Der Aufgerufene, ein kleiner schlanker Mann mit Hakennase und stechenden Augen, wandte sich an Louis. „Dr. Vargas, weshalb schickt man ausgerechnet einen Astronomen auf die gefährliche Reise zum Mars?“ Louis zeigte sein schönstes Kameralächeln, seine weißen Zähne blitzten auf, doch seine Augen lächelten nicht mit. In ihnen glitzerte eher so etwas wie Mordlust. Schließlich siegte jedoch seine gute Erziehung über sein brasilianisches Temperament und er erklärte gelassen: „Wie Sie vielleicht wissen, obwohl ich da wegen Ihrer Frage so meine Zweifel habe, bin ich Spezialist im Fach Planetologie und schließlich fliegen wir ja zu einem Planeten und wollen ihn erforschen. Dies ist für alle Planetologen ein äußerst spannendes Unterfangen, denn wir können dabei zwei Himmelskörper, die sich vor Jahrmilliarden aus der protoplanetaren Scheibe unserer Sonne gebildet haben, miteinander vergleichen. Wir Wissenschaftler erwarten uns davon insbesondere neue Erkenntnisse über die Entstehung unseres Sonnensystems.“ Der Reporter blickte etwas verwirrt drein, setzte sich dann und begann, sich eifrig Notizen zu machen.
Auch an Bob Miller hatte man Fragen. So wollte eine Reporterin wissen, welchen Beitrag die ISS zur Durchführung der Marsmission geleistet habe. Hier war Bob in seinem Element, denn er konnte für seine Station kräftig die Werbetrommel rühren.
Er antwortete, dass es ohne die ISS die PROMETHEUS gar nicht gäbe, denn schließlich sei sie von der Station aus zusammengebaut worden. Er wies darauf hin, wie wichtig die ISS für die Wissenschaft und die Raumfahrt sei, und nannte sie gar das „Sprungbrett zu den Sternen“.
Je länger sich das Karussell der Fragen und Antworten drehte, desto klarer erkannte Erik den Tenor dieser ganzen Veranstaltung. Hier ging es weniger um wissenschaftlichen Fortschritt oder um ein epochales Ereignis in der Menschheitsgeschichte, sondern um eine Werbeveranstaltung und um pure Sensationsgier. Die Reporter wetteiferten darin, ihrem Publikum Sensationen zu liefern. Die Zuschauer indes hatten sich sicher längst ihre Meinung gebildet. Für sie waren die fünf Astronauten lediglich Opfertiere, die man auf dem Altar der Wissenschaft zu opfern gedachte. Interessant war dabei nur, auf welche Weise die fünf Leute umkommen würden.
Schafften sie es bis zum Mars? Kamen sie auf dem Planeten um? Oder erwischte es sie erst auf dem Rückflug? Wetten wurden noch angenommen! Die wenigsten glaubten daran, dass sie die vier Männer und die hübsche junge Frau je wiedersehen würden. Besonders eine Frage machte deutlich, dass es hier im Wesentlichen um reine Sensationsgier ging. Sie wurde von einem untersetzten glatzköpfigen Mann an Julia Winter gestellt.
Der Mann lächelte süffisant und begann: „Frau Dr. Winter, stimmt es, dass die harte Gammastrahlung des Weltraums insbesondere das Erbgut in den Keimdrüsen schädigt, sodass man eventuell mit Missgeburten rechnen muss? Stimmt es ferner, dass die NASA Ihnen deshalb angeboten hat, die Keimzellen der Astronauten kryostatisch zu konservieren? Und haben Sie von diesem Angebot Gebrauch gemacht?“ Die Ärztin fixierte den kleinen käferartigen Mann mit einem derartig eisigen Blick, dass Erik glaubte, dem Mann müsste auf der Stelle das Blut in den Adern gefrieren. Dann antwortete sie mit frostiger Stimme: „Ad 1: ja, ad 2: ja, ad 3: kein Kommentar!“ „Was meinen Sie damit?“, fragte der Reporter verblüfft. „Das ist doch klar“, entgegnete die Ärztin verächtlich. „Ja, es ist wahr, die Gammastrahlung schädigt das menschliche Erbgut und ja, es stimmt, die NASA hat uns dieses Angebot gemacht. Doch Sie werden sicher nicht im Ernst erwarten, dass ich Ihnen und der ganzen Weltöffentlichkeit auf die Nase binden werde, ob ich dieses Angebot angenommen habe. Wenigstens einen Hauch von Intimsphäre sollte man auch Astronauten lassen!“
Der Reporter, einer von der hartnäckigen Art, wollte sich mit dieser Antwort nicht zufriedengeben und versuchte sein Glück bei Erik. „Kapitän Barnard, Sie sind doch ein liberaler Geist und ein Mann von Welt“, begann er schmeichlerisch, „vielleicht können Sie mir sagen, ob Sie vom Angebot der NASA Gebrauch gemacht haben?“ Erik verschlug es angesichts der Frechheit des Mannes für einen Moment die Sprache und er überlegte fieberhaft, wie er es dem unverschämten Frager heimzahlen könnte. Nach kurzem Nachdenken erwiderte er: „Sie scheinen sich ja mächtig für Spermien-Konservierung und extrakorporale Befruchtung zu interessieren. Daher würde ich Ihnen raten, probieren Sie es selbst einmal aus, d. h., falls Sie dazu noch in der Lage sind und die Sache nicht mangels Masse in die Hose geht.“ Der Reporter lief rot an, wollte noch etwas sagen, überlegte es sich dann aber anders und setzte sich. Unnötig zu erwähnen, dass die Astronauten an diesem Tag vor weiteren unverschämten Fragen verschont wurden.
Glücklicherweise gehen im Leben selbst die unangenehmsten Dinge einmal zu Ende – wie übrigens alles einmal enden wird … so auch diese Pressekonferenz. Bob sprach ihnen allen aus der Seele, als er meinte: „Zum Teufel mit diesem neugierigen Reporterpack, das einen besoffen schwatzt und Löcher in den Bauch fragt! Ich glaube, wir haben uns etwas Erholung verdient, daher ließ ich in der Kantine ein Abschiedsessen für uns vorbereiten. Dafür opfere ich blutenden Herzens meinen letzten Whisky-Vorrat.“ „Oh“, rief Gregori, „habe ich mich da verhört, ich dachte immer, Alkohol sei auf der ISS verboten?“ „Ist er auch“, meinte Bob grinsend, „aber gerade du als Russe solltest wissen, dass Alkohol selbst auf den verschlungensten Pfaden seinen Weg zum Endverbraucher findet.“
Eine Abschiedsfeier, noch dazu mit reichlich Whisky, das war wirklich ein gelungener Einfall von Bob und ein versöhnlicher Abschluss eines stressigen Tages. Die fünf Astronauten folgten Bob in die Kantine und sämtliche Besatzungsmitglieder der ISS, die keinen Dienst hatten, schlossen sich ihnen an. Die gedämpfte Stimmung, ausgelöst durch den anstehenden Abschied der fünf Astronauten, wurde mit reichlich Alkohol vertrieben. Erst gegen Mitternacht löste Miller die Feier mit den Worten auf: „Alles beim Teufel, mein ganzer vom Mund abgesparter Whisky! Es wird Zeit, schlafen zu gehen. Gute Nacht, ihr Halunken.“ Manche der Zecher fanden nur mit Mühe ihre Schlafkojen, dafür schliefen sie tief und fest, wie Steine.
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