„Geschafft“, seufzte Bob neben Erik, „wenigstens den ersten Teil der Tortur, denn das Schlimmste steht uns ja noch bevor! Gleich wird Pullok eine ganze Meute von Reportern auf euch hetzen.“ „Ah, Pullok leitet die Pressekonferenz, das hätte ich mir denken können. Unser Missionsleiter lässt doch keine Gelegenheit aus, wenn es um Publicity geht.“ „Ich glaube, da tust du ihm unrecht“, wandte Bob ein. „Er wirbt ja nicht für sich selbst, sondern für die ewig klamme NASA.
Ich sitze doch ebenfalls nur hier, um die Belange der ISS ins rechte Licht zu rücken, damit der Kelch der nächsten Kürzung unseres Budgets an uns vorübergehen möge. Und dabei würde ich noch lieber als Straßenbahn-Schaffner arbeiten, als mich hier von bescheuerten Reportern löchern zu lassen.“ „Wann fängt der Zirkus an?“, wollte Erik wissen. „In fünf Minuten“, brummte Bob. „Man lässt uns, oder besser gesagt deiner Crew noch etwas Zeit, damit sie den Abschied von ihren Familien verdauen kann.“
Die 5 Minuten mussten längst verstrichen sein, als der Bildschirm vor ihnen wieder zum Leben erwachte. Er zeigte einen großen Saal, der bis auf den letzten Platz besetzt war, und selbst entlang der Wände standen die Leute. Die Menschen im Saal waren erregt, diskutierten, gestikulierten – der Lärmpegel war beachtlich. An der Stirnseite des Raumes hatte man ein Podium errichtet, dort thronte Pullok, von zwei seiner Assistenten flankiert. Er hatte seinen mächtigen Oberkörper, durch seine nicht minder gewaltigen Arme abgestützt, nach vorne gebeugt und maß mit dem Blick eines Raubtierdompteurs die Meute der Reporter. Nachdem ihm durch ein Zeichen mitgeteilt worden war, dass man bereits auf Sendung war, straffte sich sein Oberkörper und er griff zum Mikrophon. In kurzen Worten erklärte er, wie die Pressekonferenz ablaufen würde. Zunächst kämen die Reporter zu Wort, die ihre Fragen schriftlich eingereicht hätten, danach diejenigen, die sich spontan zu Wort meldeten. „Würde mich nicht wundern, wenn der alte Gauner die Fragen, die der NASA unangenehm werden könnten, gleich in den Papierkorb geworfen hätte“, meinte Bob lachend. „Darauf kannst du wetten, dass der Schlaumeier alle Fragen zensiert hat“, brummte Erik. „Apropos Wette: wetten, dass die erste Frage, wie auch die meisten anderen, an unsere hübsche Astronautin gehen werden?“ Bob lachte, „das könnte dir so passen, mein Lieber, aber gegen aussichtslose Wetten bin ich immun.“
Erik sollte recht behalten. Ein Reporter der „Herold Tribune“ hatte die Ehre, die erste Frage zu stellen. Aus der Masse der Reporter erhob sich ein Herr mit graumeliertem Haar und griff zum Mikrofon. Sich der weltweiten Aufmerksamkeit bewusst, legte er zunächst eine kleine Kunstpause ein, ehe er mit sonorer Stimme verkündete: „Meine erste Frage geht an Dr. Winter. Miss Winter, wie fühlen Sie sich als einzige Frau unter lauter Männern, sozusagen als Henne im Korb?“
Über das Gesicht der Ärztin lief ein unheilverkündendes Zucken, doch sie beherrschte sich und antwortete kühl: „Jeder im Team der Mars-Astronauten hat seine speziellen Aufgaben und dabei spielt es überhaupt keine Rolle, ob es sich dabei um einen Mann oder eine Frau handelt.“ Der Mann wollte eine weitere Frage stellen, doch Pullok schnitt ihm einfach das Wort ab und erteilte es stattdessen einem kleinen agilen Mann, der den größten Fernsehsender Brasiliens vertrat.
Der Mann kam ohne Umschweife zur Sache und seine Frage richtete sich – wie könnte es auch anders sein – dachte Erik ergeben, an Julia Winter. „Frau Dr. Winter, Sie sind meines Wissens die einzige Ärztin an Bord der PROMETHEUS“, begann er, „wie steht es mit der medizinischen Ausrüstung an Bord ihres Schiffes? Sind Sie damit in der Lage, Notoperationen durchzuführen? Sagen wir: Knochenbrüche oder Blindarmentzündungen zu behandeln?“ „Die medizinische Ausrüstung an Bord ist exzellent“, antwortete die Ärztin lebhaft. „Wir sind damit durchaus in der Lage, leichte bis mittelschwere Operationen durchzuführen. Im Übrigen bin ich nicht der einzige Arzt an Bord. Professor Han Li hat neben Biologie auch noch Medizin studiert und könnte mir daher im Notfall, der hoffentlich nicht eintreten wird, assistieren.“
Offenbar hatten sich die Reporter auf Julia Winter eingeschossen, denn auch die nächste Frage ging an sie. Ein junger Mann mit modischer Brille und einem sorgfältig gestutzten Oberlippenbärtchen fragte sie, wie das Mannschaftsmodul der PROMETHEUS vor den harten Gammastrahlen aus dem Weltraum geschützt sei. Doch die schöne Ärztin leitete die Frage geschickt an Gregori weiter, indem sie behauptete, nicht so viel von Technik zu verstehen wie der Ingenieur der Crew.
Gregori antwortete auf seine unnachahmliche brummige Art: „Natürlich ist unser Mannschaftsmodul gegen Strahlen geschützt, und zwar durch eine 5 cm dicke Schicht aus Nano-Kohlenstoffröhren. Trotzdem kriegen wir noch jede Menge an Sekundärstrahlen ab. Die einzige Möglichkeit gegen größere gesundheitliche Schäden besteht darin, unseren Aufenthalt im Weltraum so kurz wie möglich zu halten. Daher wurde eine direkte Route zum Mars gewählt, während er in Opposition zu uns steht, was wiederum nur durch das neu entwickelte Plasma-Triebwerk möglich wurde.“
Endlich wurde auch eine Frage an den Kommandanten der Mission gestellt. Erik hatte sich schon gefreut und gemeint, man habe ihn vergessen. Eine junge Reporterin, die ihn anstrahlte, wollte wissen, wie er sich verhalten würde, wenn das zum Planeten vorausgeschickte Material Mängel aufweisen sollte. „Würden Sie dann sofort wieder die Heimreise antreten oder würden Sie improvisieren, um die Mission doch noch zu einem Erfolg zu führen?“ Erik wunderte sich, dass Reporter immer wieder Fragen stellten, bei denen die Antwort bereits auf der Hand lag. „Ich würde selbstverständlich noch innerhalb des Startfensters umkehren“, antwortete er mit fester Stimme. „Sie machen mir vielleicht Spaß, junge Frau, improvisieren auf einem fremden Planeten mit unbekannten Gefahren, das wäre das reinste Vabanque-Spiel. Außerdem bin ich nicht der Meinung, dass damit die Mission komplett gescheitert wäre. Die Menschheit hätte zum ersten Mal einen fremden Planeten erreicht und allein die gesammelten Bodenproben hätten einen unschätzbaren wissenschaftlichen Wert.“
Die junge Reporterin, der langsam klar wurde, dass sie eine überflüssige, wenn nicht gar dumme Frage gestellt hatte, setzte sich errötend. An ihrer Stelle erhob sich eine grauhaarige Dame mit modischem Pagenschnitt und griff gelassen zum Mikrophon. „Professor Li“, scholl ihre klare Altstimme durch den Saal, „erwarten Sie, auf dem Mars extraterrestrisches Leben vorzufinden?“ Oh je, Volltreffer, dachte Erik bekümmert. Die Reporterin hatte das Lieblingsthema von Han getroffen. Jetzt würde der Professor niemanden mehr zu Wort kommen lassen und den Rest der Pressekonferenz alleine bestreiten! Han legte auch sogleich los: „Hochverehrte Reporterin, der Mars war nicht immer der knochentrockene, verrostete Wüstenplanet, der nun kaum noch eine Atmosphäre besitzt. Vor circa 4 Milliarden Jahren ähnelte der Mars vielmehr der Erde in ihrer Frühphase. Das heißt, es gab flache Meere, Vulkanismus, die Atmosphäre war dichter und selbst die Temperaturen lagen höher als heute. Etwa zu dieser Zeit, also schon vor 4 Milliarden Jahren, begannen sich in den irdischen Weltmeeren Vorstufen des Lebens zu bilden. Diese haben sich schon eine Milliarde Jahre später zu kompletten Einzellern entwickelt, die man heute als Fossilien in 3 Milliarden altem Felsgestein nachweisen kann. Diese schon erstaunlich hochentwickelten Blaualgen, sogenannte Eukaryonten, besaßen bereits Zellkerne und Mitochondrien und … “
Hier wagte die Reporterin, den Professor zu unterbrechen. „Hochverehrter Herr Professor, mich interessiert weniger die irdische Evolution, ich wollte lediglich wissen, ob sich auch auf dem Mars Leben entwickelt haben könnte.“ „Aber diese Frage bin ich ja im Begriff zu beantworten“, polterte Han ungehalten über die Unterbrechung seiner Ausführungen, „denn so die glasklare Schlussfolgerung: Warum sollte auf dem Mars denn nicht auch eine biologische Evolution in Gang gekommen sein, wenn die Ausgangsbedingungen auf dem Mars mit denen der Erde fast identisch waren?“ „Aber die Marssonden aus dem vorigen Jahrhundert“, warf die Reporterin schüchtern ein – doch weiter kam sie nicht. Han Li gebot ihr mit einer herrischen Geste zu schweigen und rief erzürnt: „Die früheren Marssonden, diese uralten Marssonden, haben doch nur an der Oberfläche des Planeten gekratzt. Dort konnten sie ja gar kein außerirdisches Leben finden! Es befindet sich nämlich meiner Meinung nach exakt dort, wo auch das Wasser des Planeten verschwunden ist, nämlich in der unterirdischen Permafrostschicht.“ „Im Eis?“, fragte die Reporterin zweifelnd. „Selbstverständlich!“, behauptete der Professor kühn, „natürlich in partiell geschmolzenem Eis, denn Wasser benötigt das Leben in jedem Fall. Und wenn Sie nun meinen, das sei unmöglich, so will ich Ihnen gern vor Augen führen, unter welch lebensfeindlichen Bedingungen Einzeller auf der Erde zu überleben vermögen.“ Doch dazu kam der Professor nicht mehr. Pullok dankte ihm für seine interessanten Ausführungen und entzog ihm schlicht das Wort. Er rief einfach den nächsten Reporter auf.
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