Bis vor ein paar Tagen das Telefon geläutet hatte.
Ob man hier richtig sei bei ihm. Ob er die Mail erhalten habe, die man ihm vor drei Wochen geschickte habe.
Die Mail? Nein! Ja doch. Also Sie sind das? Ja, er war beschäftigt gewesen und hatte noch keine Zeit zu antworten.
Wir dachten uns, wir kontaktieren Sie und fragen noch einmal nach, ob Sie die Nachricht überhaupt erhalten haben. Wir haben vergeblich auf eine Antwort gewartet, so die Stimme mit Akzent.
Er habe keine Ahnung, worum es gehe. Woher sie seine Nummer hätten, hatte er noch unfreundlich zurückgefragt.
Natürlich von den Kontakten zu seinen Eltern. Mit seiner Großmutter hätten sie ohnehin jahrelang zu tun gehabt.
Er versuchte zu begreifen, was ihm gerade mitgeteilt worden war. Er merkte, dass es da etwas gab, was ihn betreffen sollte. Er hatte sich bisher einfach nicht darum gekümmert, es war weit weg.
Wer das war, hatte sie ihm aus dem Wohnzimmer zugerufen, nachdem sie das Telefonat mitbekommen hatte, das anders war als sonst, nichts Vertrautes, Routiniertes, Übliches war zu hören gewesen.
Nichts Besonderes, es gehe um das alte Haus seiner verstorbenen Großmutter, das gehöre jetzt ihm. Er habe es geerbt, sie wisse das ja, oder nicht? Es gebe ein paar Dinge zu klären, hätte man ihm gesagt. Aber er habe noch keine Zeit gehabt, sich um die Angelegenheit zu kümmern, falls es überhaupt etwas gäbe, was er sonst tun sollte, als diese Angelegenheit möglichst schnell loszuwerden, das heißt: zu verkaufen.
Aber da hatte sie ihm schon gar nicht mehr zugehört.
Seine Gedanken daran versucht er während seiner Laufrunde um den See abzuschütteln. Das Haus sei sanierungs- und reparaturbedürftig, hatte es geheißen. Der Anruf war von jener Agentur gekommen, die die Betreuung dieses Hauses innehatte, auf gutwilliger Basis, wie ihm gesagt wurde, schon seit sehr vielen Jahren. Oder war es ein Nachbar? Er brachte alles durcheinander. Auf alle Fälle sei etwas zu klären oder zu tun, war ihm mitgeteilt worden. Die Mieter seien vor drei Jahren ausgezogen, das Haus stehe leer, ungenutzt.
Was er denn nun damit machen wolle?
Damit? Womit?
Mit dem Haus natürlich.
Er weiß es nicht. Er weiß erst seit kurzer Zeit, dass er überhaupt über ein Haus verfügt.
Es sei einiges zu reparieren und vor allem zu regeln.
Zu regeln? Könne das Haus nicht einfach verkauft werden? Er habe ja damit nie etwas zu tun gehabt und auch keinerlei Interesse daran. Könnten nicht Sie das für mich übernehmen?
Man könne das schon für ihn machen, aber das kostet und man müsse eine Vereinbarung treffen. Und irgendwie müsse man wegen einiger Dinge ständig rückfragen. Das scheint einfach zu kompliziert zu sein. Es gehe doch um einiges, und dann diese Entfernung. Spielt das für Sie keine Rolle?
John weiß nicht, was er sagen soll, weil er nicht weiß, was hier welche Rolle spielen soll.
Es scheint komplizierter zu sein, als er bisher dachte, und es erscheint auch so, dass die Sache aus der Ferne nicht zu regeln ist. Zumindest nicht zufriedenstellend, so der Agenturmitarbeiter am Telefon. Er rate John, sich die Sache selbst anzusehen, sich ein Bild zu machen. Vielleicht könnte er einige Tage in die Gegend investieren, um die Angelegenheit vernünftig zu lösen.
Dann hatte John seine Sachen fürs Wochenende gepackt. Seine Unterlagen hatte er in den alten Koffer mit den vielen Fächern gegeben, ebenso den Computer. Er hatte noch überlegt, ob er erst am nächsten Tag morgens fahren sollte, sich jedoch besonnen und alles ins Auto geräumt.
Ob sie mitfahre, hörte er sich fragen. Aber es schien ihm ohnehin sinnlos.
Sie blickte zu ihm.
Nein! Wie er ohnehin wisse, habe sie schon was anderes vor.
Das weiß er eben nicht.
Es sei besser, sie halten Abstand zueinander, meinte sie. Sie sei durcheinander, sie habe das Gefühl für ihn verloren, füreinander.
Er kannte diesen Satz, diese Botschaft, seit einiger Zeit, seit den letzten Monaten. Auf dieser Ebene verkehrten sie inzwischen. Distanziert beurteilten sie ihre Beziehung, ihre Frustration, ihre Sackgasse.
Was sie denn vorhabe, wollte John wissen.
Sie fuhr ihn an. Kontrollierst du mich? Sie werde den gemeinsamen Sohn besuchen, er sei mit seiner Freundin zusammengezogen, vor Kurzem.
Er wisse darüber Bescheid, antwortete er ihr reflexartig und geflissentlich, er habe ja mit ihm gestern telefoniert. Er wollte eigentlich, dass er mit zur Lodge fährt. Aber er habe Prüfungen, auf die er sich vorbereiten müsse, so der Sohn. Durch den Umzug habe er Zeit verloren, er müsse sich konzentrieren. Er fehlt mir, sagte John abschließend. Er dachte daran, wie sich ihr Sohn vor ein paar Monaten zurückgezogen hatte, als sie beide vergeblich versucht hatten, ihn jeweils auf ihre Seite zu ziehen, ihn jeweils für sich zu gewinnen. Doch er spielte nicht mit.
Werdet erwachsen, sagte ein 22-Jähriger zu seinen Eltern.
Und nun fährst du zu ihm?
Er bemerkte das irritiert und eifersüchtig.
Aber da war sie schon weg.
Es musste sich zwingen, Schritt für Schritt ein Ding nach dem anderen zu tun, sich nicht fallen zu lassen. Aber warum eigentlich nicht? Warum sich nicht einfach der Verzweiflung hingeben und einfach gehen lassen?
Danach hatte ihn ein Schwall an Einsamkeit und ein verzweifeltes Beharren auf ein entspanntes Wochenende befallen. Als er sich durch den frühabendlichen Verkehr gekämpft hatte, hinaus in den Wald, in die Natur. Als er sich im Haus am See eingenistet, ein Bier geöffnet und versucht hatte, auf dem Sofa entspannt die Unterlagen zu sichten, die er in den folgenden Tagen in Ergebnisse verwandeln sollte. Als er gemerkt hatte, dass er dazu nicht in der Lage war. Als er den Computer eingeschaltet und begonnen hatte, gedankenlos herumzusurfen, auf der Suche nach Neuigkeiten auf den üblichen Filmportalen, um sich im Wald auf der Couch zu zerstreuen.
Beim Laufen kann er seine Gedanken in Fluss bringen. Aber er soll nicht immer nur denken, nicht so viel. Aber nun geht ihm die Sache wieder durch den Kopf, um die er sich kümmern sollte. Dieses Haus, quasi über Nacht geerbt. Und sofort kostet es Geld, so wie es aussieht. Als er noch einmal genauer nachgefragt hatte, teilte ihm der Agenturmitarbeiter mit, dass die langjährigen Mieter ausgestiegen seien, dass kein Geld mehr hereinkomme. Einerseits sei das Haus in diesem Zustand kaum mehr zu vermieten, so dessen Einschätzung. Andererseits wäre da auch noch eine Kleinigkeit. Ein alter Streit sei offensichtlich wieder aufgeflammt, wovon sie gar nichts gewusst hätten. Verwandte seien aufgetaucht, sie würden Anteile beanspruchen, falls das Haus verkauft werde. Die seien zwar nicht im Grundbuch verankert. Aber das müsse trotzdem geklärt werden. Die laufenden Kosten konnten bisher über die Vermietung hereingebracht werden. Aber nun müssten sie verrechnet werden, das müsse geregelt werden, darum müsse man sich eben kümmern, das heißt: Er, der neue Eigentümer, müsse das tun.
Nun läuft er eine andere Strecke als die vielen sonstigen Male. Er biegt rechts ab, entfernt sich vom See und läuft in den Wald hinein.
Was tun?
Einfach verkaufen, warum geht das nicht?
Das Problem sei, so der Agenturmitarbeiter, dass die Verwandten – Kennen sie die gar nicht? – einen Rechtsanwalt beauftragt hätten, sich mit der Sache zu befassen, soviel er gehört habe. Es wundere ihn, dass sich dieser bei ihm noch nicht gemeldet habe. Aber sie wussten nach dem Tod der Großmutter wahrscheinlich gar nicht, mit wem sie wie in Kontakt treten sollten. Sie behaupten, ihnen stünde ein Erbteil zu. Das müsse geklärt werden.
Ob er auch einen Rechtsanwalt beauftragen solle?
Das könne er nicht sagen, es liege ihm fern und er fühle sich dazu auch nicht in der Lage, ihm Empfehlungen zu machen, außer, dass er sich darum kümmern sollte. Es werde ihm nicht viel anderes übrig bleiben, als sich direkt ein Bild zu machen, sich der Sache anzunehmen, sich vielleicht mit den unbekannten Verwandten an einen Tisch zu setzen, wenn das gehe.
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