Sprichst du: Wenn denn gar nichts in gottesdienstlichen Dingen menschlicher Willkür erlaubt ist, wieso steht man denn den Kirchen zu, selbst die Macht, Zeit und Ort und andere Umstände zu bestimmen und zu setzen?
Antworte ich: Beim Gottesdienst ist zu unterscheiden, ob es sich um einen wesentlichen Teil desselben oder nur um einen Umstand handle. Dasjenige ist ein Stück desselben, was man glaubt von Gott geboten zu sein und ihm zu gefallen. Die Umstände sind, welche zwar insgemein von dem Dienst nicht wegbleiben können, dennoch aber nicht nach allen absonderlichen Arten und Spezialitäten beschrieben und determiniert, mithin diesfalls frei und des Menschen eigener Verfügung gelassen worden, selbige so oder so zu ordnen. Dergleichen sind Zeit, Ort, Kleidung, Haltung des Leibes usw., weil göttlicher Wille hierin nichts ausdrücklich geboten. Zum Beispiel: Bei den Juden waren Zeit, Ort und Kleidung darin der Gottesdienst geschehen musste, nicht bloße Umstände, sondern ein Stück und Zubehör des Gottesdienstes, weil Gott alles bestimmt hatte, und wenn da etwas unterlassen oder verändert worden war, mussten sie fürchten, ihre gottesdienstlichen Übungen seien Gott nicht lieb noch angenehm gewesen.
Bei den Christen aber, welchen die evangelische Freiheit vergönnt worden, sind dieses nur bloße Umstände des Gottesdienstes, die der Klugheit einer jeden Kirche freistehen, auf diese oder jene Weise zu ordnen und einzuführen, wie sie glaubt, dass es zur Ordnung, Wohlanständigkeit und guten Erbauung sich am besten schicke. 23Welche aber unter dem Evangelium noch die Meinung haben, dass der siebente Tag noch immer für Gott zu seinem Dienst gewidmet und ausgesondert sei, denen ist dies kein bloßer Umstand mehr, sondern ein Stück ihres Gottesdienstes, so weder verändert noch gar unterlassen werden kann.
II. Die Obrigkeit kann und soll einer jeglichen Kirche ihre Gebräuche und angenommenen Gottesdienste in ihren Versammlungen nicht verbieten noch verwehren, weil sie auf diese Weise die Kirche selbst vernichten würde, deren Zweck ist, Gott auf ihre Weise frei zu verehren.
Sprichst du: Sollen denn also die Obrigkeiten, wenn man die Kinder opfern oder (wie solches den ersten Christen fälschlich angedichtet worden) in den Versammlungen Hurerei und Ehebruch treiben wollte, solche und dergleichen Dinge geschehen lassen und tolerieren, weil sie bei gottesdienstlichen Übungen geschehen?
Antworte ich: Dergleichen Sachen sind auch nicht einmal zu Haus und im bürgerlichen Leben erlaubt, und also noch viel weniger in kirchlichen oder gottesdienstlichen Versammlungen zu dulden. Wenn sie aber ein Kalb opfern wollten, so sage ich, dass ihnen solches per Gesetz nicht zu verbieten noch zu verwehren sei. Es kann ja der, dem das Vieh gehört, sein Kalb zu Hause schlachten und einen Teil davon, den er will, im Feuer verbrennen. Keinem geht etwas dadurch an seiner Habe verloren, so sei es dann auch erlaubt, zum Gottesdienst das Kalb zu schlachten. Ob es Gott gefalle? Mögen sie zusehen! Die Obrigkeit hat nichts weiter zu tun, als nur zuzusehen, dass die Republik keinen Nachteil daran nehme und dass keinem an seinem Leben oder seinen Gütern Schaden geschehen möge. Ansonsten aber, was bei einem Gastmahl kann verzehrt werden, soll man auch zum Opfer gebrauchen dürfen. Wäre der Zustand einer Republik also so beschaffen, dass wegen vielen verendeten Viehes es nötig wäre, alles Ochsenblut zu schonen, könnte freilich sodann die Obrigkeit allen ihren Untertanen verbieten, ein Kalb, zu welchen Gebrauch auch immer, zu schlachten. In dem Fall aber würde es das Gesetz nicht einer Religions- sondern Staatssache halber geben. Auch würde damit nicht eben im Speziellen die Aufopferung, sondern nur insgemein die Schlachtung desselben verboten.
Hieraus kannst du nun erkennen, was für ein Unterschied zwischen der Kirche und dem Staat sei? Was in der Republik vergönnt ist, das kann von der Obrigkeit in der Kirche nicht verwehrt werden, und was anderen Untertanen im gemeinen Leben zugelassen ist, das soll keineswegs mit Gesetzen, um nicht in kirchlichen Versammlungen von dieser oder jener Sekte als ein Gottesdienstlicher Gebrauch verrichtet zu werden, verboten sein. Wenn einem zu Haus nicht verboten ist, sein Brot und Wein sitzend oder kniend zunehmen, so soll es ihm auch in seinem Gottesdienst zu tun durch weltliche Gesetze unverwehrt bleiben, obschon hier der Gebrauch des Brots und Weins zu einem ganz andern Endzweck geschieht als dort, nämlich zu einer gottesdienstlichen Handlung und geistlichen Abbildung. Was als ein an und für sich und im gemeinen Leben der Republik schädliches Ding und Laster, durch gerechte Gesetze zum gemeinen Besten verboten wird, das ist nicht erlaubt in der Kirche als einen heiligen Gebrauch zu tun, soll auch nicht ungestraft passieren. Was an und für sich selbst der Gerechtigkeit, Zucht und Ehrbarkeit entgegen und straffällig ist, kann durch Vorwand der Religion nicht heilig gemacht und von der gebührenden Strafe befreit werden. Doch sollen sich die Obrigkeiten davor hüten, dass sie nicht mit angedichteter Schädlichkeit dieser oder jener Dinge sich des falschen Vorwands des gemeinen Besten zu Unterdrückung der Freiheit einer Kirche bedienen mögen. Was hingegen im gemeinen Leben und außerhalb des Gottesdienstes vergönnt ist, das soll durch obrigkeitliche Gesetze in gottesdienstlichen Übungen in den darzu geschehenden Versammlungen und bestimmten heiligen Orten nicht verwehret werden.
Sprichst du: Wenn aber gleichwohl eine Kirche abgöttisch ist, und entweder falsche Götter oder den wahren Gott auf eine abgöttische und abergläubische Art verehrt, soll die Obrigkeit auch diese dulden?
Antworte ich: Was für Recht und Macht willst du der rechtgläubigen Obrigkeit eine abgöttische Kirche zu unterdrücken einräumen, so nicht auch zu anderer Zeit und an einem anderen Ort der abgöttischen Obrigkeit gegen die Orthodoxe Kirche gelten würde? Besinne dich nur, dass die obrigkeitliche Macht aller Orten einerlei und gleich und dass einer jeden Obrigkeit ihre Religion orthodox oder die allein rechte und wahre ist. Wenn nun die weltliche Obrigkeit zu Genf in der Schweiz oder in Sachsen mit Gewalt Leib- und Todesstrafen diejenige Religion ausrotten sollte, welche von ihrem Klerus für falsch und abgöttisch erklärt worden, so wird die weltliche Obrigkeit zu Rom gegen die lutherisch- und reformiert-orthodoxe, und bei den heidnischen Indianern gegen alle christlichen Kirchen ein Gleiches und mit gleichem Recht tun dürfen. Entweder muss weltliche Macht und Gewalt alles in der Religion nach dem Willen des Fürsten ändern und tun können oder gar nichts? Gibt man nun von einem einzigen Stück der Religion zu, dass es die Obrigkeit mit Gesetzen, Zwang und Strafen einführen oder abschaffen könne und solle, so ist es umsonst, Maß und Ziel und gewisse Schranken zu setzen. Alles wird die Obrigkeit, wie sie es sich für wahr, recht und nötig einbildet oder einbilden lässt, mit gleichmäßigen Waffen erzwingen dürfen. Aber kein einziger Mensch ist der Religion halber seiner zeitlichen Güter zu berauben, auch die heidnischen Amerikaner, so christlichen Herrschern unterworfen, sind darum nicht ihres Leben oder ihrer Güter zu entsetzen, weil sie die christliche Religion nicht annehmen. So sie glauben mit ihren väterlichen und landesüblichen Religionsübungen Gott zu gefallen und selig zu werden, muss man sie Gott und sich selbst stehen lassen. Ich will die Sache vom Ursprung an wiederholen. Es kommt in eines heidnischen Fürsten Land und Gebiet ein kleines und schwaches Häuflein Christen, so an allen Dingen arm und entblößt. Sie begehren als Menschen von Menschen und als Fremdlinge von den Einwohnern allerhand Lebensunterhalt, man gibt ihnen alles, was nötig ist, und räumt ihnen Ort und Stelle zur Wohnung ein, dass also beiderlei Volk in einem Staat beisammen stehen. Die christliche Religion nimmt zu und breitet sich aus, ist aber noch nicht an Zahl und Macht die stärkste, da wird noch Frieden, Freundschaft und Glauben gehalten und Recht und Billigkeit gegeneinander beobachtet. Endlich da die Obrigkeit selbst sich auf der Christen Seite begibt, werden sie die Stärksten und bekommen die Oberhand; alsbald wird alles Bisherige umgekehrt, alle Pakte und Verträge müssen mit Füßen getreten, alle Rechte und Gerechtigkeit gekränkt werden, um die Abgötterei abzuschaffen. Und so die Einwohner ihre alten hergebrachten Gebräuche nicht fahren lassen und die neuen annehmen wollen, müssen die unschuldigen, Recht und Gerechtigkeit bisher treulich beobachtenden Heiden, sogleich aus ihrem Vaterland und ihren erblichen Besitzungen verjagt werden, obwohl sie weder den guten Sitten noch einigen bürgerlichen Gesetzen zuwidergehandelt haben. Und alsdenn zeigt sich erst, wie der Eifer für die Kirche und Orthodoxie operiere, und was er alles den Leuten an die Hand gibt, wenn er nämlich mit der Liebe zur Macht und zum Herrschen vereinigt worden ist. Alsdenn erweist sich es auch offenbar, wie ge-schwind und geschickt man die Religion und das Heil der Seelen zum Deckel und Vorwand seines Geizes und seiner Herrschsucht machen könne.
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