So gibt es in Hinblick auf den Erfolg der veganen Bewegung nicht nur vegan lebende Menschen als Teil der Lösung und alle anderen als Teil des Problems, sondern auch viele Graubereiche dazwischen. Es wäre fatal, diesen »Vegan Allies« nicht die Möglichkeit zu geben, ebenfalls ein Teil der Lösung zu sein. Das betonte der damalige Vizepräsidnet der Vegan Society, Leslie Cross, bereits im Jahr 1954. Er schrieb in einem Artikel, dass die vegane Bewegung alle Unterstützer*innen der veganen Idee willkommen heißen sollte – angefangen von jenen mischköstlich lebenden Menschen, die aber zumindest die Grundwerte des Veganismus gutheißen, bis hin zu jenen, die, so weit es ihnen möglich ist, strikt vegan leben.
»Die meisten Leute essen Fleisch, weil die meisten Leute Fleisch essen.«
Tobias Leenaert (The Vegan Strategist)
Selbst wenn man pessimistisch auf die ethische Entwicklung der Menschheit blickt, ist es schwer vorstellbar, dass sich unsere Welt nicht dennoch in eine Richtung entwickelt, die mit den Grundwerten des Veganismus übereinstimmt. Zwar kann man auch rein auf Basis der großen Vielfalt von pflanzlichen Lebensmitteln fernab von Fleisch- und Käsealternativen großartige vegane Gerichte zaubern (wie Sebastian im Rezeptteil dieses Buches unter Beweis stellt), aber dennoch ist es nicht von der Hand zu weisen, dass der Großteil der Menschheit den Geschmack von tierischen Produkten äußerst gerne mag. Alleine der technologische Fortschritt wird jedoch das ineffiziente und ökologisch desaströse System der weltweiten Nutztierhaltung zukünftig schlichtweg obsolet machen. Nachfolgende Generationen werden mit Unverständnis auf heutige Praktiken der sogenannten »Nutztierhaltung« blicken, da sie die kulinarischen Erlebnisse, die uns heute Fleisch, Milch, Käse, Eier und andere tierische Produkte liefern, ganz einfach ohne die Ausbeutung und Tötung der Tiere bekommen werden. Daher spielt die Entwicklung von veganen Tierproduktalternativen eine so zentrale Rolle, und die aktuell bereits vielversprechenden veganen Ersatzprodukte werden zukünftig noch mehr überzeugen und ab einem gewissen Punkt nicht mehr vom tierischen Äquivalent unterscheidbar sein. Zusätzlich werden neue Technologien echtes Fleisch unabhängig vom Tier aus Zellen wachsen lassen. Wird es also nicht der ethische Fortschritt alleine sein, der ein Ende der »Nutztierhaltung« bringt, dann wird es der technologische Fortschritt sein.

Abb. 6. Vorteile von Clean Meat gegenüber herkömmlichem Fleisch
Dabei ist es nicht weiter verwunderlich, dass viele Menschen sich eine derartige neue Welt heutzutage noch kaum vorstellen können. Denn wie eine oft zitierte Maxime besagt, neigen wir Menschen seit jeher dazu, zu überschätzen, was sich in unserer Gesellschaft kurzfristig verändern kann – und wir unterschätzen, was sich langfristig verändern wird. Wie der Tierrechtsaktivist und Autor Paul Shapiro betont, sind es primär technologische und nicht ethische Gründe gewesen, die dazu führten, dass wir heute nicht mehr Wale für ihren Tran, Tauben für ihre Flugleistung und Pferde für ihre Muskelkraft ausbeuten. Wir brauchen heutzutage schlichtweg den Tran der Wale nicht mehr für Öllampen, weil Tran durch Petroleum abgelöst wurde. Zudem haben wir mittlerweile ohnehin effizientere Methoden gefunden, um Licht zu erzeugen. Tauben mussten nicht mehr als Nachrichtenüberbringer fungieren, weil Telegrafen erfunden wurden, die später von Faxgeräten und E-Mails abgelöst wurden. Auch Pferde wurden zumindest zu großen Teilen aus der Knechtschaft des Menschen entlassen, da Autos mit Verbrennungsmotoren erfunden wurden, die Kutschen ablösten. All das waren zwar technologische Innovationen, aber sie hatten dennoch einen Einfluss auf das Mensch-Tier-Verhältnis. Ebenso wie es heute Mischköstler*innen absurd finden würden, Wale zu töten, um trotz des Vorhandenseins von elektrischem Licht Öllampen zu benutzen, wird die Tötung von Tieren für Fleisch, Leder und andere tierische Produkte zukünftigen Generationen absurd erscheinen. Die Innovationen der sogenannten zellbasierten Landwirtschaft ermöglichen es heute schon, Fleisch aus Zellen zu kultivieren. Somit wird es in Zukunft möglich sein, mithilfe einer Zelle aus der Feder eines Huhns oder der Nabelschnur eines Kalbs Abertausende Kilos an hochwertigem, umweltfreundlichem und vor allem ethischem Fleisch zu produzieren, ohne dafür Tiere zu töten. Weitere Vorteile dieser innovativen Technologien zeigt Abbildung 6.
Zur Vertiefung: Das Buch Neues Fleischdes Journalisten Hendrik Hassel widmet sich dem Thema der zellbasierten Landwirtschaft und stellt viele der wichtigsten Pionierinnen und Pioniere in diesem Feld vor. In den zwölf Kapiteln und den zwölf abschließenden eigenen Thesen informiert Hendrik umfassend über Zellkulturfleisch, mikrobiell produzierte Milchprodukte und viele weitere spannende Themen rund um diese innovative Art der Lebensmittelproduktion. Weitere lesenswerte Bücher zu diesem Thema sind Sauberes Fleischvon Paul Shapiro und Clean Meat
NIKOS EMPFEHLUNG:
Top 3 vegane Sachbücher (Ernährungswissenschaft)
Vegan for Life
Jack Norris & Virginia Messina
Ein Grundlagenwerk für die einfache Umsetzung einer veganen Ernährung im Alltag. Behandelt werden u. a. ethische Themen, kritische Nährstoffe, Strategien in der Ernährungsumstellung, vegane Ernährung für Schwangere, Stillende, Kinder und Senioren sowie Krankheitsprävention durch Ernährung. Der Diätologe Jack Norris und die Diätologin Virginia Messina führen auch lesenswerte Ernährungsblogs ( www.jacknorrisrd.com, www.theveganrd.com) und betreiben zusammen mit Kolleg*innen die informative Webseite www.veganhealth.org(in Englisch). Virginia Messina hat darüber hinaus Vegan for her(auch in Deutsch erhältlich), ein Buch über die Besonderheiten der veganen Ernährung für Frauen sowie Never to late to go vegan(in Englisch) zum Thema der veganen Ernährung im fortgeschrittenen Alter verfasst.
How Not To Die
Dr. Michael Greger & Gene Stone
Dr. Michael Greger zeigt in seinem Buch anhand einer Fülle an Studien, wie man den 15 häufigsten Todesursachen in westlichen Ländern effektiv vorbeugen, diese bei Auftreten stoppen und in manchen Fällen sogar reversieren kann. Darüber hinaus gibt er mit Dr. Greger’s Daily Dozen eine einfache Hilfestellung, wie sich die nährstoffreichsten Lebensmittel täglich in den Speiseplan integrieren lassen. Äußerst lesenswert sind auch seine Bücher How Not To Dietzum Thema gesunde Gewichtskontrolle und How Not To Die In A Pandemic(beide in Deutsch erhältlich) zum Pandemierisiko durch die westliche Ernährung und was man dagegen tun kann. Empfehlenswert sind die ergänzenden Kochbücher zu seinen ersten beiden Büchern. Dr. Greger hat zudem die Webseite www.nutritionfacts.orggegründet, auf der es Hunderte Ernährungsvideos zu Themen wie Ernährungstherapie, Fasten, Nährstoffbedarfsdeckung usw. gibt.
Читать дальше