Noch am selben Abend in seiner kleinen Wohnung in Las Vegas, abseits des großen Strips, legte er sich eine Strategie zurecht. Er hatte immer noch Kontakte in die Szene von früher und mit einem kleinen Angebot könnte er vielleicht seine Lieferungen deutlich erhöhen. Falls es die Liefermenge nicht nach oben brachte, wäre aber vielleicht eine Erweiterung seines Sortiments möglich. Es war bereits mitten in der Nacht als er seinen alten Kollegen anrief. Die beiden Männer kannten sich noch von seinen Anfangszeiten in dem Geschäft. Sein Leben war fast genauso wie Roys verlaufen. Beide waren sie damals aufgeflogen und mussten sich aus dem Staub machen. Während Roy nach Mexiko flüchtete, bestieg sein Kumpel ein Boot in San Diego und ließ sich nach Kanada bringen. Quellen hatten beide genug.
»Roy, du alter Taugenichts. Lebst du noch?«, fragte er am Telefon.
»Wie du hörst, atme ich noch Paul. Sprachanrufe aus dem Jenseits sind meines Wissens nach nicht möglich.«
»Wie war das Leben zu dir, alter Freund?«
»Es hätte lieber sein können, aber es wird langsam besser. Hör mal Paul, ich habe ein großes Problem mit meinen Lieferanten, hättest du jemanden an der Hand, der mir zusätzlich mehr liefern kann?«, fragte er frei heraus.
»So kenne ich dich Roy, immer gleich auf den Punkt kommen. Die erste Frage ist aber, wo du dich eigentlich herumtreibst.«
Roy huschte ein schwaches Lächeln über die Lippen, »Amerikas Spielplatz.«
Diese zwei Worte reichten aus, um jedem klarzumachen, wo man sich gerade aufhielt. Die Stadt in der Wüste Nevadas bedurfte keiner weiteren Erklärung und sie wurde sofort verstanden.
Paul pfiff durch die Zähne, »Bist du in die Oberliga aufgestiegen?«
»Nur Orts technisch«, gab Roy etwas geknickt zu. »Meine Lieferanten spielen aber immer noch in der Amateurliga und so wie es aussieht ändern sie das die nächsten 200 Jahre auch nicht. Ich brauche mehrere Lieferanten, die genug Kapazitäten aufbringen können!«
Paul atmete hörbar tief durch, »Was brauchst du Roy?«
»Ice, Snow am besten alles was geht!«
»Ich werde sehen, was ich tun kann, Roy, aber das dauert ein paar Tage.«
Die beiden beendeten das Gespräch. Roy hatte ein gutes Gefühl. Auf Paul hatte er sich schon immer verlassen können und das würde sich auch dieses Mal nicht ändern. Nun musste er nur noch warten bis sich sein Kollege mit neuen Lieferanten bei ihm meldet. Am nächsten Morgen machte er sich auf den Weg, die MDM Kristalle zu kaufen und dann in seinem Versteck den Rest der Lieferung zu strecken. Er brauchte noch viel mehr Drogen, um richtig in den Verkauf einsteigen zu können. Leider dauerte das noch lange genug. Selbst wenn Paul seine Lieferanten angefragt hatte, dauerte es noch eine ganze Weile bis die Lieferungen bei ihm ankommen würden. Dann könnte Roy endlich anfangen richtig zu verkaufen.
6. Kapitel
Vereinigte Staaten, Portland (OR)
Schon seit Stunden observierte Vivian Burgess nun schon das Hochhaus im Herzen von Portland. Das Paket sollte erst im Laufe des Tages geliefert werden, hatte sie von ihrer Freundin Tiana erfahren. Soeben saß sie im Außenbereich eines kleinen Restaurants und genoss Tagliatelle in einer herrlichen Weißweinsauce. Sie kannte das Lokal noch nicht, fühlte sich von der Speisekarte auch nicht besonders angelockt, aber es war der einzige Standort, von dem aus sie ungefährdet den Eingang des gegenüberliegenden Hochhauses überwachen konnte. Immer, wenn sie dachte, ihr Päckchen würde endlich geliefert werden, stellte sich der potenzielle Agent als Geschäftsmann heraus, der einen Termin wahrnahm.
Den letzten Bissen ihrer Mahlzeit spülte sie mit einem Glas frisches Quellwassers hinunter. Gerade in diesem Moment sah sie einen Mann in zerschlissenen Klamotten das Hochhaus betreten. Sein Anzug schien schon viele Jahre in einem Schrank gelagert worden zu sein. Die Motten hatten einige Löcher in dem Stoff hinterlassen, die notdürftig mit einigen Flicken kaschiert wurden. Der Träger war ein älterer Mann, der seine besten Zeiten schon lange hinter sich haben musste. Seine Bewegungen zeugten von schmerzenden Beinen und er ging etwas gebeugt. Vivian hatte das Gefühl diesen Mann bereits schon einmal gesehen zu haben. Sie konnte sich allerdings nicht erinnern, wo das gewesen sein könnte.
Der etwas ältere betrat das Verwaltungsgebäude, hielt sich aber nicht am Empfang auf, sondern steuerte direkt auf den Aufzug zu. Entweder kannte sich der alte Mann hier aus, oder es war ihr Kurier, dachte sich Vivian. Sie musste ihm folgen, um ihre eigenen Ermittlungen am Leben zu erhalten. Allerdings zweifelte sie ernsthaft daran, dass dieser Mann im Dienst von SNB stand. Seine Tarnung mit dem alten schlechten Anzug und so unvorsichtig wie er zu Werke ging konnte er eigentlich kein Agent sein. Trotzdem lag es jetzt an ihr, diesem Geheimdienst auf die Spur zu kommen. Vivian bezahlte ihr Essen beim Kellner und wartete an der nächsten Straßenecke auf den Besucher.
Kurz darauf kam der Mann mit dem zerschlissenen Anzug wieder aus dem Verwaltungsgebäude und trat in die Frühlingssonne in Portland. Vivian beobachtete ihn aus sicherer Entfernung. Als er seinen Weg antrat, blieb sie hinter ihm und folgte ihm versteckt durch die belebte Großstadt. Sein Weg führte durch die engen Straßenschluchten bis zu einer Bushaltestelle. Vivian hatte nicht damit gerechnet, dass ein Agent mit dem Bus fahren würde. Sie brauchte auf die schnelle eine Idee, wie sie möglichst unerkannt an ihm dranbleiben konnte. Sie entschied sich in die Offensive zu gehen und etwas abseits von ihm auf den Bus zu warten. Während er völlig ruhig und gelassen vor dem Häuschen der Haltestelle stand, pirschte sie sich etwas abseits von hinten an das Häuschen heran und wartete. Sie ließ den alten Mann nicht aus den Augen.
Sein Profil glitzerte in der noch schwachen Sonne. Das Gesicht war mit tiefen Falten durchzogen und die grauen Haare hatten sich wie zu einem Heiligenschein um seinen ansonsten unbehaarten Kopf zurückgezogen. Er trug eine dicke Hornbrille auf der Nase. Vivian konnte erkennen, dass er ohne sein Nasenfahrrad so gut wie nichts mehr erkennen konnte. Das machte ihr Hoffnung unerkannt zu bleiben, wenn sie ihm folgte. Als der Bus ankam, zog er sein Ticket aus der Tasche und wartete darauf, dass der Fahrer die Türen öffnete. Neben ihm standen noch einige weitere Fahrgäste. Vivian bewegte sich ebenfalls in die Warteschlange zum Einsteigen, blieb aber außerhalb seines Sichtfelds. In den Filmen sah das immer leichter aus, jemandem unerkannt zu folgen.
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