im Niederländischen ist sie der hierarchiehöchste, im Russischen der hierarchieniedrigste Indikator. Das Deutsche lässt zwar Wortstellungsvarianz zu, die Relevanz der Konstituentenabfolge für die Interpretation semantischer Relationen steigt jedoch im Gegensatz zum Russischen durch die hohe Anzahl der Synkretismen im Akkusativ. Stellt man einzelsprachliche Wortstellungsvarianzen und Kasussysteme in Relation zueinander, lässt sich folgende Tendenz beschreiben: Je ausdifferenzierter das Kasussystem und je höher damit die Validität morphologischer Kasusformen, desto variabler ist entsprechend die Wortstellung (vgl. dazu auch McFadden 2003; s. Abbildung 1).21 Abbildung 1: Interdependenz von Kasusmarkern und Wortstellungsvarianz (kontrastiv) Abbildung 1 verdeutlicht das Zusammenspiel zwischen morphologischen Kasusmarkern und Wortstellungsvariationen in den drei untersuchten Sprachen. Das Niederländische ist am linken Pol angesiedelt, da es im nominalen Bereich nur über rudimentäre morphologische Kasusflexive verfügt und gleichzeitig keine Wortstellungsvarianz zulässt. Das Russische ist dem gegenüberliegenden Pol zugeordnet, da die ausdifferenzierte Kasusmorphologie (in Kombination mit einer fehlenden festen Verbstellung) eine große Anzahl variierender Wortstellungstypen zulässt. Das Deutsche bewegt sich zwischen den beiden Polen, wodurch seine typologische Besonderheit deutlich wird (vgl. auch Gladrow 1998: 204). Es ist eine Art Mischtyp. Die sprachspezifischen Unterschiede haben Folgen für Verarbeitungsstrategien und -mechanismen. Kempe/MacWhinney (1999) sowie MacWhinney/Bates/Kliegl (1984) belegen für Sprecher des Deutschen, dass die Verfügbarkeit und die Transparenz von Kasusmarkern die Interpretation semantischer Relationen determiniert. Erwartungsgemäß sind in Sätzen wie Den Mann sieht die Frauzwar die Reaktionszeiten höher als bei kanonischen Sätzen, jedoch wird Fraustets als Agens eingestuft. Fehlt hingegen eine eindeutige morphologische Markierung (zum Beispiel in Max gefällt Inge), so wird die Relation zwischen den beiden Aktanten auf der Basis der Wortstellung bestimmt und Maxals Agens ausgewählt (vgl. auch Draye 2002). Im Gegensatz zu russischen Sprechern ist jedoch die Verarbeitung von OS-Sätzen für deutsche Sprecher offenbar aufwändiger (vgl. Kempe/MacWhinney 1999). Kilborn/Cooreman (1987) können wiederum für das Niederländische und das Englische zeigen, dass die Wortstellung besonders ausschlaggebend für die Agenswahl ist. Sie stützen damit die Ergebnisse von Bates et al. (1982) für das Englische, was aufgrund seiner zahlreichen Parallelen gut auf das Niederländische übertragbar ist. Um die Relevanz der Konstituentenfolge im Niederländischen zu verdeutlich, soll die Studie von Kilborn/Cooreman (1987) an dieser Stelle kurz diskutiert werden. Kilborn/Cooreman stellen anhand von mono- und bilingualen niederländischen und englischen Sprechern gruppenspezifisch variierende Satzinterpretationsstrategien hinsichtlich der Nutzung von Merkmalen wie Belebtheitsopposition, Konstituentenabfolge und Subjekt-Verb-Kongruenz zur Determination semantischer Relationen heraus. Es wurde unter anderem geprüft, welche Konstituente die Probanden in Sätzen des Typs NVN ( De giraffen bijten de vork[Die Giraffen beißen die Gabel]), NNV ( De cigaret de kat kust[Die Zigarette die Katze küsst]) und VNN ( Bekijt de muis de zeug[Sieht die Maus den Schnee]) als Agens wählen. Während die niederländischen Probanden in allen Satztypen die jeweils erste der beiden NPs zu ca. 60 % als Agens auswählen, entscheiden sich die englischen Probanden vor allem in der VNN-Bedingung häufiger für die zweite NP als Agens. Die Folgerung der Autoren, dass die Wortstellung für die englischen Sprecher ein dominanterer Indikator für semantische Rollen sei, ist dabei nicht ganz nachvollziehbar. Bezogen auf die Abfolge der Konstituenten ist nämlich das Gegenteil der Fall. Kilborn/Cooreman stellen die These auf, dass sich das Niederländische trotz vieler Gemeinsamkeiten durch eine ausdifferenziertere Verbmorphologie vom Englischen abgrenzt. So seien im Niederländischen zum Beispiel auch VSO-Strukturen bei Fragesätzen möglich, wobei nicht darauf verwiesen wird, dass dies auch im Englischen für Fragesätze des Typs Does he love her?gilt. Dem Niederländischen wird also eine größere Wortstellungsvarianz zugesprochen als dem Englischen.22 Jenseits dieser Verbstellungsvarianzen dominiert im Niederländischen jedoch die Abfolge S>O. So verweisen die Autoren darauf, dass es im Englischen auch VOS- und OSV-Strukturen gibt, die im Niederländischen als VSO- sowie SOV-Sätze realisiert werden. Somit hätte Englisch ein höheres Varianzspektrum, weil hier sowohl SO- als auch OS-Strukturen möglich sind, das Niederländische hingegen fast ausschließlich von SO-Stellungen Gebrauch macht. Die Validität der Konstituentenfolge N>N als Indikator für S>O ist im Niederländischen deshalb besonders hoch. In den Ergebnissen spiegelt sich genau das wider: Unabhängig von der Testbedingung (NVN, NNV und VNN) wählen niederländische Probanden N1 sogar häufiger als Agens als englischsprachige Sprecher. Zusammenfassend lässt sich folgern, dass aus funktionaler Perspektive sowohl die Konstituentenfolge N>N als auch Kasusmarker der Abbildung kausaler Relationen zwischen Agens und Nicht-Agens dienen können. Im Niederländischen wird die semantische Rollenrelation fast ausschließlich anhand der Konstituentenabfolge, im Russischen anhand der Kasusmorphologie und im Deutschen anhand von beiden Verfahren kenntlich gemacht. Typologisch gesehen ist Deutsch im Vergleich zum Niederländischen und Russischen als eine Art Mischtyp zu betrachten. Gemeinsam ist den drei Sprachen die kanonische Abfolge S>O. Unterschiede ergeben sich hinsichtlich der Validität von Konstituentenabfolge und Kasusmarkern als Indikatoren für semantische Rollenrelationen. Im Folgenden wird basierend auf diesen Feststellungen einerseits diskutiert, wodurch die Gemeinsamkeiten zustande kommen und andererseits ausgeführt, wie die Unterschiede divergierende Satzverarbeitungsstrategien bewirken (s. Kapitel 3). 2.3 Form-Funktions-Relationen in transitiven Sätzen – die kognitive Sicht Der Vergleich von Form-Funktions-Relationen hat gezeigt, dass es typologisch bedingte Unterschiede, aber auch zentrale Gemeinsamkeiten zwischen dem Deutschen, Niederländischen und Russischen gibt. Diese zunächst deskriptive Betrachtung typologisch variierender Form-Funktions-Paare soll im nächsten Schritt vertieft werden, indem im Kontext der Kognitiven Grammatik diskutiert wird, warum es spezifische Realisierungsmöglichkeiten gibt und warum sich einzelne mappingsüber die typologischen Grenzen hinweg ähneln. Zu den Ähnlichkeiten gehören neben der Basisabfolge S>O auch Kasussynkretismen an spezifischen Stellen im Deutschen und Russischen. Während die deskriptiv-funktionale Perspektive überhaupt formale Realisierungsmechanismen mit konkreten Funktionen verknüpft, geht die kognitive Perspektive einen Schritt weiter und sucht nach Erklärungen für sprachübergreifende Tendenzen. Entsprechend der Grundannahme der Kognitiven Grammatik wird davon ausgegangen, dass semantische Konzepte formalsprachlich abgebildet werden. Das Zusammenspiel zwischen der semantischen Konzeptebene und der formalsprachlichen Realisierung ist wiederum mental repräsentiert. Givón zufolge sind die kognitive Wissensrepräsentation zusammen mit der Kommunikation (also der sprachlichen Realisierung) dieser Wissensrepräsentation die „two mega-functions“ von Sprache (1998: 41). Das Ziel des kognitiv-funktionalen Ansatzes ist es, die semiologische Funktion von Sprache mit Konzeptualisierungsmechanismen zu verknüpfen: „Insofar as possible, linguistic structure is analyzed in terms of more basic systems and abilities (e.g., perception, attention, categorization) from which it cannot be distinguished“ (Langacker 1998: 1). Sprachliche Musterbildung ist, so die Folgerung, stets Resultat kognitiver Prozesse. Eine Grundidee der Kognitiven Linguistik ist die Annahme, dass kognitiv verankerte semantische und formale Prototypen existieren. Dabei wird angenommen, dass Sprecher Lexeme oder grammatische Strukturen nicht einzeln speichern, sondern diese in Hinblick auf spezifische Merkmale analysieren, bündeln und um einen Prototyp herum anordnen. Die Auseinandersetzung mit der kognitiven Repräsentation von Prototypen geht auf umfangreiche empirische Studien von Rosch (1973, 1977, vgl. auch Kleiber 1993 sowie besonders Taylor 1995 und Lakoff 1999) zurück. Rosch konnte mittels einer Reihe von Experimenten zeigen, dass Sprecher bestimmte Objekte (zum Beispiel Vögel, Möbel) in Hinblick auf ihre Eignung als Vertreter einer Kategorie hierarchisieren. Die Probanden ihrer Studien waren sich in der Bewertung der Objekte sehr einig. So wurde von der überwiegenden Mehrheit ein Rotkehlchen als der beste Vertreter der Kategorie Vogel ausgewählt, der Strauß und der Pinguin hingegen als weniger gute Repräsentanten eingestuft. Rosch folgert daraus, dass Sprecher erfahrungsbasiert abstrakte Kategorien ausbilden, die durch einen prototypischen Vertreter dieser Kategorie repräsentiert sind. Dieser zeichnet sich durch eine Reihe spezifischer Eigenschaften aus, die unterschiedlich stark gewichtet werden können (vgl. Lakoff 1999, Geeraerts 1989). Ein Prototyp wird dabei als der beste Vertreter einer Kategorie (vgl. zum Beispiel Lewandowska-Tomaszczyk 2007) definiert. Betrachtet man diese generellen Überlegungen aus einer funktionalen Perspektive, fndet sich erneut das mapping-Prinzip wieder. Ein spezifisches Konzept wird mit einer konkreten Form verknüpft. Im Fall von Roschs Experimenten verfügen Sprecher über eine bestimmte Vorstellung eines Vogels. Diese Vorstellung ist am besten durch ein Rotkehlchen repräsentiert. Die Existenz abstrakter und kognitiv repräsentierter Prototypen führt Rosch zufolge zu Prototypeneffekten. So werden zum Beispiel prototypische Kategorienmitglieder bei Kategorisierungsaufgaben schneller verarbeitet und früher erworben als periphere Mitglieder (vgl. zu letzerem Aspekt Ibbotson/Tomasello 2009). Besonders in Hinblick auf Verarbeitungsprinzipien werden Prototypikalität und Informationsverarbeitung ( processing) sowie Lernprozesse als interdependente Prozesse betrachtet (vgl. Rosch 1978). Informationsverarbeitung wird dabei aus kognitiver Sicht als der Abgleich eingehender Informationen jeglicher Art (visuell, auditiv etc.) mit existenten abstrakten Mustern verstanden. Langacker (1987) bezeichnet diesen Prozess als Überprüfung von category membership. Roschs Entdeckungen erfassen deshalb eine der zentralen kognitiven Fertigkeiten überhaupt: kognitive Kategorisierungsprozesse. Auf der Basis dieser Erkenntnis folgert Lakoff (1987: 5): „There is nothing more basic than categorization to our thought, perception, action, and speech“. Wissenserwerb fußt diesem Ansatz zufolge auf der Ausbildung von Kategorien, die wiederum dem Prinzip der Prototypenausbildung folgen. Dass der Mensch überhaupt fähig zur Kategorienbildung ist, baut Langacker (2000a) zufolge auf der Basisfertigkeit des Vergleichens auf. Im Rahmen des kognitiv-funktionalen Ansatzes wird die Emergenz und Nutzung von Prototypen als grundlegende kognitive Fähigkeit verstanden, die wiederum eine zentrale Rolle in der Sprachentwicklung und -verarbeitung spielt. Sprecher entwickeln nicht nur Wissen zu prototypischen Vögeln oder Wortbedeutungen, sondern auch zu prototypischen Strukturen als Repräsentanten semantischer Konzepte.1 Dies wird zum Beispiel anhand der deutschen Pluralbildung deutlich. Köpcke (1993, 1994) nimmt an, dass das Deutsche über prototypische, also besonders häufige sowie valide Pluralschemata verfügt. Zweisilbige, auf - (e)nauslautende Lexeme (zum Beispiel Katze-n) entsprechen solch einem idealen Pluralrepräsentanten. Weist ein Lexem diese Eigenschaften im Singular auf, führt dies dazu, dass keine Formveränderung mehr im Plural stattfindet. Das Beckenwird im Plural zu die Becken-ø, auf eine zusätzliche morphologische Pluralform wird verzichtet. Köpcke zeigt weiterhin, dass sich die zahlreichen Pluralformen im Deutschen auf einer Prototypenskala anordnen lassen. Je mehr eine Wortform einer prototypischen Singularform ähnelt (dazu zählen vor allem Monosyllabia wie Buch, Wand, Mann), desto wahrscheinlicher ist es, dass sie im Plural ihr ‚Aussehen‘ verändert und zu einer pluralischen Wortform gemacht wird. Die Pluralformen selbst sind ferner hierarchisierbar, sodass im Deutschen zwischen guten und weniger guten, also peripheren Pluralmarkern differenziert werden kann. Zu letzteren gehört zum Beispiel ein einfaches Schwa als Pluralendung ( der Wind– die Winde). Der - e-Plural ist deshalb kein zuverlässiger Indikator für einen Plural, weil das Deutsche über zahlreiche Singularformen verfügt, die auf einem Schwa auslauten (zum Beispiel Matte, Kette, Junge). Zwei Funktionen (Einzahl vs. Mehrzahl) konkurrieren somit um eine Wortform (= ‚2-Silber auf - e‘). Müsste ein Sprecher einem unbekannten Lexem des Typs ‚2-Silber auf Schwa‘ eine Numerusform zuweisen, würde er sich vermutlich für den Singular entscheiden. Müsste hingegen die Kategorienzugehörigkeit bei einer Wortform des Typs ‚2-Silber auf - en‘ vorgenommen werden, würde die Wahl höchstwahrscheinlich auf den Plural fallen. Die Prinzipien der Prototypentheorie lassen sich ausgehend vom Pluralbeispiel auch auf das Konzept der semantischen Rollen übertragen. Die Kognitive Grammatik geht davon aus, dass sprachliche Muster außersprachliche Konzepte abbilden (vgl. zum Beispiel Croft 1991). Beim Numerus ist das außersprachliche Konzept die Ein- und Vielzahl von Einheiten und ihre damit verbundene Zählbarkeit, die im Deutschen mit einer spezifischen Wortstruktur abgebildet wird. Die Ausdrucksebene semantischer Relationen ist hingegen der Satz (vgl. in Hinblick auf Prototypikalitätseffekte Næss 2007, Ibbotson et al. 2012). Innerhalb des Satzmusters finden sich wiederum prototypische Aktanten mit prototypischen semantischen und formalen Eigenschaften. Konzeptuell werden satzinterne Aktanten als semantische Einheiten verstanden, die Dowty (1991) auf zwei zentrale, in Opposition zueinander stehende Kategorien eingrenzt: das Proto-Agens und das Proto-Patiens. Wann welcher Aktant welche Rolle zugewiesen bekommt, hängt zunächst von der Verbbedeutung ab. Die von den Verben geöffneten Leerstellen erfordern die Realisierung konkreter Argumente, die mit prototypischen Rolleneigenschaften korrelieren. Dieser Prozess wird von Dowty als protorole argument selection hypothesisbezeichnet. Die Protorolle zeichnet sich dabei durch konkrete Eigenschaftenbündel aus, die Cluster bilden und dadurch als Generalisierungen von semantisch verwandten Rollentypen zu verstehen sind. Dowty ordnet dem Proto-Agens und dem Proto-Patiens jeweils fünf unterschiedliche abstrakte Eigenschaften zu. Das Proto-Agens zeichnet sich durch „volitional involvement“, „sentience“, „causing an event or change of state in another participant“, „movement“ (in Opposition zu einem anderen Partizipanten) und „independence“ (ebd.: 572) aus. Zum Proto-Patiens gehören die Eigenschaften „undergoes change of state“, „incremental theme“, „affectedness by another participant“, „stationary“ (wiederum in Opposition zu einem sich bewegenden Partizipanten) und „non-existant independence“ (ebd.).2 Dowtys Listung prototypischer Eigenschaften ist stark an die Überlegungen von Hopper/Thompson (1980) angelehnt, die zu einer ähnlichen Merkmalsliste im Kontext von prototypischen transitiven Handlungen kommen. Entscheidend bei der Verknüpfung von Argumentrealisierung und semantischer Proto-Rolle ist, wie viele und welche dieser Eigenschaften eine NP im Gegensatz zu einer anderen NP enthält. Überwiegt die Anzahl der Proto-Agens-Eigenschaften, wird die entsprechende Konstituente als Subjekt des Satzes realisiert; eine höhere Anzahl von Proto-Patiens-Eigenschaften führt zu ihrer Realisierung als Objekt. Proto-Agens und Proto-Patiens bilden dadurch zwei Pole, die idealer- und damit prototypischerweise semantisch maximal unterschiedlich sind. Comrie zufolge müssen die oppositionellen Rollen als ein Kontinuum verstanden werden, auf dem die jeweiligen Eigenschaften einzelne Punkte entlang des Kontinuums darstellen (1981: 61). Das Konzept der Protorollen findet sich auch bei Langacker (1991), der diese als role archetypesbezeichnet. Neben Eigenschaften wie „physical activity“ und „physical contact“ ordnet Langacker einem archetypal agentvor allem das Charakteristikum [+BELEBT] zu (1991: 285). Analog zu der Annahme, dass das Patiens den oppositionellen Pol besetzt, wird diesem die Eigenschaft [-BELEBT] zugewiesen. Agens und Patiens stehen also in einem asymmetrischen semantischen Verhältnis, wobei dieses im Sinne der Prototypentheorie als ein graduelles zu verstehen ist. Während Dowty (1991) seine Ausführungen auf das Proto-Agens und das Proto-Patiens beschränkt, listet Langacker (1991) weitere Rollen wie den experiencer, der als „person engaged in a mental activity“ (1991: 285) definiert wird, die jedoch weniger ausführlich behandelt werden. Grundsätzlich gehen Dowty und Langacker gleichermaßen von einer Dichotomie zwischen einem Agens und einem Nicht-Agens aus. Rollenzuweisung ist damit auch automatisch ein Resultat von Relationen, was heißt, dass Rollenzuweisung stets kontextualisiert (sprich im Kontext einer transitiven Handlung) erfolgen muss. Langacker nimmt an, dass Rollendichotomien im Rahmen eines canonical evententstehen, das wiederum „the normal observation of a prototypical action“ (Langacker 1991: 285) repräsentiert. Innerhalb dieser kanonischen Handlung besteht eine kausale Relation zwischen einem Agens und einem Nicht-Agens. Die Relation zwischen den Handlungsaktanten bildet sich schließlich an der sprachlichen Oberfläche durch die Konstituentenabfolge S>O ab. Das prototypische canonical eventgeht so in ein prototypisch transitives syntaktisches Muster über (vgl. auch Langacker 2000b). Ein N>N-Satz wird aus Sicht der Prototypentheorie zum validesten Repräsentanten einer kanonischen Handlung, in der ein Agens auf eine bestimmte Art und Weise auf das Patiens einwirkt. Die Linearität dieser kausalen Ereignisse bezeichnet Croft als causal order hypothesis(1991: 186). Transitive außersprachliche Handlungskonzepte und transitive Satzstrukturen stehen somit in einem komplexen Interdependenzverhältnis, das Croft als „correlation between causal ordering and the grammatical relations hierarchy“ (1991: 186) zusammenfasst. Das Satzmuster als solches ist (genau wie das beschriebene abstrakte Pluralschema) semantisch motiviert, sodass anhand des Satzmusters ein Handlungsschema abgeleitet werden kann. Die Konstituentenabfolge N>N ist somit als bedeutungstragendes (und dadurch funktional motiviertes) Satzschema zu greifen. Dass syntaktische Strukturen und Muster für sich Bedeutungsträger darstellen, ist wiederum eine Kernannahme der Konstuktionsgrammatik. Aus konstruktionsgrammatischer Perspektive hat die Abfolge N>N genau wie andere Konstruktionen die Eigenschaft, als holistische Einheit gespeichert werden zu können (vgl. Lakoff 1987) und dem Dekompositionalitätsprinzip zu unterliegen (vgl. Goldberg 1995). Es wird also nicht in seine einzelnen Bestandteile zerlegt, sondern als Ganzes analysiert, sodass die Gesamtbedeutung einer syntaktischen Einheit nicht auf der Grundlage der Bedeutung einzelner Bestandteile generiert werden kann. Ziem/Lasch (2013: 83) folgern deshalb, dass die „sprachliche Einheit nicht atomarer Natur ist. Eine Konstruktion ist folglich immer komplexe Einheit von Vielheit“. Für das transitive Satzschema N>N ist es in einem Satz wie Der Mann sieht das Fahrradalso weitgehend irrelevant, dass er Lexeme wie Mann, Fahrradoder siehtenthält. Was zählt, ist die Verfügbarkeit von zwei Konstituenten und einem finiten Verb, die wiederum zu einem Ganzen zusammengefasst und mit einer kausal-transitiven Handlung verknüpft werden. Köpcke/Panther (2008) gehen in Hinblick auf dieses syntaktische Schema davon aus, dass ein transitiver Satz des Typs SVX3 (Subjekt > Verb > weitere Konstituente) nicht nur die prototypische Repräsentation einer transitiven Handlung, sondern gar der Prototyp eines Satzes sei. Sie begründen diese These unter anderem damit, dass sich in dieser Hinsicht entsprechende Prototypeneffekte bei Sprechern identifizieren lassen („When adults are requested to produce sentence tokens spontaneously, they usually come up with simple affirmative declarative sentences”, ebd.: 89) und der Beobachtung, dass sich andere Satztypen (Interrogativ- sowie Imperativsätze) in einen Deklarativsatz umwandeln ließen. Der SVX-Satz ist damit nicht nur der Prototyp für die Kodierung einer transitiven Handlung, sondern per se der Prototyp eines Satzes. Protototypikalität ist in der Kognitiven Grammatik sehr eng mit Überlegungen zur abstrakten Repräsentation von Mustern verknüpft. Zentral ist hierbei der Begriff des Schemas. Bußmann ( 32002: 583) definiert Schemaals „Form der Repräsentation von generalisiertem, soziokulturell bestimmten Wissen, das als Orientierung bei der Interpretation und zur Organisation von Erfahrungen dient“.4 Schemata stellen abstrakte Formen der mentalen Wissensrepräsentation dar, die einerseits existentes (kategorielles) Wissen bündeln und andererseits als kognitive Schablone dienen, um neues Wissen auf- und ausbauen (vgl. auch Anderson/Pearson 1984 sowie Rumelhart 1980). Ein Schema kann deshalb als Resultat eines Kategorisierungsprozesses und dadurch als abstrakte Einheit verstanden werden. Schemata sind Langacker (2000a: 3f.) zufolge Resultat von Abstraktionsprozessen (= schematization) und haben kognitiv den „status of a unit“ (ebd.: 3) inne. Sind solche abstrakten schematischen Einheiten verfügbar, können Informationen mithilfe dieser kognitiven Schemata automatisiert verarbeitet werden. Langacker (ebd.) bezeichnet diesen Automatisierungseffekt als entrenchment. Einzelne Merkmale müssen dann nicht mehr separat analysiert werden, sondern sind automatisch mitverfügbar, sobald ein Schema abgerufen wird. Mit Blick auf die Annahme, dass Kategorien hierarchisch strukturiert und um einen Prototypen herum konstruiert sind, sind Prototypen damit automatisch auch Schemata (vgl. Langacker 2000a: 69, Tuggy 2007: 89f.). So ist die auf - enauslautende zweisilbige Wortform sowohl die prototypische sprachliche Entsprechung der semantischen Einheit von Vielheit als auch ein Pluralschema. Wichtig ist, dass Schemata sowohl eine semantisch-konzeptuelle als auch eine sprachstrukturelle Ebene abdecken. In beiden Bereichen sind Schemata Resultat von Kategorisierungs- und Abstraktionsprozessen, sodass ein prototypisches Handlungsmuster AGENS → NICHT-AGENS als auch ein prototypisches transitives Satzmuster N>N (= S>O) existiert. Strukturelle sprachliche Schemata (wie das Pluralschema im Deutschen oder das Satzschema N>N) haben stets eine semantische Funktion und kodieren teils abstrakte semantische Konzepte. Die Ausbildung dieser semantischen Konzepte im Zuge der kognitiven Entwicklung von Kindern wird als sprachliche Vorläuferfertigkeit verstanden und mit dem bereits erwähnten Terminus der functional readinesserfasst (Bates/MacWhinney 1987b, MacWhinney 1987b, 1988). Langacker (1998: 3) zufolge ist der Prozess der semantischen Konzeptualisierung als „embracing any kind of mental experience“ zu verstehen. Kinder sind grundsätzlich in der Lage, ihre Umgebung auf unterschiedliche Art und Weise wahrzunehmen, indem sie mit den ihnen gegeben Sinnen mit der Umwelt interagieren. Um die Informations- und schließlich auch die Sprachverarbeitung maximal ökonomisch zu gestalten, werden Eindrücke und Erfahrungen zu abstrakten Kategorien beziehungsweise image schemas(Oakley 2007) zusammengefasst. Sprecher analysieren und abstrahieren dabei rekurrierende usage events, die als „an actual instance of language use“ (Langacker 2000a: 9) definiert werden können. Eine kanonische Handlung ist ein Beispiel für solch ein usage event. Functional readinessheißt deshalb, dass die Ausbildung des non-sprachlichen usage eventsdem Auffinden passender sprachlicher Realisierungsformen (sprich dem Satzschema N>N) vorangeht. Die Konzeptformation verläuft Mandler (1992: 589) zufolge im Kindesalter mittels der sogenannten „perceptual analysis“. Sie definiert diesen Begriff als a process in which a given perceptual array is attentively analyzed, and a new kind of information is abstracted. The information is new in the sense that a piece of perceptual information is recoded into a nonperceptual form that represents a meaning (ebd. 1992: 589). Dass der Mensch überhaupt zur Perzeption fähig ist, führt Mandler (2012: 422) auf die Verfügbarkeit einer Fähigkeit zurück, die sie als „perceptual meaning analysis“ (PMA) definiert. Mit PMA ist ein domänenübergreifender „single mechanism that uses a small set of path, motion, and spatial relation primitives to interpret spatiotemporal information“ gemeint, mit dem image schemasauf der Basis der räumlichen Perzeption aufgebaut werden (ebd.). Dieser Prozess basiert zunächst auf sensomotorischen Erfahrungen, die die Wahrnehmung und Kategorisierung der das Kind umgebenden Umwelt determinieren. Am Ende dieses Prozesses verortet Mandler (1992) die concept formation. Mandler differenziert drei Konzepte, die zentral für die kognitive Entwicklung des Kindes sind: das Belebtheits-, das Agentivitäts- und das Transitivitätskonzept. Kinder lernen zunächst, dass belebte Wesen in der Lage sind, sich eigenständig zu bewegen, wobei ihre Bewegungsrichtung non-linear verlaufen kann. Zudem sind belebte Wesen zur Interaktion mit anderen Objekten fähig, was Mandler als ‚Kontingenz ohne direkten physischen Kontakt‘ bezeichnet. Unbelebte Objekte tragen hingegen das Charakteristikum „caused motion“ (Mandler 2012: 434); eigenständige Bewegung ist ihnen nicht möglich, stattdessen müssen sie bewegt werden. Der Bewegungsverlauf ist dabei im Gegensatz zu belebten Wesen linear.5 Sobald diese einzelnen Konzepte ausgebildet sind, können sie in eine kausale Beziehung gesetzt werden. Dies ist der Grundstein zur Ausbildung eines Konzepts von Transitivität. Sobald Kinder verstanden haben, dass ihre Umwelt grob in belebte und unbelebte Objekte eingeteilt werden kann, setzen sie diese oppositionellen Konzepte zueinander in Beziehung, wodurch das Konzept der dichotomen Relation zwischen Agentivität und Nicht-Agentivität ausgebildet wird. Ausgehend von diesem auf Kausalität beruhenden Agentivitätsprinzip kann das abstraktere Konzept von Transitivität gefestigt und letztlich mit einer entsprechenden sprachlichen Form verknüpft werden. Kinder bilden somit prototypische transitive Handlungsmuster aus und verknüpfen diese dann mit passenden sprachlichen Mustern, vorwiegend mit prototypischen kanonischen Satzschemata. Form-function mappingheißt in diesem Zusammenhang, dass semantische Prototypen mit passenden formal-sprachlichen Prototypen verknüpft werden. Langacker (2000b: 25) zufolge ist diese Verknüpfung zwischen dem Handlungs- und dem Satzschema als „natural correlation“ zu verstehen. Die primäre Annahme für die sprachliche Entwicklung erster grammatischer Strukturen ist somit, dass eine semantische Rollendichotomie zwischen belebtem Agens und unbelebtem Nicht-Agens in Form einer dazu passenden grammatischen Struktur verpackt wird. Bereits Brown (1973) stellt für die frühen Spracherwerbsphasen fest, dass erste Kombinationen zweier nominaler Konstituenten (in Form von N+N) semantisch häufig ein Agens und ein Obejekt in Form einer kausalen linearen Handlung kodieren (zum Beispiel Kendall spider, vgl. Clark 2003: 169). Die Realisierung des Objekts vor einer agentivischen Rolle ist hingegen untypisch und kaum existent. Dieses Prinzip scheint sprachübergreifend zu gelten. Auch Tomasello (1992) weist nach, dass ein von ihm untersuchtes englischsprachiges Kind in der 3-Wort-Phase (mit ca. 19 Monaten) überwiegend Sätze mit einem belebten Agens und einem unbelebten Patiens verwendet, daneben wird vereinzelt auch ein belebtes Patiens gebraucht. Erst mit ca. 23 Monaten kommen Sätze mit unbelebtem Agens hinzu, wobei diese meist durch das neutrale Pronomen esbeziehungsweise das Relativpronomen dasrepräsentiert sind. Sätze mit belebtem Agens und unbelebtem Patiens bleiben jedoch im gesamten untersuchten Zeitraum (19–23 Monate) in der deutlichen Mehrheit. Auch Hodeweg/de Hopp (2010) weisen anhand einer korpusanalytischen Auswertung für das Niederländische nach, dass Kinder bei transitiven Sätzen in 92 % der Fälle ein belebtes Agens gebrauchen. Sätze mit neutralisierter Belebtheitsopposition (also mit zwei belebten oder unbelebten Aktanten) kommen in nur gut 5 % der Fälle vor. Erste syntaktische Muster bilden somit prototypische transitive Handlungsmuster ab. Der Konstruktionstyp N>N umfasst nicht nur die von Mandler angenommene Abbildung kausaler transitiver Handlungsmuster, sondern bildet auch die von ihr postulierte Belebtheitsopposition der beiden Aktanten ab. Dies wirkt sich in der Folge auch auf den Erwerb und den Gebrauch von Kasusmarkern zur Kennzeichnung semantischer Rollen aus. Slobin (1985) verweist darauf, dass Kinder zunächst belebte Subjekte und unbelebte Objekte mittels morphologischer Mittel markieren und erst danach beginnen, untypische Kombinationen morphologisch zu kennzeichnen. Mandlers Annahmen über die Existenz prototypischer transitiver Schemata, die zugleich spezifische Rolleneigenschaften enthalten, lassen sich damit im frühen Spracherwerb nachweisen. Die Abfolge zweier nominaler Konstituenten (N>N) dient im Erwerbsprozess der Abbildung einer belebten agentivischen (= N1) und einer unbelebten nicht-agentivischen Rolle (= N2). Basierend auf der Etablierung eines prototypischen kanonischen Satzschemas finden dann auch schrittweise morphologische Formen ihren Einzug ins grammatische System. Das semantische Konzept (= Transitivität) wird so schrittweise auf sprachliche Strukturen gemappt. Wenn ein N>N-Schema für Kinder unterschiedlicher Sprachen die erste prototypische Kodierung des transitiven Handlungsschemas [+AGENS]>[-AGENS] darstellt, muss angenommen werden, dass die Verwendung von [-AGENS]>[+AGENS]-Strukturen erst später im Erwerb folgen sollte. Diese als O>S-Sätze charakterisierbaren Muster stellen zwar ebenfalls transitive Schemata dar, sind jedoch untypisch, weil sie den natürlichen Handlungsablauf von ‚AGENS → PATIENS‘ zu ‚PATIENS ← AGENS‘ umkehren. Die Abweichung von der prototypischen Konstituentenabfolge ist hierbei zwar funktional motiviert, da die Topikalisierung des Objekts zum Beispiel mit einer expliziten Hervorhebung einzelner Aktanten hervorgeht, muss jedoch als pragmatisch markierter Fall betrachtet werden. Hopper/Thompson (1980) sprechen in diesem Zusammenhang von einer ‚Diskursmotivation‘, die in eine Dichotomie zwischen Vorder- und Hintergrund mündet. Die Verfügbarkeit von vordergründigen und hintergründigen Informationen ist wiederum besonders im Gesprächsdiskurs relevant (hier ist auch der Anteil von OS-Struturen im Deutschen am höchsten, s. Schlesewsky et al. 2000). Die syntaktische Topikalisierung nicht-agentivischer Aktanten muss deshalb als ein Mittel der Hervorhebung betrachtet werden. Für Lerner einer Sprache (L1 oder L2) ist dieses Mittel damit erst relevant, wenn sie über die sprachlichen Ressourcen verfügen, um an längeren Gesprächen teilzunehmen. Das Mittel der Hervorhebung ist letztlich der Pragmatik zuzuordnen und sollte dazu führen, dass sich die umfassende Nutzung von O>S-Sätzen erst im fortgeschrittenen Erwerb entwickelt. Die Bidirektionalität zwischen Handlungs- und Satzschema ist nicht nur beim mappingvon Formen auf Funktionen (also in der Produktion), sondern auch bei der Abbildung von Funktionen auf Formen, genauer in der Rezeption und Verarbeitung relevant. Das transitive Schema N>N bildet einen „stabilizing frame“ (Tomasello 2007: 1104), der die prototypischen semantischen Relationen zwischen einem Agens und einem Nicht-Agens evoziert. Diese Idee ist – wenn auch nicht explizit – eng angelehnt an das Konzept des syntactic bootstrapping. Dabei wird angenommen, dass erstens das lexikalische Lernen dem syntaktischen untergeordnet ist und zweitens Wortbedeutungen (dabei allen voran Verb- aber auch Substantivbedeutungen) auf der Basis eines syntaktischen Frames generiert werden (vgl. Fischer et al. 2010, Gleitman 1990, Naigles/Swensen 2007). Beispielswiese kann ein Sprecher durch die Verfügbarkeit von zwei Nominalphrasen eine kausale Relation zwischen den Phrasen und damit den beteiligten Aktanten annehmen: „[S]entence structures themselves are meaningful to children as well as adults, in a way not reducible to links between thematic roles and grammatical function“ (Fischer 2000: 11). Sprecher sind also in der Lage, über die Anzahl und die Abfolge der Konstituenten eine grobe Satzbedeutung zu generieren und den Aktanten spezifische Eigenschaften zuzuordnen. In diesem Zusammenhang können beispielsweise Kako/Wagner (2001) zeigen, dass Sprecher die Anzahl der Phrasen dazu nutzen, um die Bedeutung eines unbekannten Verbs zumindest einzugrenzen und somit die syntaktische Struktur an sich als structural cuezu gebrauchen. Bei zwei nominalen Konstituenten werden unbekannte Verben als transitiv interpretiert, bei nur einer als intransitiv. Der bootstrapping-Ansatz stellt damit das Satzschema an die Spitze eines Top-Down-Prozesses bei der Satzverarbeitung und beim Satzverstehen. Syntaktische Strukturen regulieren dabei die Generierung einer semantischen Skizze und erleichtern im Erwerb die Eingrenzung und Kategorisierung von Wortbedeutungen. Diese hierarchische Relation zwischen Syntax und lexikalischer Semantik weist darauf hin, dass syntaktische Strukturen als bedeutungstragende Einheiten beziehungsweise als Schemata fungieren, die dem Wissenserwerb dienen. Insgesamt lässt sich bisher folgern, dass sich das semantische Konzept der Transitivität in der Produktion im frühen Erwerb des N>N-Musters abbildet, in dem zugleich auch eine prototypische Belebheitsopposition zwischen einem belebten Agens und einem unbelebten Nicht-Agens kodiert wird. In der Rezeption dient das N>N-Muster Sprechern dann dazu, die syntaktische Struktur als Repräsentanten eines transitiven Handlungsmusters zu verarbeiten. Die Konstituentenabfolge im Satz erfüllt die Funktion, kausale Handlungszuammenhänge zwischen einem Agens und einem Nicht-Agens abzubilden. Auch Kasusmarker erfüllen die Aufgaben, dichotome semantische Rollen formal abzugrenzen. Eine formale Differenzierung zwischen Nominativ (NOM) und Akkusativ (AKK)6 dient dabei einer semantischen Differenzierung zwischen Agens und Patiens innerhalb von transitiven Konstruktionen (vgl. für das Deutsche für einen Überblick Dürscheid 1999). Comrie (1981: 119) verweist darauf, dass die meisten NOM-AKK-Sprachen dazu tendieren, nur den Akkusativ mittels eines Affixes zu markieren, der Nominativ ist morphologisch unmarkiert. Kombiniert mit den prototypischen dichotomen Eigenschaften der semantischen Rollen heißt dies, dass über eine oblique morphologische Veränderung einer NP auf Nicht-Agentivität geschlossen werden kann. Bleibt die NP hingegen morphologisch unmarkiert, so ist dies ein Indikator für Agentivität. Kombiniert mit den prototypischen Satzpositionen von Agens und Patiens heißt dies, dass in einer N>N-Struktur das morphologisch unmarkierte Agens als N1 und das morphologisch markierte Patiens als N2 realisiert wird. Comrie (1981) und Langacker (1991) verweisen zudem darauf, dass auf formaler Ebene die Definitheit eine wichtige Rolle spielt. Ein Agens ist prototypisch definit, ein Patiens hingegen indefinit. Daraus lässt sich ableiten, dass Agens und Patiens neben distinktiven semantischen auch prototypische morphologische und syntaktische Merkmale aufweisen. Formale und semantische Eigenschaften stehen in einem komplexen Interdependenzverhältnis, da einerseits die semantischen Merkmale die formalsprachliche Ebene motivieren (indem zum Beispiel das entsprechende Satzmuster N>N entsteht) und andererseits über die einzelnen formalen Merkmale auf die dahinterliegenden semantischen Konzepte geschlossen werden kann. Abbildung 2 fasst die prototypischen semantischen und formalen Eigenschaften eines Proto-Agens und eines Proto-Patiens zusammen und macht darüber hinaus deutlich, dass Agens und Patiens ein Kontinuum bilden, an dessen oppositionellen Enden die prototypischen Eigenschaften zu finden sind. Die jeweiligen Eigenschaften müssen nicht gemeinsam auftreten, sodass Varianzen und Dynamizität im Rahmen des Kontinuums denkbar sind (indem zum Beispiel das Patiens belebt ist und damit potentiell auch Handlungsträger sein kann). Abbildung 2: Semantische und formale Prototypikalität von Agens und Patiens In Hinblick auf das Deutsche findet sich eine Reihe von korpusanalytischen Studien, die entweder einzelne Eigenschaften aus der Übersicht oder das Zusammenspiel einzelner Merkmale untersuchen. So zeigen beispielsweise Bader/Häussler (2010) sowie Müller/Weber (2004), dass in SO-Sätzen das Subjekt (und dadurch in der Regel das Agens) definit, das Objekt (und damit das Nicht-Agens) hingegen indefinit ist.7 Die Belebtheitsdichotomie (Agens [+BELEBT] vs. Patiens [-BELEBT]) scheint ebenfalls ein typisches Merkmal von SO- und OS-Sätzen zu sein. Bader/Häussler (2010) kommen zum Beispiel zu dem Fazit, dass diese Dichotomie zu 60 % für SO- und 80 % für OS-Sätze gilt, sofern diese ein akkusativmarkiertes Objekt enthalten. Mit Blick auf die Zuverlässigkeit, die die in Abbildung 2 gelisteten formalen Merkmale jeweils innehaben, muss die morphologische Markierung als diejenige herausgestellt werden, die am deutlichsten machen kann, ob eine NP eine agentivische oder nicht-agentivische Rolle kodiert. In Hinblick auf die Kennzeichnung nicht-agentivischer Rollentypen muss hierbei zwischen den Funktionen des Akkusativs und Dativs differenziert werden. Anders als der Akkusativ wird der Dativ prototypisch für die Markierung indirekter Objekte gebraucht, die wiederum in der Regel mit der semantischen Rolle des Rezipiens8 korrespondieren. Wie das direkte Objekt, tritt auch das indirekte Objekt immer in einer transitiven sowie auch ditransitiven Konstruktion auf und ist damit Bestandteil einer kausalen Handlung, die von einem prototypischen Agens ausgeführt wird. Langacker (1991: 327) unterscheidet deshalb zwischen dem Subjekt als source domainauf der einen und der target domainin Form eines direkten oder indirekten Objekts auf der anderen Seite. Im Kontext der Prototypikalisierung semantischer Relationen differenziert Langacker weiterhin zwischen direkten und indirekten Objekten als Repräsentanten passiver und aktiver Handlungsbeteiligter: „[A]n active participant is one that functions as an original source of energy and thereby initiates[Herv. i.O.] an interaction“ und kann letztlich als ein active experiencerdefiniert werden (Langacker 1991: 327). Typischerweise gehen dativmarkierte Objekte als Kodierungsformen eines Rezipiens mit Transferverben wie helfenund gebeneinher, die eine teilweise Aktivität des nicht-agentivischen Gegenübers implizieren.9 Anders als das Patiens kann das Rezipiens folglich agentivische Eigenschaften mitbringen, wie zum Beispiel das Merkmal [+BELEBT], sowie eine teilweise Selbstständigkeit und Involviertheit im Rahmen einer Handlung. Eine semantische Abgrenzung zwischen den eigentlich dichotomen Rollen Agens und Rezipiens kann somit nicht mittels klarer Grenzen im Sinne eines eindeutigen Belebtheitskontrastes erfolgen, sondern muss vielmehr im Kontext einer von Primus (2006) vorgeschlagenen involvement- beziehungsweise dependency-Hierarchie erfasst werden. Je höher der Grad des involvement, desto wahrscheinlicher ist die Realisierung eines Arguments als Agens. Je höher der Grad der dependency, desto eher handelt es sich um ein Patiens. Ein Rezipiens steht zwischen diesen beiden Extrempolen: Es ist weniger involviert als das Agens, jedoch auch weniger abhängig als das Patiens. Dadurch nimmt es semantisch gesehen Eigenschaften beider Rollen an. Entsprechend wäre das Rezipiens in Abbildung 2 zwischen den beiden Polen einzuordnen. Anders als die klaren semantischen Oppositionen zwischen Agens und Patiens werden die Grenzen zwischen Agens und Rezipiens also merklich unschärfer, da beide prototypisch die Eigenschaft [+BELEBT] mitbringen. Dass das indirekte Objekt dem Subjekt jedoch trotzdem hierarchisch untergeordnet ist, wird wiederum durch eine entsprechende Satzposition sowie eine oblique Kasusmarkierung deutlich. Wie auch das Patiens, wird das Rezipiens in einer transitiven Konstruktion nämlich nach dem Subjekt realisiert, wodurch die kausale Relation zwischen den beiden Aktanten abgebildet wird. Zusätzlich wird das Rezipiens oblique markiert. Die overte oblique Kasusmarkierung im Dativ ist offenbar genau deshalb nowendig, weil die semantischen Grenzen besonders im Bereich der Belebtheit verschwimmen (s. dazu Kapitel 2.4). Zusammengenommen existieren aus Sicht der Prototypentheorie abstrakte transitive Handlungsschemata, die in Form eines Satzschemas kodiert werden, in dem die Konstituentenabfolge N>N die kausale Relation zwischen Agens und Nicht-Agens repräsentiert ([+AGENS]>[-AGENS]). Diese natürliche Korrelation ist auch der Grund dafür, warum die Abfolge N>N sowohl im Deutschen als auch im Niederländischen und Russischen prototypisch die Konstituentenabfolge S>O beziehungsweise AGENS > NICHT-AGENS kodiert. In allen drei Sprachen implizieren die beiden nominalen Konstituenten zugleich eine prototypische Dichotomie zwischen einem belebten und einem unbelebten Aktanten. Die Korrelation zwischen semantischer Rolle und Konstituentenabfolge wird in Sprachen, die über ein Kasussystem verfügen, um prototypische Kasusmarker beziehungsweise Kasuskategorien ergänzt. Das Agens ist dabei in aktivischen Bedingungen nominativ-, die nicht-agentivischen Rollen akkusativ- oder dativmarkiert. Die konkrete Kasuskategorie (AKK vs. DAT) ergibt sich auf der Basis des Grads der Involviertheit des nicht-agentivischen Aktanten. Auch dies ist eine sprachübergreifende Tendenz, da die dahinterliegende Funktion semantischer Natur ist und somit losgelöst von einzelsprachlichen formalen Prinzipien greift. Semantisches Konzept, Satzstruktur und Kasusmarker sind letztlich in allen hier untersuchten Sprachen interdependent; die Abbildung semantischer Rollendichotomien erfolgt mithilfe dichotomer syntaktischer Positionen und morphologischer Formen. Die im Kontext von transitiven Handlungsstrukturen enthaltene Involviertheitshierarchie der beteiligten Aktanten ist eng verknüpft mit ihrer Belebtheitseigenschaft, wodurch auch spezifische Kasuskategorien mit spezifischen Belebtheitsmerkmalen korrelieren. Der Umstand, dass Sprachen wie das Deutsche oder das Russische sich sowohl syntaktischer als auch morphologischer Mittel zur Kodierung semantischer Rollenrelationen (= many-to-one mapping) bedienen (s. Kapitel 2.2), führt schließlich zu einer formalen Konkurrenzsituation, die sich auf die bereits skizzierte Variabilität der S>O-Struktur und damit auch auf die Validität des Satzschemas bei der Satzverarbeitung auswirkt. Bevor die Zuverlässigkeit der beiden Strukturen in Hinblick auf ihr Potential, semantische Relationen zu kodieren, aus einer Erwerbs- und Verarbeitungsperspektive näher beleuchtet wird, soll zunächst der Zusammenhang zwischen Kasusformen, Synkretismen sowie Belebtheitsmerkmalen im Kasussystem betrachtet werden. Dies ist notwendig, wenn erfasst werden soll, welche Funktionen L1- und L2-Sprecher mit spezifischen Kasusformen des Deutschen verknüpfen. Конец ознакомительного фрагмента. Текст предоставлен ООО «ЛитРес». Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.
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