Zum 4. und letzten müssen wir noch sehen, welches Pflicht und Schuldigkeit weltlicher Obrigkeit in Ansehung der Toleranz sei, und was sie dabei zu tun habe, was in Wahrheit keine geringe Sache ist. Wir haben oben erwiesen, dass der weltlichen Obrigkeit keine solche Sorgfalt für die Religion und das Heil der Seelen obliege, die durch weltliche Macht und Autorität auszuüben wäre, nämlich mit Befehlen, Gesetzen, Drohungen, Zwang und Strafen. Denn die Sorgfalt so durch Liebe geschieht und des Nächstbesten durch Lehre, Rat und Ermahnung sucht, kann niemandem verwehrt werden. Steht demnach die Sorge um die Seele in eines jeden eigener Macht und ist ihm zu überlassen.
Sprichst du: Was, wenn er sich aber darum unbekümmert lässt?
Antworte ich: Was, wenn er denn seiner Gesundheit oder seines Hauswesens und übrigen zeitlichen Glückseligkeit gar nicht oder nicht recht wahrnähme? Welche Dinge doch weit mehr unter obrigkeitlicher Aufsicht und Beherrschung stehen. Soll die Obrigkeit durch Befehl ihn zwingen nicht arm oder krank zu werden? Die Gesetze gehen vornehmlich dahin, dass der Untertanen zeitliche Güter, Gesundheit, Leben usw. vor fremder Gewalt möchten sichergestellt, nicht aber vor des Besitzers eigener Unachtsamkeit und Verschwendung bewahrt werden. Niemand kann zum Reichtum oder zur Gesundheit wider seinen Willen gezwungen werden. Welche also nicht selig werden wollen, die kann und will auch Gott selbst nicht selig machen. 15Doch gesetzt, es wolle ein Fürst seine Untertanen zwingen sich reich zu machen und die Leibesgesundheit zu erhalten: Wird er auch wohl in dem Gesetz gebieten, dass man nur Ärzte von Rom hierzu brauchen soll? Und wird jeder gehalten sein nach deren Vorschrift zu leben? 16Wird man keine Arznei oder Speise nehmen dürfen, als die etwa auf der Engelsburg zu Rom zubereitet worden oder von der Akademie zu Genf herkomme (oder durch die Wittenbergischen Quacksalber angerichtet, zensiert und genehmigt worden?) oder soll allen Untertanen, damit sie zu Hause alles voll-auf haben und herrlich leben können, anbefohlen werden, sich auf die Kaufmannschaft oder Musik zu verlegen? Sollen sie alle Wirte oder Goldschmiede werden, weil einige bei solchen Berufen nicht nur für ihre Familie genügend Nahrung bekommen, sondern auch damit reich werden?
Ja, sprichst du, der Künste sind tausenderlei, damit man etwas gewinnen kann, da lasse man denn einen darunter wählen, wozu er sich schickt. Aber der Wege des Lebens ist nur ein einziger, gilt also nicht wählens und eignen Dünkels? Recht gesagt, absonderlich von denen, die diesen oder jenen Weg zwingen wollen. Denn so deren zum Leben viel wären, würde man auch nicht einmal einen Schein und Deckmantel des Zwangs finden. Wenn ich nun für mich nach Anzeige der heiligen Geographie geradewegs und aus allen Kräften nach Jerusalem eile, warum soll ich gescholten und gestraft werden, weil ich den Weg nicht erst über Rom, Wittenberg oder Genf nehme und mich dort in Gesellschaft begebe: Weil ich etwa nicht gestiefelt oder auf diese und jene Weise gewaschen und beschoren einhergehe; weil ich auf der Reise Fleisch esse oder solche Lebensmittel genieße, die meinem Magen und meiner Natur zuträglich sind; weil ich hier und da einige Abwege verwende, von denen ich befürchte, sie möchten mich auf jähe Felsen oder Dornenbüsche verleiten, oder weil ich unter mancherlei dahin weisenden Fußsteigen denjenigen erwähle, welcher mir am wenigsten krumm und kotig zu sein scheint oder weil ich mich nicht als ein Gefährte zu denen halten will, die mir zu unbescheiden und zu verdrießlich vorkommen, oder weil ich einen Wegweiser mit einer Kutte oder mit einem weißen Chorhemd habe oder nicht habe? Denn in Wahrheit, so wir die Sache recht ermessen, so sind es meistenteils solche Kleinigkeiten und Lumpereien, die da zwischen den Christen, die sonst, was des Hauptwerk der Religion anbetrifft, einerlei und rechten Sinnes sind, zu aller Zänkerei und Widerwärtigkeit Anlass und Ursache geben, und die ohne Schaden der Religion und des Heils der Seelen, wann nur Aberglaube und Heuchelei davon wegbleibt, entweder getan oder unterlassen werden könnten.
Doch lasst uns den Eiferern, die da alles verdammen, was nicht mit dem Ihren einstimmt, zugeben, dass, obwohl bei jetzigen Umständen viele und in verschiedene Orte führende Wege und Wegweiser sich finden, dennoch nur ein einziger darunter der rechte sei. Was wird man damit gewinnen? Denn davon ist eben die Frage: Welcher unter den tausenderlei Religionswegen, die die Menschen gehen, der rechte und wahre sei? Ein jeder streitet für den seinen. So kann auch weder die Regimentssorge und Klugheit für den Staat und das gemeine Wesen, noch die Macht Gesetze zu geben, der Obrigkeit den Weg zum Himmel mit mehr Deutlichkeit und Gewissheit entdecken, als die eigene Bemühung eines jeden Menschen hierin für sich. Gesetzt, ich hätte einen schwachen und mit großer Krankheit behafteten Körper, dessen Kur aber nur eine einzige und dazu unbekannte wäre, sollte darum die Obrigkeit mir das Mittel vorschreiben müssen, weil nur ein einziges und zwar unter vielen anderen unbekanntes zu brauchen wäre? Wird es denn sicher für mich sein, da ich mein Leben zu retten nur noch ein einziges Mittel übrig habe, das zu tun, was die Obrigkeit befiehlt? Diejenigen Dinge, welche durch eines jeden eigene Sorgfalt, Bemühung, Beratschlagung, Urteil und Nachsinnen und mit redlichem Gemüt zu erforschen sind, können nicht einigen Personen und einem Stand allein als eigentümlich zugeeignet werden. Den Fürsten wird zwar die Herrschaft und Macht angeboren, und ist ihnen von Natur eigen und erblich, im Übrigen aber sind sie den anderen sterblichen Menschen gleich, und bringt das Recht und die Kapazität zu herrschen und zu regieren, nicht gleich wahre und gewisse Erkenntnis anderer Dinge mit sich, geschweige denn der wahren Religion. Verhält es sich damit anders, wie kommt es denn, dass die Könige und Herren der Welt, selbst so verschiedener Meinung in Religionssachen sind? Gesetzt aber, dass es wahrscheinlich, dem Fürsten sei der Weg des Lebens besser bekannt als den Untertanen, oder dass es wenigstens bei solcher Ungewissheit am sichersten und ungefährlichsten getan sei, dessen Befehlen hierin nachzukommen.
So wirst du nun sagen: Wenn dich denn der Fürst deine Nahrung durch den Kaufhandel suchen hieße, würdest du dich dessen weigern, mit der Entschuldigung, weil du zweifeltest dadurch etwas zu gewinnen?
Antworte ich: Auf Befehl des Fürsten wollte ich immerhin ein Kaufmann werden, weil wenn die Sache mir übel gelänge, der Fürst vermögend ist, mir meine verlorene Mühe und Kosten auf andere Weise sattsam zu erstatten, und so er, wie er vorgibt, Hunger und Armut von mir abgewendet wissen will, kann er ein solches leicht verschaffen, wenn ich etwa durch widriges Geschick bei der Kaufmannschaft in Unglück und um alles das Meine kommen wäre. Allein dergleichen Beschaffenheit hat es nicht mit den Gütern des ewigen Lebens: habe ich hier meine Mühe übel angewen-det und die Hoffnung verloren, so kann keine weltliche Obrigkeit mir den Schaden gutmachen, das Unglück erleichtern oder mich nur in etwas, geschweige denn ganz und gar wieder in guten Zustand setzen. Was für Bürgschaft kann man mir doch zur Versicherung des ewigen Lebens geben?
Vielleicht wirst du einwenden: man räume eben nicht der weltlichen Obrigkeit ein unfehlbares und allen anzunehmendes Gericht in Religionssachen ein, sondern der Kirche. Aber was die Kirche setzt, ordnet und schließt, das befehle nur die weltliche Obrigkeit, dass es ins Werk gerichtet und von allen beobachtet werden solle, verhüte also mit ihrer Autorität und Gewalt, dass niemand in Religions- und Kirchensachen anders glauben und handeln möge, als die Kirche lehrt. Dass demnach das Gericht und die Macht Aussprüche, Schlüsse und Ordnungen zu machen der Kirche bleibe, den Gehorsam aber gegen diese Schlüsse leiste die Obrigkeit selbst, als bringe ihn auch bei anderen durch Befehl und Macht zuwegen. 17
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