1 ...6 7 8 10 11 12 ...15 Der Flug zur Raumstation dauerte jedoch nicht so lange, dass die Geduld der Besatzung überstrapaziert wurde. Schon wenige Minuten, nachdem sie in den freien Fall übergegangen waren, machte Gregori sie auf einen glänzenden Punkt vor ihnen aufmerksam. Es war die aus Modulen zusammengesetzte, in der Sonne funkelnde ISS. Mit ihren ausladenden Sonnenpaddeln wirkte sie wie ein bizarres, riesiges Insekt, das die Erde umkreiste.
In den letzten 50 Jahren hatte man die ISS ständig ausgebaut und vergrößert, sodass sie schließlich bis zu 40 Leute aufnehmen konnte. Die routinemäßige Besatzung betrug 25 Astronauten und Forscher aus verschiedenen Ländern. Sie erforschten die Erde aus dem All und beschäftigten sich mit Dingen, wie die Drift der Kontinente, das Klima und Experimente in der Schwerelosigkeit. In den letzten 5 Jahren waren allerdings mehr Ingenieure und Techniker als Forscher auf der ISS anzutreffen gewesen, denn sie hatten die Aufgabe, die PROMETHEUS in der Erdumlaufbahn zusammenzubauen. Die Teile des Raumschiffes wurden auf der Erde gefertigt und dann mit computergesteuerten Shuttles in die Umlaufbahn gehievt. Jetzt, da die PROMETHEUS endlich nach 5 Jahren Bauzeit fertiggestellt worden war, waren die Ingenieure zur Erde zurückgekehrt und die Astronauten und Forscher hatten wieder das Regiment auf der Raumstation übernommen. Die derzeitige Besatzung freute sich schon auf die Ankunft der fünf Mars-Astronauten. Sie wurden sogar schon sehnlichst erwartet, denn sie würden die Routine auf der ISS unterbrechen und neues Leben in die Bude bringen.
Gregori gelang das heikle Andockmanöver gleich im ersten Anlauf und die Astronauten krochen aus der Enge ihres Shuttles in die komfortable Luftschleuse der Raumstation. Hier wurden sie von Bob Miller, dem derzeitigen Kommandanten der ISS, begrüßt. Miller winkte Erik und Gregori, die er schon von früheren Aufenthalten kannte, freundschaftlich zu, während er die drei Neulinge interessiert musterte. Überflüssig hinzuzufügen, dass sein Blick dabei am längsten bei Julia Winter verweilte. Erik stellte Miller die drei Neuankömmlinge vor. Ganz Kavalier, begrüßte dieser Julia Winter zuerst, doch tat er es auf eine etwas sonderbare Weise. Er stieß sich von der Wand der Luftschleuse ab, segelte auf die Ärztin zu, doch anstatt sich an der Haltestange abzufangen, die rings um die Luftschleuse angebracht war, umklammerte er die schöne Frau. Ja, dachte Erik amüsiert, Bob versteht es meisterhaft, die Schwerelosigkeit zu seinen Gunsten auszunützen. Die Ärztin sah das offenbar genauso, denn nach einem kurzen Augenblick der Überraschung erschien eine steile Falte auf ihrer Stirn und ihre blauen Augen sprühten Feuer. Bob ließ die indignierte Frau los und entschuldigte sich mit den Worten: „Ja, ja, die Schwerelosigkeit, sie spielt einem hier oben immer wieder Streiche. Sie werden das bei sich selber auch noch erfahren, daher schlage ich vor, dass Sie sich anfangs an den Haltestangen entlanghangeln, bis Sie sich an Ihre Gewichtslosigkeit gewöhnt haben.“
Nachdem Bob, unverschämt lächelnd, bei der Ärztin einen Handkuss angedeutet hatte, segelte er gekonnt zu Han Li hinüber. Diesmal passierte ihm natürlich nicht das Malheur, dass er die Haltestange verfehlte. Dennoch verlief auch hier seine Begrüßung nicht glatt. Han ließ nämlich die Haltestange los, um Bob die Hand zu schütteln, und als er sich, in typischer asiatischer Höflichkeit, tief verbeugen wollte, stieß er mit dem Fuß gegen die Wand der Luftschleuse. Der Stoß ließ ihn einen Salto nach vorne machen und er schwebte davon. Gregori fing den schmächtigen Biologen auf und bugsierte ihn zurück zu Miller.
Louis Vargas hingegen hatte aus der schwierigen Begrüßungszeremonie schnell gelernt. Offenbar musste man seinen Körper dafür irgendwo fest verankern. Er klammerte sich deshalb wie ein Ertrinkender mit der linken Hand an die Führungsstange, während er mit der Rechten den Händedruck von Bob erwiderte. Miller wandte sich nach seiner Begrüßung den fünf Neuankömmlingen zu und sagte mit unüberhörbarer Ironie in der Stimme: „Nachdem ich Sie als die künftigen Helden der Raumfahrt, die sich anschicken, den Mars zu erobern, nun alle kennengelernt habe, zeige ich Ihnen wohl am besten zunächst Ihre Quartiere. Ja, noch was! Von Ihrer Bodenstation habe ich grünes Licht erhalten, die Wissenschaftler unter Ihnen in das Forschungsprogramm der Station zu integrieren. Ich freue mich also auf ihre kompetente Mitarbeit, die Ihnen die Langeweile hier oben hoffentlich vertreiben wird. Erik und Gregori haben den Auftrag, die PROMETHEUS zu testen und einsatzbereit zu machen. Wenn Sie mir bitte folgen wollen!“
„Die PROMETHEUS testen“, knurrte Gregori neben Erik, „darauf wäre ich von alleine nicht gekommen. Bob kann es schon wieder einmal nicht lassen, den Chef heraushängen zu lassen.“ „Hier oben ist er der Chef, also sollten wir seine Anordnungen befolgen“, bemerkte Erik lakonisch.
In den kommenden Wochen fehlte den Neuankömmlingen auf der ISS, genau wie Bob verkündet hatte, schlichtweg die Zeit, sich zu langweilen. Die drei Wissenschaftler der Crew, nämlich Dr. Winter, Professor Han Li und Dr. Dr. Vargas fügten sich nahtlos in das Forschungsprogramm der Internationalen Raumstation ein. Erik und Gregori hingegen testeten die PROMETHEUS auf Herz und Nieren. Besonders der Russe war in seinem Element und kein Relais oder Stromkreis, kein Computer oder Schalter entgingen seiner sorgfältigen Prüfung.
Endlich war es so weit: Ein Probeflug mit der PROMETHEUS konnte riskiert werden. Erik wollte diese erfreuliche Nachricht seiner Crew mitteilen und bat sie zu einem Treffen im Gemeinschaftsraum der ISS. Als alle versammelt waren, begann er forsch: „Meine Herrschaften, unser Raumabenteuer rückt näher, morgen starten wir zu einem Probeflug mit der PROMETHEUS.“
„Was heißt, wir?“, wollte der Brasilianer wissen. „Na, Gregori und meine Wenigkeit, wir sind schließlich die ausgebildeten Piloten für dieses Vehikel“, entgegnete Erik. „Ich denke, wir sollten bei diesem Jungfernflug alle dabei sein“, wandte Han Li ein. „Wir haben doch alle am Simulator geübt und sollten uns beim Steuern des Schiffes abwechseln, um etwas Praxis im Umgang mit der PROMETHEUS zu bekommen.“ „Erprobungen neuer Fluggeräte sind etwas für Testpiloten“, brummte Gregori, „wenn etwas schiefgeht, dann verglühen wenigstens nur zwei von uns in der Erdatmosphäre.“ „Du machst mir Spaß, Gregori!“, rief Julia Winter und zog einen Schmollmund. „Wie sollen wir denn mit diesem Vehikel bis zum Mars kommen, wenn du schon einen kurzen Probeflug für gefährlich einstufst?“ „Wir haben natürlich Vertrauen in die Konstrukteure des Raumschiffes“, versuchte Erik, die Gemüter zu beruhigen. „Trotzdem halten wir einen Probeflug unbedingt für erforderlich, allein schon wegen des neuen Plasma-Triebwerkes. Das muss schließlich monatelang einwandfrei funktionieren, sonst können wir den Flug zu einem fremden Planeten gleich ganz vergessen. Zwar wurde es schon auf der Erde im Dauerbetrieb getestet, doch noch niemals unter Weltraumbedingungen. Das herauszufinden, ist Aufgabe von Greg und mir, denn wir waren Testpiloten, ehe wir zur Raumfahrt wechselten. Wie ihr euch denken könnt, gehören Risiken zu unserem Beruf, und deshalb wollen wir sie so klein wie möglich halten.“ „Das heißt, ihr wollt uns nicht dabeihaben“, konstatierte Louis etwas verschnupft. „Ist das definitiv?“ „Ja, das ist definitiv“, betonte Erik in ungewohntem Befehlston. „Ja, dann“, meinte Louis und verließ gekränkt das Casino. Han und Julia folgten seinem Beispiel.
„War das nicht etwas zu grob, Erik?“, gab der Russe zu bedenken, nachdem die Wissenschaftler den Raum verlassen hatten. „Ich meine, musstest du so den Kommandanten heraushängen lassen, da Wissenschaftler doch gewohnt sind, das Für und Wider einer Entscheidung ausgiebig zu diskutieren. Schließlich sind wir ein Team und auf sie angewiesen.“ „Das musste sein“, brummte Erik. „Je eher sie sich daran gewöhnen, wer hier die Befehle erteilt, desto besser. Und apropos Diskussionen! Meinst du, wir können uns in Notsituationen den Luxus von Diskussionen leisten? Ich denke, nein! Je früher die Kommandostrukturen geklärt sind, desto schneller können Entscheidungen getroffen und durchgeführt werden. Das habe ich schon früh auf der Militärakademie lernen müssen.“ „Okay, du bist der Kommandant“, räumte Gregori mit undurchdringlicher Miene ein.
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