Unter den Experten in Deutschland gibt es auch zwei Richtungen, die zur Diskussion stehen. Die eine Richtung ist für eine konstante Beibehaltung der Reproduktionszeit auf knapp unter eins. Das wäre der heutige Status. Folge wäre, dass wir weiter auf kleine Lockerungen setzen und die Dauer würde sich noch auf Monate, vielleicht sogar bis ins nächste Frühjahr ziehen. Es versteht sich von selbst, Dinge einzuhalten wie Abstand halten, Mundschutz tragen und Hände waschen. Dies wäre nach wie vor erforderlich. Der wirtschaftliche Schaden wäre relativ groß. Genaue Zahlen vermag derzeit niemand zu nennen.
Die andere Richtung wäre, die Lockerungen fast ganz auszusetzen, damit die Reproduktionszahl bei etwa 0,2 liegen würde. Folge dieser Maßnahme wäre, wir hätten in zwei bis drei Monaten, oder auch vier Monaten, das Virus ausgehungert. Nach Aussage der Virologen wäre das Coronavirus bis auf kleinere Rückschläge bei uns nicht mehr vorhanden. Vorsichtsmaßnahmen wie im vorigen Absatz beschrieben sind nach wie vor einzuhalten. Allerdings würde das auch bedeuten, dass wir die Entwicklung, insbesondere in den Nachbarstaaten, aber auch aus dem Ausland, genau beobachten müssen, um keine weiteren Infektionen zu bekommen. Das Virus wird weltweit nicht verschwunden sein und ein Impfstoff ist noch in weiter Ferne. Wirtschaftlich wäre diese Maßnahme auch hart, aber zeitlich überschaubar.
Wenn wir ein drittes Szenario betrachten, das wären schnellere Lockerungen, wie die Wirtschaft das möchte, würde wahrscheinlich folgendes geschehen: die Infektionen würden rasch ansteigen, d. h. die Reproduktionszahl würde über 1, vielleicht auf 1,2–1,3 oder mehr steigen, mit der Folge, dass unser Gesundheitssystem binnen kurzer Zeit an seine Grenzen stoßen und kollabieren würde. Die Lockerungen müssten drastisch wieder zurückgefahren werden mit Ausgangsbeschränkungen und Kontaktverboten. Wir stünden praktisch wieder am Anfang und würden um viele Monate zurückgeworfen. Da wäre wirklich nur noch ein schneller Impfstoff die Rettung. Der wirtschaftliche Schaden wäre noch viel größer. Da niemand den Ausgang dieser Pandemie kennt, sollten alle, ausnahmslos alle, etwas mehr Demut und Geduld zeigen. Diejenigen, die heute viel fordern, sollten die Verantwortung für ihre Forderung übernehmen. Was ich aber nicht glaube ist, dass dieser Personenkreis einfach ein weißes Blatt mit ungewissem Ausgang unterschreiben würde.
Die christliche Kirche in Corona-Zeiten
Auch die Kirchen stehen vor großen Herausforderungen. Die gute Nachricht aber vorweg: es soll in Kürze Lockerungen geben, welche wie überall mit Auflagen verbunden sind. Die Kirche und der Personenkreis derjenigen, die zum Dienst in der Kirche bestellt sind, können wieder aufatmen. Das sind Priester, Diakone, Messdiener, Küster, Organisten, Chöre usw. Wir haben noch die Bilder von Ostern im Kopf. Leere Dome, Kirchen und Kapellen. Film-Aufnahmen können nicht über diese Trostlosigkeit hinwegtäuschen. Der Mensch braucht Nähe und Kontakt, insbesondere in schweren Zeiten. Kirchliche Alten- und Pflegeheime sowie Krankenhäuser waren und sind immer noch einem enormen Druck ausgesetzt. Aber ebenso die Einrichtungen, die schließen mussten, wie Schulen, Kitas, Seminare, weil sie ihrem kirchlichem Bildungsauftrag nicht mehr nachkommen konnten. Das größte Problem in der Kirche war, dass die Priester ihre Toten nicht wie gewohnt begraben konnten. Auch hier wurden Sicherheitslauflagen angeordnet.
Neben der Corona-Krise sind leider viele Themen wie die Missbrauchsfälle oder Maria 2.0 etwas aus dem Blickwinkel geraten. Neben dem finanziellen Verlust, den auch die Kirche zu beklagen hat, ist ein Neuanfang nicht leicht. Aber die Kirche wird neben Worten auch an Taten gemessen. Es gibt Menschen, die glauben zu wissen, dass diese Pandemie ein Fingerzeig von ganz oben wäre. Ganz oben kann es nur Gott, Mohammed oder ein Gott sein, den wir noch nicht kennen. Vielleicht ziehen alle Religionen die Erkenntnis daraus, dass wir alle in der gleichen Welt leben, uns öffnen müssen, auch gegenüber Andersdenkenden und wir alle nur ein winziges Staubkorn auf dieser Erde sind.
Eine kleine Zwischenbemerkung
Auf Grund der umfangreichen Berichterstattung in allen Medien ist es unmöglich, auf alle Themen, sei es aus den Bundesländern, der Bundesregierung, Europa und weltweit zu dem Corona-Thema Stellung zu beziehen. Das würde den Rahmen sprengen und ist Aufgabe von Historikern. Ich versuche ein Stimmungsbild aufzuzeigen, welches aus meinem direkten Umfeld kommt oder mir wichtig erscheint.
Ich habe schon von umfangreichen Medienberichten und auch von den Aufgaben der Medien in Krisenzeiten geschrieben. In diesem Zusammenhang möchte ich erwähnen, dass am 21. April berichtet wurde, dass sich Deutschland in der Weltrangliste der Pressefreiheit von Platz 13 auf 11 verbessert hat. Diese Nachricht hat es verdient, erwähnt zu werden. Gerade in Krisenzeiten sind Presse- und Meinungsfreiheit eine wichtige Voraussetzung, um Vertrauen zu schaffen. Ohne einen Staat zu diskreditieren, ist in vielen Ländern, sogar auch in einigen EU-Mitgliedsstaaten, keine Presse- und Meinungsfreiheit zu erkennen. Dieser Zustand ist nicht akzeptabel!
Es gibt aber auch gute Signale aus dem Europäischen Raum. Es geht um die Unterstützung der Wirtschaft in der Corona-Krise in Dänemark. Das „kleine“ Dänemark hat ein 15-Milliarden-Euro-Programm auf den Weg gebracht. Im Kleingedruckten findet sich ein Clou: Unternehmen, die ihren Sitz in irgendeiner Steueroase unterhalten, sind von den Hilfen ausgeschlossen – sie brauchen sich gar nicht erst bewerben. Bravo! Mich würde interessieren, wie Deutschland und die anderen EU-Länder das geregelt haben.
Kurzmeldungen vom 22. April
Es wird lebhaft über eine allgemeine Maskenpflicht, zumindest in geschlossenen Räumen, in ganz Deutschland diskutiert. – Der Gaststättenverband setzt sich massiv für eine Herabsetzung der MwSt. auf Speisen ein. – Die Hilfe für Solo-Selbstständige soll verbessert werden. – Das Kurzarbeitergeld soll erhöht werden. – Es soll ein Familienbonus für bedürftige Familien mit einem einmaligen Zuschlag geben. – Studenten, die ihren Nebenjob verloren haben, soll kurzfristig Zugang zum Bafög ermöglicht werden. – Die CDU spricht sich für mögliche Finanzhilfen für andere EU-Mitgliedstaaten aus, aber nicht für Eurobonds. Teile der SPD sind für solche Bonds. – Bayerns MP Markus Söder und der Münchner OBM Dieter Reiter sagen die Münchner Wies’n für 2020 ab. Erstmals seit 70 Jahren gibt es in München kein Oktoberfest. – Die Spielplätze sollen in Kürze wieder geöffnet werden. – Ab dem 27. April 2020 ist in ganz Deutschland Maskenpflicht, d. h. in allen Geschäften, im ÖPNV und in allen öffentlichen Gebäuden.
Wer blickt noch durch in der Krise?
Einer Fragestunde am 22. April 2020 im Deutschen Bundestag ist diese provokative Überschrift geschuldet. Mehrere Bundesminister standen während einer Fragestunde Rede und Antwort im Bundestag. Aufgrund der unterschiedlichen Begrifflichkeiten in Bezug auf die Erfassung der Coronafälle und auch der Verstorbenen wurde mir klar, dass es den meisten Fragestellern nur darum geht, die Antwort zu hören, welche sie auch hören möchten, um dann daraus ihre eigenen Schlüsse zu ziehen. Es wurde auch klar, dass eine genaue und fehlerfreie Erfassung auf Grund der Komplexität gar nicht möglich ist. Das hängt damit zusammen, dass es mit verschiedenen Ansätzen zu unterschiedlichen Ergebnissen und damit zu unterschiedliche Schlüssen führen kann.
Die Schwierigkeit besteht darin: was heute richtig ist, kann morgen schon falsch sein, oder umgekehrt. Was aber noch viel wichtiger ist, ist zu erkennen, dass es nur zwei Seiten gibt, das Eine zu tun oder das Andere zu lassen. Die eine Seite hat die Wirtschaft im Blick und die andere den Menschen. Es gibt nur die zwei Möglichkeiten. Das mache ich an der Tatsache fest, dass die wirtschaftsnahe Bewegung den Druck auf die Regierung immer mehr erhöht, egal wie sich das Virus weiterentwickelt. Das wird natürlich niemand zugeben, aber die Konsequenz ihres Handelns wäre eine Katastrophe. Das Einzige, was unsere Virologen, Mediziner und Wissenschaftler wissen ist, dass das Virus mehr ist als ein Grippevirus. Die Toten weltweit beweisen das. Die Art, diese Menschen so sterben zu sehen, war auch den Medizinern neu.
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