Obwohl es sich um eine kleine Sammlung handelt, bietet sie einen ziemlich umfassenden alternativen Überblick über die isländische Mythologie. Zum Beispiel enthält sie den Penis eines einäugigen, einarmigen und einbeinigen Strandmeckerers, oder den eines isländischen Weihnachtsmannes, »am 6. Januar 1985 tot am Fuße des Berges Esja bei Reykjavík gefunden und am 6. Januar 2000 von einem ehemaligen Bürgermeister von Reykjavík dem RIS-HIR geschenkt«. Neben dem unglücklichen Dreikönigsopfer gibt es Seeheuler und Schattenhunde sowie einen Strandläufer, »der 1848 von Jón Magnússon in Südost-Island gefunden wurde und von dem es hieß, er sei ›wahrheitsliebend, gefügig, zurückhaltend und annehmbar intelligent‹ gewesen«.
Ja, auch ein Meermann, ein Seestier und ein Wasserpferd sind zu bestaunen, und o Wunder, auch ein Wirbler, ein Wechselbalg und ein Fuchs. Und, kaum zu glauben, der böse Geist von Snæfell und die leichenfressende Katze von Thingmull! Und, wie interessant, eine Seemaus! Alles echt, auch wenn es aussieht wie aus Stein, Knochen, Kürbissen oder Holz gefertigt. Das Exemplar eines huldumađur oder »verborgenen Mannes« wird nur durch ein mit Flüssigkeit gefülltes Gefäß angedeutet und sonst nichts. Es ist das Geschenk eines Parlamentsmitglieds. Sigurður schwört mir, dass es da drin ist.
EINE FREUNDIN ERZÄHLTE mir einmal von einem Traum, den sie als kleines Mädchen hatte, als sie hauptsächlich mit Jungs befreundet war. Sie träumte, dass ihre Penisse anschwollen und größer und größer wurden, sich um die Beine der Jungen wickelten, bis sie zu Wassermännern wurden und, mit ihren Penisschwänzen schlagend, im schmutzigen Straßengrabenwasser davonschwammen. In Erinnerung ist ihr geblieben, wie einsam sie sich fühlte, nachdem sie weg waren. Zwar gehört das weder ins Reich der Folklore noch dem der Mythen, aber ich wünschte, es gäbe noch eine weitere Sammlung, ein Kabinett für Schwänze und Träume, Ehrfurcht und Schrecken.
LILJA ERZÄHLT, DASS manche Feministinnen das Museum mögen, weil es den Phallus von seinem Sockel holt und ihn als ein ganz gewöhnliches Ding zeigt, ihn seines Geheimnisses beraubt. Faszinierend, wenn man bedenkt, dass die Exemplare im wahrsten Sinne des Wortes auf Sockeln stehen – außer sie hängen wie Trophäen an der Wand oder sind in monumentalen Prismen aufgestellt, die zu groß sind, um sie vom Boden aufzuheben. Ganz zu schweigen von den legendären und mythischen Exemplaren, die hier zu sehen sind.
Doch natürlich haben sie recht, die Feministinnen. Das Interessante am Isländischen Phallologischen Museum ist Folgendes: Es ist ein Museum über ein Wort. Ein Wort, das auf eine Art und Weise aufgeladen und befrachtet ist, die sehr oft nichts mit der Biologie der Sache an sich zu tun hat. Beim Rundgang durch das Museum erinnert jedes physische Exemplar an die Kluft zwischen dem eigentlichen Ding, das ein Wort wie »Penis« beschreibt, und all den anderen Dingen, die dieses Wort konnotieren. Es ist eine Art peinliche Trennung. Wie schäbig von uns, im Getöse der Assoziationen und Anspielungen ständig den Mythos zu beschwören, während wir hartnäckig die schlichte, nackte Tatsache von Blut, Fleisch und Haut vernachlässigen.
Im weiteren Sinne ist dies ein Museum der Sprache, der Erwartungen dessen, was man sich unter einem Phallologischen Museum vorstellt, und der trockene Witz dessen, als was es sich dann entpuppt. Der Witz: Es ist genau das, was es vorgibt zu sein. Penisse von einer Wand zur anderen. Vielleicht ein paar Hoden hier und da, ein paar Kunstwerke und Artefakte, aber hauptsächlich ist es nichts als ein großer Raum voller Penisse.
Bevor man das Museum betritt, bereitet man sich innerlich darauf vor, schockiert zu werden, nur um dann festzustellen, wie erstaunlich es doch im Grunde genommen ist, dass es jemand gewagt hat, etwas so Alltäglichem ein Museum zu widmen – der Penis wird nicht als vulgär, sondern als gewöhnlich präsentiert. Tatsächlich könnte man leicht vergessen, dass es noch andere Penisse auf der Welt gibt. Sofern man nicht zufällig den Penisknochen eines Waschbären als Glücksbringer trägt oder einen Oosik – den Penisknochen eines Walrosses – als Souvenir in Alaska erstanden hat, ist man sich der Existenz eines Baculums vermutlich gar nicht bewusst gewesen. Und selbst wenn man einen in der Tasche trägt oder den Walrossknochen quer in den Koffer gelegt hat, damit er überhaupt reinpasste, weiß man eventuell nicht, dass er den lateinischen Namen Baculum trägt, geschweige denn, dass die meisten männlichen Säugetiere so einen Penisknochen haben, einschließlich aller Primaten – außer uns.
Ganz schön listig, diese doppelte Umkehrung der Erwartungen. Ich denke, man besucht das Museum, weil man »Phallologisches Museum« hört und nicht glauben kann, dass das, was man sich darunter vorstellt, wirklich existiert. Und das tut es tatsächlich nicht. Sobald man durch die Tür tritt, weiß man, dass man sich geirrt hat. Es ist nicht obszön. Es ist nicht einmal lustig – nur man selbst hat sich ein wenig lächerlich gemacht.
Zwar bietet das Museum also nicht das, was man sich darunter vorgestellt hat, aber dafür etwas Besseres. Es gibt einem etwas, womit man nicht gerechnet hat.
Und hier kommt der Clou: Man will nicht, dass es das ist, was man sich vorgestellt hat. Man ist froh, dass es so nüchtern ist. Dies ist ein Museum mit Substanz. Sein Geschenkeladen ist klein und bescheiden: vierzig Postkarten, T-Shirts in zwei Designs, ein paar Bücher und die Hodensack-Hautlampen. Bis vor Kurzem konnte man auch Birkenholz-Schlüsselanhänger erwerben, die der Kurator eigenhändig geschnitzt hatte. Was auch immer man erwartet hat, so ist es doch noch überraschender und erfüllender, etwas charmant Fremdes zu entdecken. Unglaublich: die vergleichende Anatomie, diese alte Wissenschaft, ist wirklich irgendwie erhellend – und damit hat man nicht gerechnet.
LETZTEN SOMMER MUSSTE es Barock sein. Jetzt sind es Beethovens Klavierkonzerte und Streichquartette, zwei CDs, die den ganzen Sommer über abwechselnd eingelegt werden, bis sie kaputtgehen. Der CD-Player steht versteckt neben dem Schreibtisch. Darüber hängen zwei Kalender an der Wand – einer mit antiker griechischer Vasenmalerei, der andere mit Che Guevara, der einen Fotoapparat einstellt –, aber es ist nichts darauf vermerkt, was einen Tag vom anderen unterscheiden würde. Sigurður steht neben den leeren Kalendern und markiert mit einem Strich in einem Notizbuch das Eintreffen eines Besuchers. »Achthundert Kronen«, sagt er und vervollständigt das Couplet mit: »nur Bargeld«. Wobei man übrigens in ganz Island nur in diesem Museum und im Stadtbus überhaupt Bargeld braucht. Sigurður wiederholt diesen Satz und die entsprechende Ergänzung hundertmal am Tag, trocken und gleichförmig, wie eine Litanei.
»Haben Sie es nicht kleiner?«, fragt er einen Besucher nach dem anderen, wenn sie versuchen, einen Fünftausend-Kronen-Schein einzuwechseln, und ich frage mich jedes Mal, ob das ein Penis-Witz ist, aber niemand lacht. Früher kostete das Museum nur halb so viel, doch der Eintrittspreis stieg mit der Zeit langsam an, bis das Museum 2008 endlich schwarze Zahlen schrieb. Als er dann nicht mehr draufzahlte, fand Sigurður es unnötig, den Preis danach noch weiter zu erhöhen. An den Strichen im Eintrittsbuch lässt sich erkennen, dass das Museum mit jedem Jahr stärker frequentiert wird, obwohl es zu Beginn und am Ende jeder Saison immer ruhig zugeht. Trotzdem summiert es sich. Im Laufe des Sommers wird Sigurður etwa dreizehntausend Besucher verzeichnen, Strich für Strich. Es ist schon ein wenig paradox, was sich letzten Endes als Belohnung für so viel Originalität, Spontaneität und sprachliche Spielerei erweist: Man hat ein Museum auf die Beine gestellt und muss sich dann endlos mit den immer gleichen grundlegenden Verwaltungsaufgaben abplagen.
Читать дальше