Das ist aber schon lange her.
Na ja, aber es ist immer noch präsent. Sie werden sehen. Wer es sich leisten konnte, damals, Adelige und reiche Bürger konnten das, die hielten sich in diesen Kurgebieten in den Sommerferien auf. Sie waren entspannt, sie hatten Zeit, sie konnten reden und flanieren, manche waren kreativ. Menschen komponierten, schrieben und verkehrten über Briefwechsel. Über Briefe, die man sich zwischen den verschiedenen Kurorten quer durch Europa gegenseitig zusandte, so wie man es heute per Mobiltelefone tut, nur langsamer und intensiver. Die Bürger zogen in Bauernhäuser, die sie mieteten, manchmal auch kauften. Oder sie errichteten Villen. Manche dieser Gebäude liegen versteckt, oft zugewachsen von verwunschenen Gärten. Oder sie zogen in diese schnuckeligen Häuschen mit Salettl, wie dieses hier.
Und die Leute von hier?
Die Leute von hier? Sie meinen richtige Einheimische, die immer schon hier waren? Aber das weiß man nicht so genau. Die Leute lebten – früher, damals – irgendwie vom Salz und von allem rundherum. Heute spielt das nur noch eine geringe Rolle. Aber im Mittelalter, als das im großen Stil begonnen hatte, da war Salz das Salz des Lebens.
Salz des Lebens?
Dann erzählt ihm die Nachbarin ein bisschen vom Salz des Lebens. Dass es ohne dieses Salz keine haltbaren Lebensmittel geben konnte. Dass die Herren des Landes das Bergrecht und das Salzmonopol besaßen. Dass das Salz im Mittelalter und noch Jahrhunderte später eine Quelle des Reichtums war. Dass es nicht nur um das Salz alleine ging, sondern dass irgendwie alle rundherum davon lebten. Nicht nur die Bergleute, die Stollen schlugen, Wasser einleiteten und die Sole herauspumpten. Nicht nur die Leute im Salzsud und die Pfannmeister, die daraus Salz produzierten. Nicht nur die Leute, die das Brennholz schlägerten, die Holzwirtschaft organisierten und das Holz aufbereiteten. Auch die Fuhrleute, die Salz in alle Gebiete transportierten, in die Städte mit Niederlagsrechten, oder schwarz über die Almen, und als Gegenware alles Mögliche zurückbrachten. Oder Gewerbe, die notwendig waren, damit das Salinensystem überhaupt funktionierte: Zimmerer, Tischler, Sägewerker, Sattler, Wagner, Wegmacher, Schmiede, Wirtsleute oder Herbergsbetreiber. Nicht zu vergessen die Bauern, die ihre Überschüsse zur Versorgung der Salinen bereitzustellen hatten. Die meisten Salinenarbeiter waren ebenfalls kleine Bauern. Sie hatten jeweils ihre Tiere, ihre Gärten zur Selbstversorgung, ihre Alm- und Holzrechte. Sie waren nicht reich. Aber sie waren auch nicht arm. Es handelte sich um eine beständige Welt, mit mehr Kontinuität und weniger Unsicherheit als anderswo. Die Leute wurden ja gebraucht. Ja, die Saline brauchte sie.
Ich hoffe, ich red Ihnen nicht zu viel, bitte bremsen Sie mich.
Woher wissen Sie das alles?
Ich stamme väterlicherseits aus einer sehr alten Familie in der Gegend, die Vorfahren waren Kaufleute und gehörten zu den Hallingern, so zumindest der Familienmythos. Man tut halt so und legt viel Wert auf diese Wurzeln. Aber ich glaube, dass es sich mehr um eine Einbildung handelt als um ein nachweisbares Faktum. Diese Hallinger hatten mit Salzaufbereitung und dem Salzhandel zu tun. Sie waren reich, auch einflussreich. Irgendwann hab ich mich mit dieser Geschichte befasst.
Wieso wird um diese Gegend so ein Hype gemacht? Ich begreife das nicht.
Ja, ein Tamtam. Die Landschaft hat sich zur Mode, zur Marke entwickelt. Es trieft vor lauter Klischees. Es hat mit der Sehnsucht nach Zugehörigkeit und Identität, nach dem Besonderen und Originellen zu tun. Und gerade hier wird das in besonderem Maße zelebriert. Sie wissen doch, wir sind alle so zerrissen, in jeder Hinsicht. Aber es gibt natürlich mehrere derartige Gegenden, die an ihren eigenen Klischees ersticken, besser, vielleicht wegen der Seen, darin ersaufen.
Allerdings gibt es hier tatsächlich viel Eigensinniges, viele Spinner und Eigenbrötler, einen verbreiteten Widerstand gegen die unhinterfragte Übernahme alles Neuen, einen beinahe unschuldigen Konservativismus, einen Stolz auf das besondere Eigene, auch wenn es manchmal lächerlich wirkt.
Diese Gegend ist für mich eine gemeinsame Erfindung aus Einheimischen und Zugewanderten, die sie zu Tode lieben. Eine merkwürdige Mischung aus bürgerlicher Urbanität und wüster Ländlichkeit, aus spielerischer Landromantik und grauenhaftem Traditionalismus.
Oh, oh, oh.
Lachen Sie nicht. Ich bin ja selber so eine Mischung. Oder egal: Lachen Sie doch einfach!
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