Wie ein überdimensionaler Elefantenrüssel spannte sich der Verbindungs-Tunnel von der ISS zur PROMETHEUS. Durch diesen ziehharmonikaartigen Tunnel stapften Gregori und Erik mit ihren Magnetstiefeln und versetzten ihn in rhythmische Schwingungen. Beide wirkten angespannt, denn nun musste es sich erweisen, wie raumtüchtig das Schiff, mit dem sie den Mars erreichen wollten, tatsächlich war.
Während der Russe unter der Anspannung noch wortkarger als sonst wirkte, versuchte Erik, sie durch Reden erträglicher zu machen. „Siehst du, unsere Kameraden haben es uns nicht übel genommen, dass wir sie auf der Station zurückgelassen haben“, wandte er sich an Gregori. „Alle drei sind im Kontrollraum erschienen, um uns zu verabschieden und uns Glück zu wünschen.“ Da der Russe schwieg, fuhr er fort. „Na ja, wer begibt sich schon freiwillig in diese Konservendose, wenn er nicht muss. Außerdem fügen sich unsere drei Koryphäen so brillant in das Forschungsprogramm der Station ein, dass es eine Schande wäre, sie von dort früher als nötig wegzubeordern. Erst neulich hat mir Louis ganz begeistert berichtet, wie toll er die Erderkundung aus dem Orbit findet. Vom Wettergeschehen über die Erderwärmung bis zur Drift der Kontinente, das alles kann mit nie gekannter Präzision registriert werden. Zurzeit arbeitet er, mittels Radarabtastung, an einer Reliefkarte unserer guten alten Erde. Mit dieser Methode kann man die Höhe des Mount Everest bis auf 3 Zentimeter genau messen. Man stelle sich das einmal vor!“ Der Russe grunzte, schritt jedoch ungerührt weiter.
Erik blickte Gregori irritiert von der Seite an, da dieser offenbar durch nichts zu beeindrucken war. Er nahm einen neuen Anlauf: „Und unser Professor für Biologie testet unentwegt das Wachstum der Pflanzen in der Schwerelosigkeit, mit typischer asiatischer Ausdauer.“ Als der Russe auch dazu keinen Kommentar abgab, versuchte es Erik mit Humor. Er blieb stehen, grinste zweideutig und meinte: „Ist dir schon aufgefallen, mit welchen Wehwehchen die Besatzung der Raumstation der Krankenstation die Türen einrennt, seit unsere hübsche Ärztin dort dem Stationsarzt assistiert? Die Männer haben schon ein halbes Jahr keine Frau mehr gesehen, und dann gleich ein solches Exemplar! Nun ist mir auch klar, weshalb Bob Miller damals in der Luftschleuse Julia so offensichtlich umklammerte.“ „Hm, ich verstehe“, brummte der Russe und machte sich konzentriert an der Tür der Luftschleuse zu schaffen, denn sie hatten das Ende des Verbindungstunnels erreicht.
Die kreisrunde Tür glitt zur Seite und sie krochen in die Luftschleuse der PROMETHEUS. Nachdem Gregori die Türe wieder sorgfältig verriegelt hatte, begaben sie sich in das kreisrunde Kommandomodul des Schiffes. Zwei Andruck-Liegen befanden sich vor einer ovalen Steuerkonsole, die mit einer schier unübersehbaren Anzahl von Konsolen, Schaltern und Bildschirmen bestückt war. Ein Handgriff, und die Liegen verwandelten sich in zwei komfortable Pilotensessel. Die beiden Raumfahrer nahmen Platz, schnallten sich an und Erik öffnete als Erstes einen Kommunikationskanal zur ISS. Das erwartungsvolle Gesicht von Bob Miller, der sich ein Lächeln abrang, tauchte auf. „Ich grüße das Himmelfahrtskommando auf der PROMETHEUS“, flachste er, „können wir mit der Prozedur beginnen?“ „Nur mit der Ruhe, wir müssen erst noch die Bordcomputer hochfahren“, entgegnete Erik und drückte die entsprechenden Knöpfe. Eine Reihe von Displays leuchtete auf und ein Ventilator begann zu summen.
„Vor das Vergnügen hat Gott die Arbeit gesetzt“, seufzte Erik und griff auf der Konsole vor sich nach einer ellenlangen Checkliste. Die Prozedur, wie Bob sich ausdrückte, war nichts anderes als die penible Überprüfung aller wichtigen Funktionen des Raumschiffes. Das war nicht nur eine Riesenarbeit für die beiden an Bord, nein, das Ganze wurde auch noch von den Leuten auf der ISS und von der Bodenstation gegengecheckt. „Dreifach genäht hält eben besser“, dachte Erik in einer Art Galgenhumor und zu Gregori gewandt knurrte er: „Du kannst anfangen.“ Der Russe begann, das Protokoll herunterzuleiern: „Computer hochgefahren, Außen-Kommunikationskanäle eingeschaltet, Kreiselkompass auf ‚on‘, Vorwärmpumpe für Steuertriebwerke auf ‚on‘ und so ging es endlos weiter. Würden sie nur eine Position des Protokolls übersehen, würde sie Bob mit erhobenem Zeigefinger darauf aufmerksam machen und der Bordcomputer Alarmgeräusche von sich geben. Die Prozedur war zwar nerv-tötend, aber absolut notwendig, denn schon eine kleine Nachlässigkeit konnte in der lebensfeindlichen Umgebung des Weltraums tödlich sein.
Endlich war den Initialisierungs- und Sicherheitschecks Genüge getan und Erik lehnte sich aufatmend zurück. Nach einer kurzen Pause erkundigte er sich bei Miller: „Na, wie sieht es bei euch aus, Bob?“ „Unsere Instrumente bestätigen die Ergebnisse eurer Bordinstrumente. Falls die Bodenstation nichts dagegen hat, habt ihr grünes Licht für den Start. Ich trenne jetzt den Verbindungstunnel ab und ihr könnt dann nach eigenem Ermessen loslegen. Viel Glück und Hals- und Beinbruch! Ja, noch etwas: Achtet auf euer rechtes Seitentriebwerk, damit ihr keinen Schaden an unserer Station anrichtet.“ „Wird gemacht, Bob“, erwiderte Erik, „obwohl, etwas Feuer unterm Hintern könnte euch doch bei der Kälte hier draußen nur willkommen sein. Adieu, wir sehen uns dann, so Gott will, in zwei Tagen wieder.“
Bob winkte lächelnd zum Abschied und verschwand vom Bildschirm. Ein Rumpeln ertönte und sie spürten eine leichte Erschütterung, als der Verbindungstunnel vom Schiff abgetrennt wurde. Trotzdem schwebte die PROMETHEUS noch nicht frei im Raum, denn drei Streben, mit Magnetklammern versehen, verbanden das Schiff noch mit der ISS. Erik befahl Gregori, die Klammern zu lösen. Danach blickte er zu seinem Copiloten hinüber und fragte: „Sind wir startbereit?“ Gregori deutete auf die zahllosen Anzeigen vor sich, die alle in beruhigendem Grün leuchteten, und meldete: „Der Computer meint, ja.“ Da atmete der Kommandant tief durch und befahl: „Rechte Steuerdüse auf ein Viertel, Heckdüse auf halben Impuls.“
Langsam, wie in Zeitlupe, löste sich die PROMETHEUS von der ISS und trieb davon. Während die Raumstation hinter ihnen langsam ihren Blicken entschwand, hatten die beiden Männer nun freie Sicht auf die blau schimmernde, leicht gekrümmte Planetenoberfläche.
Schweigend, ja geradezu andächtig, beobachteten Erik und Gregori, wie weit unter ihnen federartige Wolken zogen. In den Wolkenlücken konnte man die dunklen Konturen der Kontinente ausmachen, umspült vom Blau der Weltmeere. Erik brach als Erster das Schweigen: „Erst aus dem Orbit kann man die ganze Schönheit und Einzigartigkeit unsere Erde erfassen“, meinte er sinnend. „Ich weiß nicht, von welchen Teufeln wir geritten werden, dass wir dieses Juwel partout verlassen wollen, um uns dem kalten lebensfeindlichen Weltall auszuliefern.“ Nach einer Pause fügte er hinzu: „Was ich schon immer wissen wollte, Greg, was trieb dich in dieses riskante Abenteuer?“ Gregori, aus seinen Betrachtungen gerissen, schnaubte ärgerlich: „Es geht zum Mars, dem ‚Roten Planeten‘, da darf ein Russe nicht fehlen, du Speichellecker des Kapitalismus! Außerdem solltest du wissen, dass in Wahrheit Russland die Pionierarbeit im Weltall geleistet hat.“ „Sehe ich das richtig, allein zum Ruhm von Mütterchen Russland, allein aus Patriotismus, sitzt du hier neben mir?“, staunte Erik. Als der Russe nicht antwortete, ahmte Erik einen Tusch nach und rief: „Leute, feiert mit mir den Helden der Sowjetunion! Er hält den Kommunismus immer noch eisern hoch, obwohl schon alles den Bach hinuntergegangen ist.“
Damit hatte es der Amerikaner endgültig geschafft, den Russen auf die Palme zu bringen. „Du solltest Ideale, von denen du nichts verstehst, nicht in den Schmutz ziehen“, erwiderte Gregori mit gefährlich leiser Stimme. „Natürlich ist das Experiment eines real existierenden Sozialismus’ im vorigen Jahrhundert leider gescheitert. Doch das lag weniger an der Idee selbst als an dem Unvermögen der Menschen, die mit der Realisierung dieser Idee betraut waren. Schon in der Urkirche gab es Bestrebungen, das Eigentum abzuschaffen und die Interessen der Gemeinschaft über die des Individuums zu stellen. Daran siehst du, dass diese Idee nicht so schlecht sein kann!“
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