„Bei dieser kurzen Flugdauer könnten die Plutonium-Batterien im Mars-Lander und die Energie aus den Sonnenpaddeln durchaus reichen“, behauptete Gregori. „Die PROMETHEUS könnten wir ohne Antrieb natürlich nicht abbremsen. Sie würde in der Atmosphäre verglühen. Doch wir könnten zuvor in den Mars-Lander umsteigen und diesen durch mehrmaliges Umkreisen der Erde in der oberen Stratosphäre langsam abbremsen. Vielleicht könnten uns die ISS oder die Bodenstation auch ein Shuttle entgegenschicken, dann müssten wir das nur für den Mars konstruierte Gerät nicht einmal landen. Du siehst, wir hätten eine Chance.“ „Ja, eine Chance hätten wir, wenn auch eine sehr geringe“, gab Erik zu.
Gregori deutete auf den Bildschirm über ihren Köpfen, der die im Sonnenlicht strahlende Erde zeigte und sagte: „Um sie noch einmal aus der Nähe zu sehen, um zu ihr zurückzukehren, dafür würde ich alles Menschenmögliche tun, du etwa nicht?“ „Natürlich“, seufzte Erik. „hoffen wir, dass wir es irgendwie schaffen!“
Eine Weile herrschte Schweigen im Cockpit und die beiden Piloten hingen ihren Gedanken nach. Erik unterbrach schließlich die Stille und meinte: „Da ich nun deinen Albtraum kenne, ist es nur recht und billig, dass du auch meine diesbezüglichen Träume kennenlernen solltest. Das Ganze fing schon während unseres Trainings auf der Erde an. So durchschlug z. B. in einem meiner Träume ein Meteor das Mannschaftsmodul und die Luft entwich – wie aus einem Gummiballon. Danach träumte ich, die zum Mars vorausgeschickten Ausrüstungsgegenstände seien defekt und wir säßen für immer auf diesem verrosteten Planeten fest. Soll ich fortfahren?“ „Um Himmels willen, nein, du bist ja ein heilloser Pessimist, mit so jemandem zu fliegen, ist ja geradezu eine Strafe! Wenn unsere Mission schon so brandgefährlich ist, sollten wir dann nicht zum Rückzug blasen? So könnten wir beispielsweise bei unserem Probeflug den Reaktor absprengen und behaupten, er sei defekt gewesen. Das würde die Mission um Monate verzögern. Wir würden das Startfenster verpassen und andere lebensmüde Astronauten müssten den Flug zum Mars antreten.“
„Was?“, rief Erik entsetzt, „du willst ein 500 Milliarden-Dollar-Projekt an die Wand fahren? Bist du noch bei Trost? Doch was wundere ich mich, ihr Russen wart ja schon immer die geborenen Saboteure!“
Gregori schüttelte in gespieltem Bedauern den Kopf: „Wie gesagt, du bist ein heilloser Pessimist, ohne einen Funken Humor. Erik, du würdest einen Scherz nicht einmal erkennen, selbst wenn er dir vor der Nase baumelte. Hältst du mich wirklich für so feige, dass ich zu so einer Tat fähig wäre?“ „Für einen Moment … , du hast so ernst und überzeugt geklungen“, meinte Erik kopfschüttelnd. „Das ist ja der Witz beim Scherz, der Erzähler muss überzeugend klingen, ansonsten kann man es gleich bleiben lassen“, erklärte der Russe lächelnd. „Du mäkelst also an meiner pessimistischen Einstellung herum?“ Erik klang immer noch etwas beleidigt. „Hast du dir schon einmal überlegt, welch schwere Verantwortung als Kommandant dieses Unternehmens auf mir lastet? Das Ganze ist doch absolutes Neuland und es ist nur natürlich, dass ich mir auch Katastrophen ausmale, auf die ich eine richtige und schnelle Antwort finden muss. Da wird man zwangsläufig zum Pessimisten und findet nur noch wenige Dinge witzig.“ „Willst du jetzt als armer geplagter Kommandant Mitleid bei mir schinden?“, fragte Gregori. „Aber du hast wohl recht, um nichts in der Welt möchte ich mit dir tauschen! Mir reicht vollauf mein Ingenieursjob. Wie du gesehen hast, führt schon die Verantwortung, all die Technik am Laufen zu halten, bei mir zu Albträumen.“ „Vergessen wir die blöden Albträume und testen wir lieber das Plasmatriebwerk“, schlug Erik vor.
„Reicht der Abstand zur ISS inzwischen?“ „Ja, der Abstand ist o. k., fangen wir also an“, stimmte Gregori zu. Er drückte auf den Knopf, der den Reaktor hochfahren würde. Während sie beide auf die Temperaturanzeige der Reaktorkammer starrten, knurrte der Russe: „Eines solltest du allerdings wissen, Erik, wenn der atomare Antrieb nur ein einziges Mal ins Stottern gerät, setze ich keinen Fuß mehr in diese Blechkiste, denn meine Großmutter hat gesagt, man soll auf seine Träume hören.“ „Wollen wir wetten, du Angsthase, dass nichts dergleichen passieren wird?“, bot Erik seinem Ingenieur an. Doch der Russe zeigte ihm nur den Vogel und schwieg.
Erik lag mit seiner Vermutung völlig richtig, die Initialisierung des Plasma-Triebwerkes verlief völlig reibungslos. Erik teilte die gute Nachricht sowohl Bob Miller als auch der Bodenstation mit. Pullok geriet vor Begeisterung ganz aus dem Häuschen. „Hab ich es euch nicht gesagt, ihr habt das beste Raumschiff, das ihr kriegen könnt. Also testet es jetzt 48 Stunden auf Herz und Nieren – wie ausgemacht!“ Der Schub, den dieser neuartige Antrieb erzeugte, war zwar minimal, doch das Ergebnis summierte sich im Laufe der Zeit und die PROMETHEUS wurde in immer höhere Umlaufbahnen gehoben. Nach 24 Stunden befanden sich die beiden Astronauten weiter von der Erde entfernt als jeder Erdsatellit und jeder Mensch. Pünktlich nach 24 Stunden schaltete Erik auf Umkehrschub.
Die PROMETHEUS näherte sich in Spiralen wieder der Erde und erreichte schließlich erneut die Umlaufbahn der ISS. Mit den von flüssigem Wasserstoff betriebenen Steuertriebwerken näherte sie sich wieder der Raumstation und dockte an.
Die beiden Männer waren hundemüde, obwohl sie sich bei der Steuerung des Raumschiffes abgelöst hatten. Dennoch konnten sie mit Ablauf der letzten beiden Tage zufrieden sein, denn die PROMETHEUS hatte sich als raumtüchtig erwiesen. Als das Raumschiff wieder sicher mit der ISS verbunden war, vertrieb die Euphorie über den gelungenen Testflug Eriks Müdigkeit. Er knuffte Gregori in die Seite und sagte aufgekratzt: „Na, was sagst du nun, ist das Schiff jetzt startbereit oder nicht? Endlich hat die elende Warterei ein Ende.“ Der Russe ließ sich Zeit mit der Antwort. Schließlich meinte er nüchtern: „Sieht so aus, als ob die alte Blechkiste o. k. ist. Du solltest aber bedenken, wenn wir damit zum Mars und zurück fliegen wollen, muss das Schiff zwei Jahre lang einwandfrei funktionieren. Die lächerlichen zwei Tage unseres Testflugs sagen da noch herzlich wenig aus.“ „He, wer ist nun eigentlich der Pessimist von uns beiden?!“, rief Erik verwundert aus, „oder hat dir am Ende die Müdigkeit das Hirn vernebelt. Komm, lass uns aussteigen, sonst schläfst du mir hier am Ende noch ein.“
Das Schnarren seiner Armbanduhr weckte Erik am anderen Tag aus einem unruhigen Schlaf voller bizarrer Träume. Für einen Moment glaubte er, sich noch auf der PROMETHEUS zu befinden, bis er seine eigene Kabine auf der ISS erkannte.
Es war schon seltsam, wie Bilder aus der Vergangenheit den Geist gefangen zu halten vermochten. Das Gespinst von Erinnerungen zeigte doch mehr Verknüpfungen zwischen Gegenwart und Vergangenheit, als dem Menschen je bewusst werden konnte. Erik schüttelte benommen den Kopf, um seine Schlaftrunkenheit loszuwerden, denn die Zeit drängte. Morgen würde er mit der PROMETHEUS zu einem nie gekannten Abenteuer aufbrechen und heute … ja heute würde er zu spät zur Pressekonferenz kommen. Er befreite sich vorsichtig aus seinem fixierten Schlafsack, stieß sich leicht von seinem Bettgestell ab und segelte hinüber zu einem Spiegel, der an der Schmalseite des Raumes angebracht war. Was ihm da entgegenblickte, quittierte er mit einer Verwünschung. Der Spiegel zeigte ein müdes Gesicht mit verquollenen Augen und Haare, die in allen Richtungen vom Kopf abstanden. So konnte er unmöglich vor eine Fernsehkamera treten! Wie gern hätte er jetzt eine heiße Dusche genommen, doch in der Schwerelosigkeit war das so gut wie unmöglich. Er griff deshalb zu einer Tube, die unterhalb des Spiegels befestigt war, quetschte aus ihr etwas Haargel heraus und verteilte es vorsichtig auf seinem Kopf. Danach griff er zu einem Kamm und versuchte, sein Haar zu bändigen. Er zerrte ein Taschentuch aus seiner Hose, befeuchtete es an einer aufgehängten Wasserflasche, fuhr sich damit über das Gesicht und rieb sich den Schlaf aus den Augen.
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