bb) Vollständige oder teilweise steuerliche Transparenz
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Der traditionellen dt Sichtweise folgend besteht das Wesensmerkmal der steuerlichen Transparenznach Auffassung der OECD[28] darin, dass eine Besteuerung nicht bereits auf Ebene des rechtlichen Gebildes, sondern (auch ohne Ausschüttung) vielmehr erst bei den dahinterstehenden Personen erfolgt. Mithin bedarf es zu einer exakten Bestimmung der steuerlichen Konsequenzen erst einer näheren Analyse der persönlichen Situation dieser Personen, etwa im Hinblick auf die persönliche Steuerpflicht, subjektive Freibeträge oder den anwendbaren Steuersatz. Die Tatsache, dass die Einkünfte vor der Zurechnung an die beteiligten Personen auf Ebene des Rechtsträgers festgestellt werden,[29] stehe dem nicht entgegen. Umgekehrt qualifiziert ein Rechtsträger nach dt Verständnis als intransparent, wenn er gem § 1, 2 oder 3 Abs. 1 KStG der subjektiven Körperschaftsteuerpflicht unterliegt.[30]
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Nachdem sich Art 3 Abs 1ausschließlich an den Quellenstaatrichtet, hat auch dieser das Tatbestandsmerkmal der steuerlichen Transparenz zu prüfen. In der Praxis verlangt die Analyse deshalb regelmäßig detaillierte Kenntnisse der ausländischen Rechtsordnung.[31] Vor diesem Hintergrund dürfte die Anmerkung der OECD zu verstehen sein, dass es den Vertragsstaaten letztlich frei stehe, den Begriff der steuerlichen Transparenz auf Basis der dargestellten Grundsätze in den betreffenden Abkommen näher zu definieren.[32] Zu Recht wird dieser Ansatz im Schrifttum mit dem Verweis auf eine sich daraus ergebende Rechtszersplitterungkritisiert.[33]
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Nachdem die OECD das Kriterium der steuerlichen Transparenz primär an der Einkünftezurechnung festmacht, wird in der Literatur diskutiert, ob nicht auch Konstellationen der Hinzurechnungsbesteuerungin den sachlichen Anwendungsbereich der Norm fallen können. Obgleich jedenfalls vordergründig kein steuerlich transparentes Gebilde gegeben ist, sondern sich die steuerliche Transparenz vielmehr erst durch Anwendung der Hinzurechnungsbesteuerung ergibt, lässt sich eine gewisse Ähnlichkeit beider Fallkonstellationen nicht von der Hand weisen.[34] Die OECD erkannte die Problematik der Hinzurechnungsbesteuerung derweil offensichtlich auch im Rahmen ihrer Empfehlungen zu Abschnitt 1 des BEPS-Aktionspunkts 2. Insoweit wird eingestanden, dass hybride Finanzinstrumente jedenfalls dann keine schädliche Besteuerungsinkongruenz erzeugen, wenn die fraglichen Einkünfte beim Gesellschafter nachweisbar und in betragsmäßig gleicher Höhe iRd Hinzurechnungsbesteuerung erfasst werden.[35] Es sprechen folglich sehr gute Gründe dafür, dem Direktbezug von Einkünften auch Fälle gleichzustellen, in denen die Einkünfte dem Steuerpflichtigen in gleicher Höhe nachgelagert kraft spezieller gesetzlicher Bestimmung zugerechnet werden.
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In der Praxis dürfte in solchen Konstellationen regelmäßig ein Interessenkonfliktzwischen Quellenstaat und Ansässigkeitsstaat bestehen. Sieht ein DBA zwischen Quellen- und Ansässigkeitsstaat einen geringen Quellensteuersatz vor, so wird der Quellenstaat regelmäßig geneigt sein wird, die steuerliche Transparenz einer Zwischengesellschaft iSd §§ 7 ff AStG zu verneinen, um dadurch sein Quellenbesteuerungsrecht nicht einzuschränken. Infolgedessen käme nicht der reduzierte Quellensteuersatz nach dem DBA zwischen Quellen- und Ansässigkeitsstaat, sondern vielmehr der im Verhältnis zum Staat der Zwischengesellschaft maßgebliche reguläre Satz (kein DBA) zur Anwendung. Umgekehrt wird der Ansässigkeitsstaat seine Anrechnungsverpflichtung über eine tendenziell weite Auslegung des Begriffes der steuerlichen Transparenz zu minimieren suchen, da insoweit der nach DBA reduzierte Quellensteuersatz maßgeblich wäre.[36]
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Dem Wortlaut von Art 3 Abs 1nach ist es ausreichend, wenn das betreffende Rechtsgebilde lediglich teilweise transparentist und neben dem steuerlich transparenten noch über einen steuerlich relevanten Bereich verfügt. Insoweit besteht Übereinstimmung mit Art 1 Abs 7 DBA-USA, der in diesem Fall ebenfalls eine gesonderte Prüfung für jeden Einkunftsposten verlangt.[37] Praktisch relevant wird dies bei bestimmten Trusts, welche bezüglich ihrer laufenden auszuschüttenden Einkünfte als transparent gelten, nachdem diese auch ohne tatsächliche Ausschüttung von den Begünstigten zu besteuern sind. IÜ besteht jedoch steuerliche Intransparenz.[38] Die Frage, ob eine dt KGaAjedenfalls insoweit als steuerlich transparent gilt, als der auf die direkten Einlagen der persönlich haftenden Gesellschafter zu verteilende Gewinn betroffen ist, wird in der Literatur kontrovers diskutiert.[39] Auch die OECD scheint die Besonderheit einer KGaA erkannt zu haben, indem sie diese Konstellation in ihrem MK-E explizit als Bsp der teilweisen steuerlichen Transparenz aufführt.[40]
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Schließlich lässt es Art 3 Abs 1tatbestandlich genügen, wenn der Rechtsträger bzw das Gebilde nach dem Steuerrecht jedenfalls eines der beiden Vertragsstaaten als transparenteinzustufen ist. Die Kategorie hybrider Rechtsträger stellt somit nur einen möglichen Unterfall dar. Die Vorschrift ist vielmehr auch anwendbar, wenn beide Vertragsstaaten von einem transparenten Rechtsträger ausgehen. Umgekehrt ist der Anwendungsbereich von Art 3 Abs 1jedoch nicht eröffnet, wenn das betroffene Rechtssubjekt übereinstimmend als intransparent angesehen wird.[41]
cc) Einkünftebezug durch oder über ein transparentes Gebilde
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Der Wortlaut des Art 3 Abs 1verlangt, dass Einkünfte durchoder überden Rechtsträger oder das Gebilde bezogenwerden. Einerseits ist damit die Konstellation angesprochen, dass der Rechtsträger oder das Gebilde nach dem Recht des beurteilenden Vertragsstaats selbst als Steuersubjekt qualifiziert („durch“). Erfolgt dagegen eine direkte Zurechnung an die dahinterstehenden Personen, so werden die fraglichen Einkünfte überden Rechtsträger oder das Gebilde bezogen. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass der Anwendungsbereich der Vorschrift dann nicht eröffnet ist, wenn Einkunftszahlungen durch den Rechtsträger oder das Gebilde selbst erfolgen.[42] IÜ ist der Begriff der„ Einkünfte“ auch nach Auffassung der OECD weit zu verstehen. Erfasst sind mithin sämtlich Einkunftsarten iSv Abschnitt III des Musterabkommens ( Art 6-21 OECD-MA).[43]
dd) Behandlung als Einkünfte einer ansässigen Person
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Ferner müssen die durch oder über das Rechtsgebilde bezogenen Einkünfte durch den Vertragsstaat, der nicht Quellenstaat ist, als solche einer ansässigen Person qualifiziert werden. Entscheidungserheblich ist ausschließlich die innerstaatliche Perspektive dieses Vertragsstaats, wobei die Einkünfte nach den Vorschriften zur unbeschränkten Steuerpflichtentweder dem Rechtsträger selbst oder aber den dahinterstehenden Personen zugerechnet werden müssen. Ausdrücklich nicht gefordert wird hingegen eine tatsächliche Besteuerung der Einkünfte im Ansässigkeitsstaat, eine sachliche Steuerbefreiung wäre demnach unschädlich.[44]
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Werden die vorstehend aufgeführten Voraussetzungen erfüllt, bestimmt Art 3 Abs 1im Wege einer Fiktion, dass die an den Rechtsträger gezahlten Einkünfte als von einer in einem Vertragsstaat ansässigen Person bezogen gelten. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass die relevanten Einkünfte dieser Person für Zwecke der Anwendung der einschlägigen Abkommensnorm zugerechnet werden. Sie bezieht dadurch Einkünfte gem Art 6, 13 oder 17 OECD-MA, erzielt Unternehmensgewinne iSd Art 7, 8 oder 9 OECD-MA bzw erhält Dividenden- oder Zinszahlungen für Zwecke der Art 10 oder 11 OECD-MA.[45]
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