BONÆ. FAMÆ. POETÆ
FRIDERICI. GUILIELMI. GLEIMI
HOC. MONVMENTVM
AD. REGVLAM. POETICO. CRITICAM
VIRI. PERILLVSTRIS
CHRISTIANI ADOLPHI KLOTZI
POSVIT, A.
Gewiß! so wenig sich Bruder Yorik auf die casuistischen Streitfragen seines Didius, und auf die Subtilitäten des alten Grüblers Shandy verstehen wollte: so unlieb will ich bei meinem Worte gehalten seyn, um jeder kleinen Schnurre von Gedichte ihre Moral und Keuschheit vorzuzeichnen, es bei dem frommen Wieland auszumessen und auszuwägen, wie viel Grade Christliche Zucht in seinen komischen Erzälungen, oder, wie viel Quentchen unschuldige Einfalt in Rosts Schäferstunden enthalten seyn mögen. Der Letzte ist gestorben, aber den bösen Wieland, Uz, Gleim und Lessing empfehle ich zur frühzeitigen Büßung und Bekehrung, bei Hrn. Klotz 14die Todesangst, und die reuige Palinodie eines Campans, den bußfertigen letzten Wunsch des La-Fontaine, das schreckliche Ende der lüderlichen Leute Regnier und Grecourt, und die scharfe Epanorthose des Beichtvaters Young zu lesen, und thränendwäßrige Bußlieder, oder bis zum Gähnen erbauliche Kirchengesänge, als Opfer – doch ich bin ja kein Casuiste.
Alle rührende Todesfälle und Bußgedanken übergangen, nehme ich bei Herr Klotzen nur Eins in Anspruch, daß die bona fama, ehrlicher Dichter nicht nach ihren Gesängen beurtheilt werden müsse, daß sie seit ewiger Zeit das Privilegium von ihrem Lügengott Apollo empfangen, Dinge von sich selbst sagen zu können, die ihnen kein andrer, der bonae famae wegen, nachsagen darf: und daß man ihnen, diesen leichtsinnigen Schleuderern von Einfällen, eben nicht durchaus den Rücksprung wehren dörfe, den Teurer hinter den Schild Ajax nahm: castum decet poetam, versus etc. daß es wenigstens immer einen wesentlichen Unterschied zwischen der Sittlichkeit der Verse und des Lebens gebe u.s.w. Wer mit diesen Rettungen nicht zufrieden ist, wende sich an das Archiv des Apollo, wo er das Original des Privilegiums findet.
Ich rede als Privatleser fort. Dichter, als Dichter, macht sich anheischig, uns auf eine oder die andre Art mit einer Fiction zu täuschen, täuschend zu vergnügen, dies ist sein Gesetz: Und dahin streben auch seine Zwecke, er mag Charaktere schildern, oder die Fabel dichten, oder die Rede bestimmen, oder selbst reden: Und da hinaus soll er auch beurtheilet und gelesen worden. Nehmet ihr denn, kann er sagen, mein Gedicht zur Hand, um Beichtväter meines Lebens abzugeben, um meine Zucht und Ehrenwärter, oder um meine Poetischen Leser zu seyn? Wie, wenn ihr das erste wollet, warum blättert ihr lieber nicht in Henkels letzten Stunden, und traget dahin, außer andern Beispielen, auch das Ende bußfertiger Schriftsteller; eines an Leib und Seele kranken Campanus, eines Fontaine, aus dem seine Pflegerin, geschweige sein letzter Gewissensrath, machen konnte, was er wollte? Woher, daß ich euer Erbauungsstifter seyn soll, da ich mich gegen euch zu nichts verstanden, als euch durch meine Fabel, durch mein Drama, durch die Sitten meiner Personen, durch meine eigne Reden, zu – täuschen? Wollet ihr eure Seele diesem illusorischen Reize nicht öffnen; so schlaget mein Buch zu; wir sind keine Leute für einander; an mich habt ihr kein mehreres Recht, als ich euch gebe, nämlich daß ich euch mit Dichtungen in Traum setzen, nicht daß ich euch wachend lehren wollte. Auf unmittelbare Moralen, trocken und schläfrig, wie ihr selbst, kommt bei mir nicht zu Tische: wenn ihr euch meine lasterhaften Charaktere, meine Tändeleien moralisch merken wollt, so thuts nicht um darnach zu handeln, sondern um sie zu erkennen. Gewöhnet euch, aus meinem leichtsinnigen und scherzhaftem Geschwätze nur immer dazu, auch in schwatzhaften Auftritten dieser Art, wo sie euch wirklich im Leben erscheinen, Geschmack zu beweisen, sie auch hinter ihren Masken nicht zu verkennen, und euer Urtheil schon längsther darüber sicher zu haben – Nutzen gnug von meinem Geschwätze. In meinem Buche könnt ihr immer ohne Kosten der Unschuld lachen; nur müsset ihr mich weder im Bösen noch im Guten, zuerst und vorzüglich für Etwas nehmen wollen, was ich nicht bin – Sittenlehrer durch Vorschrift oder Beispiele. Virgil ist ein Epischer Dichter, kein Custos des sechsten Gebots.
Ich will nicht sagen, daß ich die Sorgfalt der Dichter für Ehrbarkeit und Zucht etwa verspotten, oder geringschätzig machen wollte: sie bleibt schätzbar und nachahmenswürdig. Aber auf sie, als auf Hauptaugenmerk ausgehen, kann keine Poetische Leser desselben bilden, zeigt keinen poetischen Leser desselben an, verrückt vielmehr die Sphäre eines blos poetischen Lesens völlig. Fromm mag sie seyn, aber auch nichts weiter; ich will das Auge meines Jünglings nicht verwöhnen, bei Dichtern dergestalt einen Kundschafter der Ehrbarkeit abzugeben, sonst wird er kein poetischer Jüngling. Ein tugendhafter Jüngling aber? Recht gut! »Die Tugend, sagt der Landpriester von Wakefield, die immer und immer eine Schildwache nöthig hat, ist kaum der Schildwache werth!« – –
1 De verecundia Virgilii. v. Klotz. opusc. var. argum. p. 242. etc.
2p. 242–44.
3p. 249.
4 Quod ad animum quidem attinet, aliquoties illius imaginem carminibus intexuit. Nam & in Opusc. poet. Humana inquit fortis subjiciam mihi etc. p. 172. 73. 74. 75. 76. 77. 78.
5Gleims Lieder Th. 1. p. 2.
6p. 23.
7p. 29.
8p. 16.
9p. 3.
10p. 3.
11p. 3.
12p. 19.
13p. 39. Im Ernste weiß ich, daß ein sehr erbaulicher Schriftsteller sich über die Worte:
Soll ich mir den Himmel wünschen?
Nein! dann wünscht' ich ja zu sterben!
recht fromm geärgert, und sich gegen die Neckereien mit dem Tode auch in seinen bloßen Todesschriften oft gnug erkläret.
14p. 151–152.
Inhaltsverzeichnis
Jener frug: was ist Wahrheit? und ich werde wohl sehr weitläuftig, was Schaamhaftigkeit sey? fragen müssen, da Hr. Klotz nicht etwa über die persönliche Schaamhaftigkeit Virgils allein, sondern auch und insonderheit über die Schaamhaftigkeit, die in seinen Gedichten herrscht, spricht, und mit Allgemeinsätzen auf so viel andre schaamhafte und schaamlose Griechen und Römer beian zieht, daß mir über das weite Thema Angst und bange wird. Man erlaube mir also, mich auf eine Besichtigung der Schaamglieder so vieler Schriftsteller, aus verschiedenen Zeiten und Völkern und Gattungen, zum Voraus mit der Frage zu wapnen: »worin die Schaamhaftigkeit überhaupt bestehe? wie sich einzeln äußere?«
In keiner Aeußerung ist die Schaam wohl Menschlicher und in unserm Wesen profunder, als wenn sie ein Schleier wird, die Neigungen der Liebe zu bedecken. Rousseau mag untersuchen, wenn der Mensch aus einem vierfüßigen Thiere ein aufrechtgehender Mensch geworden; seitdem er ein aufrechtgehender Mensch ist, so scheint dem Triebe der Liebe ein andrer Trieb zum Gesellschafter gegeben zu seyn, der heißt Schaam; insonderheit beim schwächern Geschlechte. Selbst an Thieren will man etwas Aehnliches mit ihm bemerkt haben; wo aber auch nicht, so ist doch selbst bei Menschlichen Thieren, den Wilden, die natürlichste Handlung des Geschlechts nicht ohne diese Hülle; und man könnte vielleicht Wahrscheinlichkeiten angeben, warum sie darohne nicht seyn dorfte? Vielleicht ist bei Menschen der erste Trieb weniger Instinkt, weniger Naturzug, als bei Thieren; daß er also durch den Reiz eines Triumphs, durch kleine zu übersteigende Schwierigkeiten, durch die begleitende Schaam verstärkt werden mußte. Vielleicht war, insonderheit beim schwächern Geschlechte, dieser Schleier nöthig, weil in ihm, wie im Schleier der Venus bei Homer, die Liebe, der Reiz, und das Verlangen wohneten, weil er ein Band seyn sollte, Jupiter so an den Willen der Juno zu knüpfen, als Juno sonst, wenn es auf Gewalt ankam, an der güldnen Kette Jupiters hieng: vielleicht würde ohne diesen Vorhang wiederum der Trieb des andern Geschlechts, so wie die übrigen, nicht in den Schranken des Bedürfnisses bleiben, und denn, mehr als alle übrige, das Menschengeschlecht zu Grunde richten – Vielleicht sey Vielleicht: die Folge selbst ist gewiß: die Natur gab aus weisen Ursachen der Göttin Genethyllis eine Vorgängerin:
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