Diese beiden Frauen versteiften sich oft auf Sonderwünsche, was für Paul nicht nur Mehrarbeit bedeutete, sondern Fingerspitzengefühl erforderte. So bestanden sie zum Beispiel auf den Einbau touristischer Highlights in die Tour, die der Veranstalter gar nicht anbot. Für ihre Männer Benno Lindner und Lars Schlichter sollten es vor allem Besichtigungen von Weingütern und Brauereien sein.
Fast nie konfrontierte ihn das Ehepaar Steffie und Roman Schlichter mit Sonderwünschen. Er war der Bruder von Lars und erst kürzlich Rentner geworden. So wie sie sich mit eigenen Wünschen meist zurückhielten, so setzten sie allerdings auch selten Impulse bei der Gestaltung der Touren oder ihrer Treffen.
Und dann gab es noch das Lehrerehepaar Inge und Andy Schubert, das sich meist unauffällig einfügte, aber gelegentlich durch Einfälle auffiel. Beide bereiteten sich, ähnlich wie die Kleins, auf ihre Radtouren vor, sodass ihre Ideen nicht von ungefähr kamen. Aber sie akzeptierten es, wenn die Gruppe ihren Anregungen nicht folgte.
Paul favorisierte ein Vorgehen, das seiner Meinung nach sehr effektiv zum Abstimmungsergebnis führte. Er stellte keine offenen Fragen zu Terminwünschen oder präferierten Fahrradtouren, sondern suchte selbst zwei, seltener drei Vorschläge im Internet bei bekannten Anbietern heraus, um die dann zur Abstimmung zu stellen. Er wusste ja, dass vielleicht mit Ausnahme der Schuberts sich die meisten in der Gruppe nicht bemühten, selbst nach geeigneten und reizvollen Touren zu suchen. Mit zwei Optionen zur Auswahl erreichte er schneller Einigkeit, als auf Vorschläge aus seiner Gruppe zu warten. Trotzdem nahm die Abstimmung für die anstehende Fahrradtour mehrere Tage in Anspruch.
Auch dieses Mal hatte er zwei Touren vorgeschlagen, eine davon sollte dem Neckar flussabwärts folgend in Heidelberg enden. Und genau für diese entschied sich die Gruppe, die Alternative wurde dagegen nach kurzer Diskussion verworfen. Nur beim Termin hakte es eine Weile, auch wenn das Zeitfenster eng begrenzt war. Auf Anfang September konnten sich schließlich alle festlegen. Was Paul noch regeln musste, waren eher Kleinigkeiten, wie Besuche von touristischen Highlights am Rande der gemeinsamen Tour oder spezielle Wünsche an die Hotelzimmer.
An ihren Radtouren liebten sie vor allem das gesellige Beisammensein, keiner von ihnen war so ehrgeizig, dies als sportliche Herausforderung aufzufassen. Der Spaß stand im Vordergrund, der Weg war das Ziel, hieß es bei ihnen.
Womit er in diesem Jahr nicht gerechnet hatte, war, dass sich jemand zusätzlich zur Teilnahme in ihrer Runde melden würde. Darauf hatte er mit einer einsamen Entscheidung reagiert. Und da hätte er sich einen Satz wie „Ich wollte doch nur …“ besser ersparen sollen, mit dem er in einem Gruppentreffen vor Beginn der Tour seinen Alleingang gegenüber seinen Freunden zu begründen suchte. Bereits beim Lesen der folgenden E-Mail hätte ihm die Problematik seiner Entscheidung auffallen müssen. Eine Korrektur wäre ihm da aber ohnehin kaum mehr möglich gewesen.
E-Mail von klaus.bender@spontanmail.de an paul-klein@xmail.com
Betreff: Unsere Radtour
Hallo Paul,
Samstag in acht Tagen geht’s schon los, und wir freuen uns riesig darauf! Habe dich in den vergangenen Tagen weder an deinem Arbeitsplatz noch in der Kantine angetroffen. Deshalb will ich dir kurz nochmals per E-Mail mitteilen, dass wir gut vorbereitet sind.
Wir sind fit, haben in den letzten Tagen an der Kondition in einem Spinning-Kurs im Fitnessclub gearbeitet. Unsere Fahrräder haben wir auch vom Fachmann checken lassen, fahren künftig mit sogenannten Unplattbaren an beiden Rädern. Hoffen, dass die halten, was ihr Name verspricht!
Habe noch ein paar Ideen, die unsere Abende beleben könnten. Die konnte ich bei meiner anstrengenden Radtour in Norwegen ausprobieren, was die Stimmung deutlich verbessert hatte. Werde mehr erzählen, wenn wir unterwegs sind.
syl
Klaus
Paul Klein atmete ganz tief ein und ließ die Atemluft dann aus seinen dicken Backen hörbar entweichen. Die E-Mail seines Kollegen Klaus wirkte doch erst mal befremdlich auf ihn. Wen hatte er da zu seiner Fahrradtour mit Freunden eingeladen?, fragte er sich. So dick war er mit Klaus nicht, arbeiteten sie doch in verschiedenen Abteilungen in ihrer Firma und hatten in ihrer Freizeit wenig Kontakt miteinander. Und wenn er das las, dann hatte er jetzt den Eindruck, dass der Kollege anscheinend eine andere Radtour erwartete als die gemeinsame mit seinen Freunden. Fast schien der die für einen Wettbewerb zu halten.
Sie trafen sich gelegentlich in der Kantine und bei einem Lehrgang. Einmal hatte Paul die Benders zu einem ihrer Gartenfeste eingeladen, sie waren ja im gleichen Alter. Eine Gegeneinladung oder weitere Besuch hatte es bisher nicht mehr gegeben. Weder schien das Paul noch sein Kollege zu vermissen, es hatte möglicherweise an einer passenden Gelegenheit gefehlt. Die von ihm gelegentlich an Klaus beobachtete berufliche Übermotivierung störte ihn schon mal, aber nicht so, dass er den Kontakt zu ihm hätte meiden wollen.
Einen Moment überlegte Paul, ob er diese E-Mail an seine Freunde weiterleiten sollte, doch unterließ er das, weil er fürchtete, dass die ähnlich erstaunt über den Inhalt reagieren würden. Das wollte er nicht.
Die hatten ja gerade erst die Benders kennengelernt, und er hoffte, dass sich alle auf der Tour zusammenfänden. Er atmete nochmals tief durch, dann antwortete er.
E-Mail von paul-klein@xmail.com an klaus.bender@spontanmail.de
Betreff: Re. Unsere Radtour
Hallo Klaus,
danke für deine E-Mail, war die letzten Tage erst auf einem Lehrgang und dann bei einem unserer Entwicklungspartner in Frankfurt.
Es freut mich, wenn ihr schon so top vorbereitet auf den Beginn der Fahrradtour wartet.
Meine aber, ihr solltet die Tour etwas entspannter sehen. Wir sind eher ein gemütlicher Freundeskreis ohne besonderen sportlichen Ehrgeiz. Spaß steht bei uns im Vordergrund. Es heißt bei uns: Der Weg ist das Ziel!
Dann freue ich mich, euch am Samstag im Hotel zu sehen,
MfG
Paul
Er ahnte nicht, dass Klaus voller Ehrgeiz Petra und sich selbst im Fitnessstudio zu einem Spinning-Kurs angemeldet hatte. Für den war es wichtig, dass sie sich nicht in der Gruppe wegen mangelnder Kondition blamieren müssten. Bei ihm eine überflüssige Sorge, bei Petra, die sich weniger körperlich fit hielt und dauerhaft an einem erhöhten Blutdruck litt, war das Training eher sinnvoll. Sie maulte zwar über seinen Eifer, gab ihm aber nach, um ihn nicht zu enttäuschen.
***
Wenige Wochen vorher hatte ihn Klaus an seinem Arbeitsplatz aufgesucht. Der erwischte ihn, als er gerade einen Wunsch von Rosa online bearbeiten musste. Die hatte ihn kurz zuvor angerufen und darauf gedrungen, dass die Gruppe unbedingt an einer Schlossbesichtigung in Heidelberg teilnehmen sollte.
„Dafür ist aber eine Reservierung für die Führung erforderlich“, ergänzte sie ihren Wunsch.
„Rosa, das müssen wir nicht über den Veranstalter buchen“, hatte er versucht, seine Freundin zu überzeugen. „Das können wir doch direkt vor Ort regeln.“
„Das sehe ich ganz anders. Wir sind zehn Leute, und es könnte mit unserer verfügbaren Zeit knapp werden. Mach es einfach! Ich will schließlich eine kompetente Führung“, ließ sich Rosa nicht beirren.
Pauls leisen Seufzer oder das Verdrehen seiner Augen hatte sie am Telefon nicht mitbekommen und sich nur mit einem herzlichen Gruß bedankt. „Du bist ein Schatz, weißt du das? Tschüs, Paul!“
„Rosa, was soll ich sagen?“, hatte er daraufhin resignierte. Sie und ihr Mann Benno, ein Beamter in der Stadtverwaltung, legten stets großen Wert darauf, dass sie gehört und ihre Gedanken ernst genommen wurden. Sie ließen sich schwer abbringen von einmal gefassten Ideen, das wusste er ja.
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