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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation
in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische
Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.deabrufbar.
© 2022 Verlag Anton Pustet
5020 Salzburg, Bergstraße 12
Sämtliche Rechte vorbehalten.
Lektorat: Markus Weiglein
Grafik und Produktion: Nadine Kaschnig-Löbel
Coverfoto: Si-yue Steuber/ shutterstock.com
Auch als gedrucktes Buch erhältlich,
ISBN 978-3-7025-1045-9
eISBN 978-3-7025-8091-9
www.pustet.at
Günther Marchner
Das
Innere des Landes Roman
Prolog
Die Nachricht
Das Haus
Der Fund
Die Nachbarin
Gespräche
Das Angebot
Am Lagerfeuer
Die Wanderung
Der Bauer, der keiner ist
Gespräch mit einer alten Frau
Sarahs Modelle
Am Sterbebett
Der Entschluss
Epilog
Nachtrag und Dank
Aus Angst vor der Wahrheit, die sie zu erahnen beginnt, aber nicht hören möchte, hält sie an der Hoffnung fest. Allein ihr Glaube schwindet von Tag zu Tag. Schließlich hofft sie nur noch auf eine eindeutige und entschiedene Klarheit, anstatt in quälendem Zwiespalt zu verharren.
Als sie die Nachricht vom Tod ihres Mannes erhält, ist der Krieg schon mehrere Wochen vorbei. In dieser ersten Zeit nach dem Ende des Schreckens. In einer neuen Sicherheit und in der geschwundenen Aussicht zu erfahren, dass er noch am Leben sein könnte. Er sei bei den letzten Kriegshandlungen gefallen, beim Rückzug erschossen, wird ihr mitgeteilt. An dieser sich auflösenden, noch von ein paar Fanatikern brutal mit Todesdrohungen zusammengehaltenen Front, zur sinnlosen Abwehr eines übermächtigen Gegners, schreit sie in ihrem verzweifelten Zorn.
Der Überbringer der Nachricht schweigt, ein Mann aus dem Dorf, nun Mitarbeiter der neuen Verwaltungsmacht.
Für den Spätsommer erwartet sie ihr Kind, ohne Vater, ohne Mut und Kraft, ohne Vorstellung, wie es weitergehen soll. Von Freunden ihres gefallenen Mannes erfährt sie, was sie befürchtet und geahnt hat. Er hatte den Krieg wie das Regime verabscheut und sich Feinde gemacht. Zwar war er klug genug gewesen, eine offene Konfrontation zu vermeiden. Aber die Sache war doch klar. Seine Kontrahenten hatten ihn in den letzten verzweifelten Kriegswochen absichtlich unlösbaren Befehlen und tödlichen Gefahren ausgesetzt. Genau dort, wo man unzuverlässige und verdächtige Personen haben wollte, nach all den Androhungen fanatischer Ortsmächtiger in den letzten Monaten und Jahren zuvor.
Sie übersteht die kommenden Monate bis zur Geburt ihres Kindes. In einer neuen Ordnung ohne Angst und Gewalt, die viele aufatmen lässt. Wie gelähmt versucht sie durch die erste Zeit zu kommen, durch einen Friedenssommer, den ersten seit vielen Jahren. An dem sie so nicht teilhaben kann. Der so nicht ihrer ist. Das Ende des Krieges, in dieser Weise, hat ihr keinen Frieden gebracht, sondern stille Verzweiflung und Wut. Sie versorgt ihre Tiere, sie verfügt über einen Garten, mehrere Wiesen und Holz. Sie funktioniert. Sie vergräbt sich in die anfallende Arbeit, im Haus und draußen im Garten, auf den Wiesen, im Wald. Ihre Mutter unterstützt sie in den letzten Wochen vor der Geburt und danach, um die erste Zeit mit ihrem Neugeborenen, einem Mädchen, zu bewältigen.
Nun lebt sie allein mit ihrer Tochter, als Witwe im fremden Haus und kleinen Gehöft ihres gefallenen Mannes. Es ist das Haus seiner früh verstorbenen Eltern, das sie übernommen hatten, nachdem seine ältere Schwester in die Stadt geheiratet hatte, noch vor dem Krieg.
Zögernd und schmerzvoll lebt sie sich in das neue Leben ein.
Bis die Schwägerin und deren Mann vor der Tür stehen, ausgebombt, geflüchtet aus der Stadt, ohne Dach über dem Kopf. Auf der erfolglosen Suche nach einer vorläufigen wie erträglichen Bleibe hat es die Schwägerin, die vom Tod ihres Bruders erfahren hatte, ins Dorf zurückgezogen.
Selbstverständlich können sie bleiben! Wie könne sie auch ablehnen?
Kommt herein! Fühlt euch wie zu Hause!
Sie rücken zusammen und helfen einander. Sie kochen und essen gemeinsam. Sie kümmern sich gemeinsam um Versorgung und Haushalt. Der Mann der Schwägerin sucht nach Arbeitsmöglichkeiten, die es in dieser Gegend nicht gibt. Er versucht sich nützlich zu machen, wo er kann, aber er kann es nicht. Die Schwägerin verspricht ihr, sie zu unterstützen. Sie gehöre ja schließlich zur Familie.
Die ersten Monate ist es schön, diese neue wie unklare Zeit gemeinsam zu verbringen und ein wenig zuversichtlicher in eine unbekannte Zukunft zu blicken. Mit ihrer Tochter, die nicht nur von der Großmutter umsorgt, sondern auch von der unerwarteten Tante im Haushalt umgarnt wird. Die darauffolgenden Monate erscheinen ihr beinahe wie in goldenes Licht getaucht.
Dann kommt es doch, was sie geahnt hat, aber nicht erwarten wollte.
Die Schwägerin klagt.
Wo sollen wir hin? Unsere Wohnung ist für immer verloren, wir wissen nicht wohin. Wir haben nichts mehr, mein Mann findet keine Arbeit. Und ich? Ich bin in diesem Haus aufgewachsen, in dem ich jetzt zu Gast bin, das nun dir gehört.
Ist es nicht unrecht, dass sie kein Haus und keinen Anspruch auf ihr Geburtshaus habe?
Das Thema ist auf dem Tisch.
Ob es rechtens sei, dass eine Zugeheiratete dieses Haus allein für sich beanspruchen könne? Sie habe doch als Schwester gewiss auch ein Anrecht darauf, da sei doch so einiges nicht geregelt. Sie fühle sich ungerecht behandelt, sie sei nicht ausgezahlt worden. Es gebe zwar kein Testament, aber immerhin einen Brief, in dem ihr der Bruder etwas versprochen hatte, eine Abgeltung, später einmal. Aber jetzt?
Sie ist entsetzt, erschrocken, fassungslos. Sie weiß von alldem nichts. Nur einmal, nebenbei, hatte ihr Mann etwas erwähnt, was noch zu regeln sei, aber es war kein Gesprächsthema mehr, in diesem Krieg, in dieser Zeit. Und nun gerät sie ins Visier. Ein Vorwurf steht im Raum, dass etwas nicht richtig, nicht ordentlich gelaufen sei.
Sie weist die Schwägerin darauf hin, dass sie das nicht gewusst habe und dass sie nun hier lebe. Wie stelle sie sich einen Anteil vor, nachdem sie nichts habe? Sie habe sie doch aufgenommen. Sei das ihr Dank?
Es kommt zum Streit. Ein Streit, der keine Lösung bringt, bis er im Schweigen einfriert. Bis klar wird, dass sie so nicht unter einem Dach leben können. Bis der Mann der Schwägerin ein Arbeitsangebot erhält. Bis die beiden schließlich ausziehen, zurück in die Stadt, die ihnen neue Möglichkeiten bietet. Aber die Sache bleibt offen. Ein über die Jahre dahinschwelender, aber schließlich erkalteter Streit, der auf einen Ausbruch wartet, zum gegebenen Anlass.
In den ersten Jahren kann sie sich mit ihrer kleinen Tochter behaupten. Einige Nachbarn und ihre Freunde stehen ihr bei. Ihre Mutter kümmert sich um die Enkelin, während sie einer Arbeit nachgeht. Es ist eine Stelle für die Verwaltungsmacht, deren Vertreter sie bei der Anstellung bevorzugen, denn ihr gefallener Mann war Gegner des untergegangenen Regimes gewesen, was jene seiner Freunde, die noch leben, bezeugen.
Nicht nur wegen dieser Bevorzugung allein teilt sich der Ort. Er teilt sich wegen vieler Angelegenheiten entlang alter, aber noch frischer Gegensätze. Gegensätze, die unauffällig weiterschwelen und gelegentlich zum Ausbruch kommen. Zwischen Gegnern des untergegangenen Regimes und seinen Befürwortern und Nutznießern. Zwischen tatsächlichen Opfern und denjenigen, die sich für Opfer halten.
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