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Vor dem Hintergrund dieser enormen rechtspolitischen Brisanz verwundert es, dass das Thema der Fremdpersonaleinsätze im Zusammenhang mit Compliancenoch immer eine sehr untergeordnete Rolle spielt.[7] Mit Blick auf die rechtlichen Compliance-Debatten der vergangenen Jahre mag dies daran liegen, dass die Vielzahl selbst aktueller Beiträge – den Ursprüngen der Compliance-Bewegung folgend – einen besonderen Fokus auf die bekannt haftungsträchtigen Bereiche wie etwa der Kartell- und Korruptionsbekämpfung legen.[8] In Folge dessen ist es dann auch mit Blick auf die unternehmerische Praxis zu erklären, dass die Vergabe von Werk- und Dienstverträgen in vielen Fällen noch immer durch die Einkaufsabteilungen der Unternehmen erfolgt und hierbei weder die Compliance-Abteilungen noch die arbeitsrechtlichen Experten der Rechts- und Personalabteilungen eingebunden sind.[9]
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In der Praxis führt dieses Fehlen systematischer Implementierungs- und Kontrollsysteme bei der Vergabe von Werk- und Dienstverträgen häufig dazu, dass die Risiken im Zusammenhang mit einer vermeintlichen (Schein-)Selbstständigkeit erst nach vielen Jahren und damit erst zu einem Zeitpunkt in das Blickfeld der Verantwortlichen geraten, zu dem das „Kind“ sprichwörtlich bereits „in den Brunnen gefallen“ ist. Soweit es im Folgenden um die Begrenzung der bestehenden Risiken aufgrund einer vermeintlich fehlerhaften Statusfeststellung geht, führt dies in den meisten Fällen allerdings zu der schnellen Erkenntnis, dass diese mit geradezu typischen Compliance-Risiken verbunden ist und das Ausmaß der möglichen Sanktionen ganz erhebliche Auswirkungen auf die betroffenen Unternehmen und verantwortlichen Personen haben können.
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In diesem Zusammenhang sind zunächst die arbeitsrechtlichen Folgeneiner Umdeutung der Werk- und Dienstverträge in Arbeitsverträge – ggf. auch aufgrund einer unerlaubten Arbeitnehmerüberlassung (§§ 9 Nr. 1, 10 Abs. 1 AÜG) – zu nennen, in Folge dessen den betroffenen Scheinselbstständigen der Status regulärer Arbeitnehmer einschließlich Kündigungsschutz und allen sonstigen arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften zukommt. Darüber hinaus hat insbesondere die unterbliebene Entrichtung der Sozialversicherungsbeiträgeaber auch eine strafrechtliche Dimension(§ 266a StGB) und führt zudem zu erheblichen Haftungsrisiken nicht nur für die betroffenen Unternehmen (§ 28d SGB IV), sondern auch die verantwortlichen Personen (§ 823 BGB i.V.m. § 266a StGB). Abhängig von der Größe des Unternehmens sowie der Anzahl und Dauer der scheinselbstständigen Beschäftigungen können diese Risiken im Einzelfall sogar existenzgefährdend sein.[10]
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Unabhängig davon deutet aber auch die aufgezeigte politische Dimension des Themas Scheinselbstständigkeit darauf hin, dass die möglichen Folgen einer fehlerhaften Statusfeststellung nicht auf die genannten rechtlichen Sanktionen beschränkt bleiben können. Gerade bei größeren und in der Öffentlichkeit bekannten Unternehmen zeigen gerade zahlreiche öffentlichkeitswirksame Fälle aus der Vergangenheit, dass die mediale Berichterstattung hierüber auch zu nachhaltigen Problemen für das Image des Unternehmens und der jeweiligen Marke führen kann, die weit über die rechtlichen Risiken hinausgehen.[11]
[1]
Einen Überblick geben bspw. Klein-Schneider/Beutler WSI-Mitteilungen 2013, 144; vgl. auch Rieble ZfA 2013, 137 ff. jeweils m.w.N.
[2]
Vgl. vorerst Däubler/Klebe NZA 2015, 1032 ff.; hier allerdings mit einer ausschließlich kritischen Stoßrichtung.
[3]
Zum Stand der Diskussion vgl. Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, Stand 14.4.2016, S. 1 ff.; BT-Drucks. 17/12378, 18/14, 18/4839, 18/5449; BR-Drucks. 687/13, vgl. auch Baeck/Winzer NZA 2015, 269; Bauer DB 2014, 1076; Bauer/Heimann NJW 2013, 3287; Köhler GWR 2014, 28; Lembke NZA 2013, 1312; Maschmann NZA 2013, 1305; Schiefer DB 2015, 1779; Stang/Ulber NZA 2015, 910; Ulrici NZA 2015, 456; van Venrooy NZA 2011, 670; Willemsen/Mehrens NZA 2015, 897.
[4]
„Deutschlands Zukunft gestalten – Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 18. Legislaturperiode, S. 69.
[5]
Vgl. statt aller Thüsing NZA 2015, 1478 ff. Abgesehen davon war zu Recht zu bezweifeln, ob durch eine gesetzliche Verankerung der Kriterien wie etwa der Freiheit zur Gestaltung der geschuldeten Leistung, der Arbeitszeit oder des Arbeitsorts etc. (vgl. Rn. 29–37) tatsächlich nur die geltende Rechtslage widergegeben wird. Denn es besteht die Gefahr, dass hiermit Kriterien erster (gesetzlicher) und zweiter Güte (nicht in das Gesetz aufgenommene) geschaffen werden, ein gesetzlicher Kriterienkatalog erhebliche Gefahren für eine notwendig einzelfallbezogene Gesamtabwägung schafft („5 zu 3-Lösung“) und einzelne Kriterien wie bspw. der Ergebnisbezug von Leistungen oder eine Haftungsgewähr (vgl. § 611a Abs. 2 Buchst. g, h BGB-E) ausschließlich werkbezogene Kriterien enthalten, die aber auch beim freien Dienstvertrag fehlen. Vgl. hierzu zuletzt auch Gaul/Hahne BB 2016, 58, 61 f. m.w.N.
[6]
Vgl. § 611a BGB-E; Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, Stand 14.4.2016, S. 10, 30 m.w.N.
[7]
Erste Beispiele zur Behandlung des Themas (Schein-)Selbstständigkeit unter Compliance-Gesichtspunkten liefern Werths BB 2015, 697; Zieglmeier NJW 2015, 1914.
[8]
Vgl. nur Inderst/Bannenberg/Poppe Compliance.
[9]
Vgl. hierzu auch die entsprechenden Diskussionsbeiträge bei Bauer/Klebe/Schunder NZA 2013, 827.
[10]
Vgl. zusammenfassend Werths BB 2015, 697; Zieglmeier NJW 2015, 1914; vgl. auch Lanziner/Nath NZS 2015, 210 und 251 jeweils m.w.N.
[11]
Vgl. zahlreiche Fälle aus der Tagespresse, zuletzt z.B. „Ryan-Air im Visier“, Süddeutsche Zeitung (Online-Ausgabe) v. 3.11.2015, abrufbar unter: www.sueddeutsche.de/wirtschaft/billig-airlines-ryanair-im-visier-1.2720289(zuletzt abgerufen am 22.4.2016).
1. Teil Problemaufriss: Contractor Compliance› II. Herausforderungen einer Contractor Compliance
II. Herausforderungen einer Contractor Compliance
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In Folge dessen ist in letzter Zeit auch eine Tendenz zu beobachten, wonach vor allem betroffene Unternehmen dazu übergehen, Compliance-Systeme zur Vermeidung von Risiken im Zusammenhang mit Fremdpersonaleinsätzen aufzubauen oder diese in bereits bestehende Compliance-Systeme zu integrieren. Auch in den rechtlichen und praktischen Debatten fallen der Begriff „Contractor Compliance“ oder verwandte Begriffe wie „(Schein-)Selbstständigen-Compliance“, „Status-Compliance“, „Werkvertrags-Compliance“, „Freelancer-Compliance“, „AÜG-Compliance“ oder „Compliance bei Fremdpersonaleinsätzen“ immer häufiger.[1] Eine Implementierung derartiger Systeme ist allerdings stets mit zahlreichen Herausforderungen verbunden.
[1]
Vgl. vorerst Werths BB 2015, 697; Zieglmeier NJW 2015, 1914.
1. Teil Problemaufriss: Contractor Compliance› II. Herausforderungen einer Contractor Compliance› 1. Vielzahl von Beschäftigungsformen
1. Vielzahl von Beschäftigungsformen
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In der Praxis sehen sich Compliance-Verantwortliche zunächst mit einer Vielzahl ganz unterschiedlicher Beschäftigungsformen an der Grenze zu einer vermeintlichen Scheinselbstständigkeit konfrontiert, die eine verallgemeinerbare Statusfeststellung nach einheitlichen Maßstäben unabhängig von jedem konkreten Einzelfall unmöglich macht.
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