11
In Ergänzung zu dieser repressiven Aufgabe erarbeitet das OLAF präventive Strategien und Gesetzgebungsinitiativen zur Betrugsbekämpfung.[9] Allerdings soll nach Einrichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft (EUStA, vgl. unten Rn. 138 ff.) wegen der überlappenden Zuständigkeiten das OLAF nur noch dann verwaltungsrechtliche Untersuchungen durchführen, wenn die EUStA nicht selbst ermittelt oder ihre Ermittlungen eingestellt hat (Art. 101 EUStA-VO).
12
OLAF-Untersuchungen sind – in Abgrenzung zu strafrechtlichen Ermittlungen oder Rechtshilfe – als Verwaltungsuntersuchungen ausgestaltet und in vorbereitender Weise auf Tatsachenfeststellung, Beweiserhebung und -ermittlung bezogen. Sie finden anlassbezogen statt und erfordern den objektiven Verdacht des Vorliegens von Unregelmäßigkeiten.[10] Die entsprechenden Befugnisse entstammen im Wesentlichen der OLAF-VO. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen können im Austausch auch solchen Behörden zur Verfügung gestellt werden, deren Aufgabe es ist, Rückforderungen vorzunehmen oder Verwaltungs- und Disziplinarsanktionen zu verhängen.
13
Im Gegensatz zu Eurojust und früher zu Europol hat OLAF eigene Ermittlungsbefugnisseerhalten:
14
Im Jahr 1998 war eine Rechtsgrundlage zugunsten der UCLAF für die Vornahme kommissionsinterner Ermittlungen geschaffen worden.[11] In der Durchführung solcher administrativer Untersuchungen innerhalb der Organe, Einrichtungen sowie Ämtern und Agenturen der EU besteht auch nach der Ablösung des UCLAF durch das OLAF noch die Hauptaufgabe des Amtes. Ziel ist es nach wie vor, schwerwiegendes Fehlverhalten der EU-Bediensteten bei der Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit aufzudecken.
15
Allerdings hat OLAF im Vergleich zu der Vorgängerorganisation eine wesentlich stärkere Position. So besteht u.a. die Befugnis, auch gegen den Willen eines EU-Organs in dessen Sphäre zu ermitteln (Art. 4 Abs. 2 OLAF-VO). Zu diesem Zweck erhalten OLAF-Kontrolleure ohne Voranmeldung unverzüglich Zugang zu sämtlichen Informationen und Räumlichkeiten der Unionsorgane, Einrichtungen, Ämter und Agenturen, um deren Rechnungsführung überprüfen zu können. Von allen dort befindlichen Dokumenten sowie vom Inhalt aller Datenträger dürfen sie Kopien anfertigen, Auszüge davon erhalten und die Dokumente und Daten sicherstellen (Art. 4 Abs. 2 lit. a) OLAF-VO). Durchsuchungen zu Kontrollzwecken dürfen sogar bei den gewählten Mitgliedern des Europäischen Parlaments durchgeführt werden, soweit hierdurch deren Immunität nicht beeinträchtigt wird.[12] Die eingeleiteten Verfahren müssen ggf. durch OLAF an nationale Justizstellen abgegeben werden, wo sie als strafrechtliche Ermittlungsverfahren weiterbetrieben werden (Art. 12 Abs. 2 OLAF-VO). Umstritten ist hingegen, ob sich aus der Kompetenz zur Ermittlung gegen den Willen eines Organs auch das Recht auf Beschlagnahme von Akten und auf förmliche Vernehmung von Zeugen ableiten lässt. Letzteres dürfte sich jedoch aus Art. 9 Abs. 2 OLAF-VO ableiten lassen.[13]
16
Gem. Art. 4 OLAF-VO führt das Amt administrative Untersuchungen innerhalb der Organe, Einrichtungen sowie Ämtern und sonstigen Stellen durch. Dabei hat OLAF die Vorschriften der Verträge, insb. des Protokolls über die Vorrechte und Befreiungen, sowie des Statuts unter den Bedingungen und nach den Modalitäten, die in dieser Verordnung und in den von den einzelnen Organen, Einrichtungen sowie Ämtern und Agenturen zu erlassenden einschlägigen Beschlüssen vorgesehen sind, zu beachten.
17
Daneben führt OLAF – in Anknüpfung an die Arbeit der UCLAF – administrative Kontrollen bei Wirtschaftsteilnehmern durch, die entweder an Unregelmäßigkeiten beteiligt bzw. davon betroffen sind (Art. 3 Abs. 2 OLAF-VO) oder aus anderen Gründen über Informationen verfügen könnten, die für den Untersuchungsgegenstand relevant sind.[14] Über die Einleitung solcher Untersuchungen entscheidet der Generaldirektor (Art. 5 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 OLAF-VO). Auch hier besteht die Möglichkeit, dass die Untersuchungsergebnisse in späteren Ermittlungen, auch durch die Behörden der Mitgliedstaaten, verwendet werden.[15] Theoretisch besteht auch ein unmittelbares Recht zur Ausübung von Exekutivbefugnissen gegenüber Einzelpersonen in den Mitgliedstaaten, die allerdings „in enger Zusammenarbeit mit den zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedstaats“ vorbereitet werden müssen. Faktisch ist OLAF also auf die zuständigen nationalen Ermittlungsbehörden angewiesen. Im Falle von „Vor-Ort-Kontrollen“ bei einem Wirtschaftsteilnehmer, müssen sich die OLAF-Kontrolleure an die Verfahrensvorschriften des jeweiligen Mitgliedstaats halten und dürfen keine Zwangsmaßnahmen ergreifen.[16]
18
Gem. Art. 3 OLAF-VO übt das Amt die der Kommission durch die Verordnung Nr. 2185/96 übertragenen Befugnisse zur Durchführung von Kontrollen und Überprüfungen vor Ort in den Mitgliedstaaten und gem. den geltenden Kooperationsabkommen in den Drittstaaten aus. Im Rahmen seiner Untersuchungsbefugnisse führt OLAF Kontrollen und Überprüfungen gem. Art. 9 Abs. 1 der VO Nr. 2988/95 und gem. den sektorbezogenen Regelungen nach Art. 9 Abs. 2 der genannten Verordnung in den Mitgliedstaaten und gem. den geltenden Kooperationsabkommen in den Drittstaaten durch.
19
OLAF verfügt weder über eigene Strafverfolgungszuständigkeiten noch über eigene Beitreibungs-, Einziehungs- oder Sanktionsbefugnisse.[17] Maßnahmen auf Grundlage seiner Ermittlungsergebnisse können von OLAF lediglich empfohlen werden (Art. 11 OLAF-VO). Daher werden die an die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten weitergegebenen Ermittlungsergebnisse und Beweismaterialien zwar von diesen geprüft und führen ggf. zur Aufnahme strafrechtlicher Ermittlungen auf nationaler Ebene, eine entsprechende Verpflichtung besteht für die Mitgliedstaaten jedoch nicht. Diesen steht mithin ein Ermessen hinsichtlich geeigneter Maßnahmen ( appropriate measures ) zu. Allerdings haben die nationalen Behörden OLAF über etwaige auf die ausgesprochenen Empfehlungen hin ergriffenen Maßnahmen zu berichten (Art. 11 Abs. 6, Art. 12 Abs. 3 OLAF-VO).
20
Umgekehrt sind sämtliche Mitgliedstaaten zu einer kontinuierlichen Berichterstattung an die EU über finanzielle Unregelmäßigkeiten und Betrügereien verpflichtet, sofern wegen solcher Vorfälle bereits erste amtliche oder gerichtliche Feststellungen getroffen worden sind. Zu den mitzuteilenden Informationen gehört u.a. die Angabe der Vorschrift, gegen die verstoßen wurde, das Schadensvolumen, die beim Begehen der Unregelmäßigkeit angewandten Praktiken sowie Informationen über hieran beteiligte natürliche oder juristische Personen.
21
Grundsätzlich sollen die von den OLAF-Kontrolleuren erstellten Ermittlungsberichte in nationalen Verwaltungs- und Gerichtsverfahren ohne Einschränkung verwertbar sein (Art. 11 Abs. 2 OLAF-VO). Wie die praktische Erfahrung zeigt, können die von OLAF gelieferten Beweismittel jedoch unter dem nationalen Verfahrensrecht problematisch sein und werden deshalb in nachfolgenden Verfahren teilweise als rechtswidrig ( illegal evidence ) abgelehnt.
22
Das frühere weitgehende Fehlen ausformulierter Rechte der Personen, die von den unionsrechtlichen Vorermittlungsverfahren betroffen sind, hat in der Vergangenheit für Kritik gesorgt.[18] Dass diese aber selbstverständlich zu beachten sind, zeigt bereits die Verpflichtung des Generaldirektors, ein internes Beratungs- und Kontrollverfahren einzurichten, mit dem insb. die Achtung der Verfahrensgarantien und der Grundrechte der betroffenen Personen sowie der Einhaltung der nationalen Rechtsvorschriften der betroffenen Mitgliedstaaten sichergestellt werden soll (Art. 17 Abs. 7 OLAF-VO). Somit gelten auch für Kontrollen durch OLAF neben den allgemeinen Grundrechten die von den europäischen Gerichten für alle unionsrechtlichen Maßnahmen etablierten Verfahrensgarantien.[19] Eine – wenn auch wohl nicht vollständige – Auflistung findet sich in Art. 9 OLAF-VO:
Читать дальше