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Ungeachtet dieser unerwünschten Situationen des „Treaty-Shopping“ verweist die OECD iRv BEPS-Aktionspunkt 6 gleichzeitig auf die ökonomische Bedeutungvon bestimmten Investmentvehikeln (sog „ non collective investment vehicles“ bzw „ non-CIV funds“) und sieht Anpassungsbedarf im Hinblick auf deren Abkommensberechtigung. Es ist demnach sicherzustellen, dass „non-CIV funds“ in angemessenen Sachverhaltskonstellationen die Inanspruchnahme etwaiger Abkommensvorteile zugesprochen wird. Etwas anderes soll indes gelten, wenn die Zwischenschaltung dieser Investmentvehikel – wie oben beschrieben – dazu führt, dass den dahinterstehenden Investoren Abkommensvorteile zugesprochen werden, die ihnen bei Direktbezug der Einkünfte nicht zustünden.[58]
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Vor diesem Hintergrund unterbreitete die OECD in ihrem Abschlussbericht zu BEPS-Aktionspunkt 6den Entwurf einer Ermessensvorschrift, wonach ein sonst als „nicht qualifizierte“ Person einzustufender Ansässiger eines Vertragsstaats in Ausnahmefällen dennoch Abkommensvorteile zu gewähren sind. Dies soll dann der Fall sein, wenn auf Basis der objektiven Umstände des konkreten Einzelfalls festgestellt werden kann, dass die Errichtung, der Erwerb oder die Aufrechterhaltung dieser Person und die ausgeübten geschäftlichen Aktivitäten nicht in erster Linie auf die Gewährung der besagten Abkommensvorteile gerichtet war. Die betreffende Person hat demnach gegenüber der zuständigen Behörde des betroffenen Vertragsstaats glaubhaft nachzuweisen, dass andere als steuerliche Gründe ausschlaggebend für die Zwischenschaltung des betreffenden Rechtsträgers waren.[59]
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Art 3 Abs 3ist im Zusammenspiel mit Art 11zu sehen, welcher das Verhältnis des Abkommensrechts zum nationalen Recht der Vertragsparteien betrifft. Gem Art 11 Abs 1 berührt ein unter das MLI fallendes Steuerabkommen grundsätzlich nicht die Besteuerung der in einem Vertragsstaat ansässigen Person durch eben diesen Vertragsstaat ( saving clause). So ist auch mit Blick auf die Bestimmung des Art 3 Abs 1regelmäßig davon auszugehen, dass sich ein betroffener Vertragsstaat vorbehält, dass die Anwendung von Art 3 Abs 1 keine Beeinträchtigung der nationalen Besteuerungsrechtezur Folge hat. Vor dem Hintergrund, dass es den Vertragsstaaten jedoch freisteht, die Geltung des gesamten Art 11zugunsten einer spezielleren Lösung abzubedingen, eröffnet Art 3 Abs 3die Aufnahme einer „saving clause“, welche konkret auf die Fallkonstellationen des Art 3 Abs 1zugeschnitten ist. Diese Sichtweise steht im Einklang mit Tz 6.1 MK zu Art 1.[60]
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Beispiel:[61]
Die Anteile an einer US-amerikanischen LLC, welche aus dt steuerlicher Sicht als transparent und für US-steuerliche Zwecke als intransparent einzustufen ist, werden von zwei dt Gesellschaftern gehalten. Bezieht die LLC Dividendeneinkünfte von einer US-amerikanischen Corp., so gelten diese Einkünfte abkommensrechtlich als von in Deutschland ansässigen Personen bezogen. Vor dem Hintergrund, dass die LLC für US-steuerliche Zwecke hingegen als eigenständiges Besteuerungssubjekt qualifiziert, rechnet die USA die Dividendeneinkünfte nicht den dt Gesellschaftern, sondern der LLC selbst zu und besteuert diese entsprechend. Aus US-steuerlicher Sicht handelt es sich somit um einen rein nationalen Sachverhalt. Soweit im konkreten Fall beim inländischen Gesellschafter keine Freistellung der Einkünfte nach dem Methodenartikel in Betracht kommt, hat Deutschland die auf Ebene der LLC erhobene US-Körperschaftsteuer gem § 34c Abs 1, 2 iVm Abs 6 EStG auf die dt Steuer anzurechnen bzw einen Steuerabzug vorzunehmen. Eine Steuerermäßigung hinsichtlich etwaiger auf eine spätere Ausschüttung erhobener Quellensteuern kommt hingegen nicht in Betracht, da aus dt Sicht die Ausschüttungen als steuerlich nicht relevante Entnahmen nicht der Besteuerung unterliegen.[62]
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Wie eingangs festgestellt wurde,[63] existieren in der gegenwärtigen Praxis bereits vereinzelt Vorschriften zur abkommensrechtlichen Einordnung transparenter Rechtsträger. In Form von Art 3 Abs 4wurde mithin eine Vereinbarkeitsregelunggeschaffen, welche das Verhältnis zwischen Art 3 Abs 1und etwaigen bereits bestehenden Abkommensbestimmungen mit ähnlicher Stoßrichtung regeln.[64]
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In diesem Sinne ordnet Art 3 Abs 4einen uneingeschränkten Anwendungsvorrang zugunsten von Art 3 Abs 1 (ggf modifiziert durch Art 3 Abs 3) an, indem klargestellt wird, dass die Bestimmungen des MLI „ anstelle oder in Ermangelung“ bereits bestehender abkommensrechtlicher Regelungen gelten. Unerheblich ist die konkrete Ausgestaltung der abkommensrechtlichen Vorschrift, dh es werden sowohl allgemeine Klauseln verdrängt, als auch solche, die auf ganz spezielle Rechtsträger bzw Sachverhaltskonstellationen zugeschnitten sind.[65] Für den Fall, dass ein bestimmtes Abkommen keine dem Art 3 Abs 1entsprechende Vorschrift enthält, besteht insoweit keine Kollision und das betreffende Abkommen wird um Vorschrift des Art 3 Abs 1entsprechend ergänzt.
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Art 3 Abs 5räumt den unterzeichnenden Vertragsstaaten als Vorbehaltsnormgrößtmögliche Flexibilität ein. Bei Art 3handelt es sich demnach nichtum einen BEPS-Mindeststandard, zumal es den Vertragsparteien freisteht, die Geltung des gesamten Art 3im Wege des Opting-outauszuschließen ( Art 3 Abs 5 Buchst a ).[66]
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Darüber hinaus hält Art 3 Abs 5eine Vielzahl weiterer möglicher Optionenbereit. Im Einzelfall kann eine Vertragspartei
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den Vorbehalt auf solche Konstellationen beschränken, in denen existierende DBA bereits Bestimmungen iSd Art 3 Abs 4enthalten, Art 3 Abs 4 Buchst bwürde in diesem Fall einen Anwendungsvorrang zugunsten der bestehenden Bestimmung aussprechen; |
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einen Vorbehalt zugunsten bereits existierender Bestimmungen iSd Art 3 Abs 4aussprechen, welche die Abkommensvergünstigungen im Falle des Einkünftebezugs über Rechtsträger oder Gebilde versagt, die in Drittstaaten errichtet wurden ( Art 3 Abs 4 Buchst c); |
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den Vorbehalt im Sinne eines lex specialis auf solche Konstellationen beschränken, in denen existierende Abkommensbestimmungen iSd Art 3 Abs 4die Behandlung konkreter Sachverhalte sowie Arten von Rechtsträgern oder Gebilden bereits ausführlich regeln ( Art 3 Abs 4 Buchst d), ggf mit der weiteren Einschränkung, dass die betreffenden Rechtsträger oder Gebilde in Drittstaaten errichtet wurden ( Art 3 Abs 4 Buchst e); |
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im Wege des Opting-out lediglich die Geltung von Art 3 Abs 2suspendieren ( Art 3 Abs 4 Buchst f) oder |
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gem Art 3 Abs 4 Buchst geinen Anwendungsvorrang zugunsten Art 3 Abs 1in solchen Konstellationen aussprechen, in denen bereits eine Bestimmung iSd Art 3 Abs 4existiert, welche sich ausführlich mit der Behandlung konkreter Sacherhalte sowie Arten von Rechtsträgern und Gebilden auseinandersetzt. |
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In sämtlichen der vorgenannten Konstellationen ist beachten, dass die Vorbehalte lediglich insoweit Wirkung entfalten und Eingang in das betreffende DBA finden, als zwischen den Vertragsparteien Deckungsgleichheit hinsichtlich der Wahl der Vorbehaltebesteht.[67]
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Um Klarheit hinsichtlich der Ausübung der Vorbehalte iSd Art 3 Abs 5zu schaffen, legt die Notifizierungsregelungdes Art 3 Abs 6den Vertragsstaaten entsprechende Informationspflichten auf.[68] Soweit demnach kein Vorbehalt iSd Art 3 Abs 5 Buchst aund bangebracht wurde, ist die OECD als Verwahrerin der Abkommen unter Angabe der konkreten Fundstelle darüber in Kenntnis zu setzen, ob existierende DBA bereits eine Bestimmungen iSd Art 3 Abs 4enthalten, welche nicht Gegenstand eines Vorbehalts gem Art 3 Abs 5 Buchst c– esind. Hat eine Vertragspartei einen Vorbehalt gem Art 3 Abs 5 Buchst gausgesprochen, bezieht sich die Notifizierungspflicht auch nur auf die davon betroffenen DBA.
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