1 ...6 7 8 10 11 12 ...18 Nach einem Kopfnicken in seine Richtung, wende ich mich ab.
»Geh los«, fordert mein Großvater in meinem Kopf. »Ich weise dir den Weg.« An der gegenüberliegenden Wand befindet sich ein Durchgang, der zu den Räumen der Dienstboten führt. Mein Großvater lenkt meine Beine in diese Richtung. Ich verberge mich im Dunkeln und suche mit dem Blick den Innenhof nach dem Gesicht ab, das Oremazz mir geschickt hat.
Als ich noch einmal zu Elevander sehe, nickt der mir zu, als hätte er keine Schwierigkeiten, mich auch in der Finsternis zu finden. Ein Lächeln erscheint auf seinem Gesicht, bevor er sich auf den Weg macht, um seiner Arbeit nachzugehen.
Ich schiebe mich tiefer in die Schatten und setze meine Suche fort. Endlich entdecke ich den Mann, auf den der Große Zaubermeister es abgesehen hat. Der grauhaarige Kerl macht sich gerade an einer der Tonnen zu schaffen, in denen das Regenwasser aufgefangen wird. Anscheinend hat sich ein Ring gelockert, der die Holzbretter zusammenhält. Der Mann versucht, sie an die richtige Stelle zu rücken und dann mit dem Schlag seines Hammers zu festigen.
Seine Handlungen will Oremazz also mit meiner Hilfe beeinflussen. Ich werde das Werkzeug sein, mit dem er die Magie in die richtige Richtung lenkt. Jetzt wird sich entscheiden, ob unser Plan in die Realität umgesetzt werden kann.
Die Aufgabe stellt eine Herausforderung für mich dar. Ich muss mich jede Sekunde konzentrieren, um die Verbindung nicht abreißen zu lassen. Es wäre viel leichter, einfach die Augen zu schließen, meinen Körper ganz meinem Großvater zu überlassen. Wenn er die Kontrolle übernimmt, bemerke ich nicht, was vor sich geht. Es ist, als ob ich in Trance wäre und an einen anderen Ort katapultiert wäre. In einen dunklen Raum, in dem keine Zeit existiert.
Meine Miene wird dabei allerdings zu einer starren, gefühllosen Maske. Meine Lippen bewegen sich zu Oremazz’ Worten. Doch in meinen Augen fehlen die Lebendigkeit, das Feuer, das mich ausmacht. Jedem Beobachter ist sofort klar, dass etwas mit mir nicht stimmt.
Deshalb musste ich lernen, wie ich den Willen meines Körpers in dem richtigen Ausmaß an Oremazz übergebe. Er steuert meine Bewegungen, meine Worte, meine Gedanken. Dadurch bemerkt niemand die Täuschung. Niemand kann herausfinden, dass nicht ich die Magie wirke, nicht ich die weisen Ratschläge gebe. Es ist ein Schutz meiner Person, die als Hochstapler gebrandmarkt werden würde, und gleichzeitig die einzige Möglichkeit, das Vertrauen in mich zu stärken. Wenn jemand herausfinden würde, dass Oremazz über meine Fähigkeiten gelogen hat, würde das seine Position als Großer Zaubermeister gefährden. Er ist zu wichtig für unser Volk, als dass ich auch nur den geringsten Zweifel an seiner Position aufkommen lassen kann.
Jetzt bemühe ich mich um eine ruhige Atmung. Ich fokussiere meine Aufmerksamkeit ganz auf Oremazz. Gleichzeitig lasse ich den Mann nicht aus den Augen, den mein Großvater ausgewählt hat. In ein paar Sekunden werde ich die Worte sprechen, die mir der Große Zaubermeister in den Mund gelegt hat. Gleich werde ich einen Zauber wirken, um zu testen, ob der Fremde meinen Befehlen folgt. Nur so können wir herausfinden, ob Oremazz durch mich einzelne Feinde außer Kraft setzen kann.
Die Verbindung steht. Ich kann die Magie fühlen, die sich jetzt in mir sammelt, mich bis in die Zehenspitzen ausfüllt. In mir bündelt sich Wärme, Licht und Kraft. Meine Fingerspitzen prickeln, sodass ich meine Arme hebe und meine Hände die richtige Haltung einnehmen lasse. Währenddessen steigt die Kraft weiter in mir an. Gerade als ich denke, nicht mehr davon ertragen zu können, beginnt die Magie in einem steten Strahl zu fließen. Sie durchströmt meine Arme und verlässt durch meine Finger meinen Körper, während immer neue Kraft nachdrängt. Nur für mich ist dieser Fluss von Energie von mir weg als schnelle Vibration in der Luft sichtbar.
Die Magie erreicht den Mann, für den sie gedacht ist. Er richtet sich auf und drückt den Rücken durch. Der Hammer gleitet aus seiner Hand und landet direkt neben seinen Zehenspitzen auf dem Boden. Der lange Stiel prallt dabei von seinen Schuhen ab. Bestimmt ist das schmerzhaft, doch der Mann gibt keinen Laut von sich.
Ich kann sein Gesicht erkennen. Ein verblüffter Ausdruck liegt darauf, bevor er sich langsam in Angst wandelt, weil er nicht in der Lage ist, sich zu bewegen.
Oremazz befiehlt ihm, den Arm zu heben. Zuerst wehrt er sich dagegen. Vermutlich ist es nicht hilfreich, dass ich Mitleid mit dem armen Mann habe, der nicht weiß, was mit ihm geschieht. Die Verärgerung des Großen Zaubermeisters trifft mich wie ein Peitschenschlag.
Wieder einmal bin ich dabei, ihn zu enttäuschen. Zwei Sekunden lang schließe ich die Augen, fokussiere mich auf die Macht, die er durch mich strömen lässt. Dann blicke ich zu dem Mann, verstärke den Zauber meines Großvaters, indem ich auch meinen Befehl an unser Opfer schicke, das zu tun, was Oremazz ihm aufgetragen hat.
Langsam hebt sich der Arm des Mannes. Seine Muskeln zittern vor lauter Anstrengung, der Bewegung zu widerstehen. Doch er hat keine Chance. Schließlich reckt sich seine Hand hoch gen Himmel.
Ein Hochgefühl nie gekannten Ausmaßes macht mich trunken. Dieser Erfolg ist nur durch mich möglich gewesen. Jetzt hoffe ich nur, mein Großvater triumphiert über diesen Augenblick genauso sehr wie ich.
Der Mann, der unter unserem Bann steht, gibt einen wimmernden Laut von sich. Er will sich immer noch gegen uns wehren, was ich ihm nicht verdenken kann. Die Magie, die Oremazz durch mich fließen lässt, um die Kontrolle über ihn zu behalten, steigt an. Sie füllt mich bis zum Rand aus, sodass sich ein leichtes Schwindelgefühl in meinem Magen breitmacht. Ganz offensichtlich ist der Große Zaubermeister nicht zufrieden damit, wie der Versuch bis jetzt verlaufen ist.
Wieder lese ich erst die Gedanken meines Großvaters. Als ich weiß, welche Art von Bewegung ihm vorschwebt, helfe ich mit meiner eigenen Kraft nach. Ganz plötzlich streckt der fremde Mann die Hand zur Seite aus, während er sein linkes Bein anhebt.
Diese Position kann unmöglich bequem sein. Tatsächlich muss es sogar schwer sein, das Gleichgewicht zu behalten. Dennoch steht er gerade, als wäre sein rechtes Bein im Boden verwurzelt.
Der Gesichtsausdruck unseres Opfers zeigt seine Panik. Seine Augen huschen von links nach rechts. Der Zauberspruch von Oremazz verhindert, dass der arme Mann den Kopf drehen kann. Er ist nicht in der Lage, herauszufinden, woher die Bedrohung kommt, oder um Hilfe zu bitten. Wieder kommt dieses seltsame, unterdrückte Wimmern von ihm. Dann schickt mein Großvater etwas mehr Magie, und der Mann auf einem Bein verstummt zur Gänze.
Ich kann den Zauber lesen, den der Große Zauberer plant. Ich verstehe, was er vorhat.
Die Anziehungskraft der Erde soll keine Wirkung mehr auf den Mann haben. Wenn Oremazz ihm mit einem schnellen Ausbruch der Magie einen Stoß versetzt, wird er abheben und gegen eine der Wände des Innenhofs geschleudert werden. Sein Körper würde das nicht verkraften.
Verdammt, das kann mein Großvater nicht tun! Dieser arme Mann hat nichts Falsches getan. Er ist bloß zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen. Er hat nicht verdient, dass man ihn verletzt.
Mit der Kraft meiner Gedanken sende ich dem Großen Zaubermeister eine Nachricht. »Diesen Sturz wird er nicht überleben. Das können wir nicht riskieren.«
»Es gibt keine andere Möglichkeit, herauszufinden, ob du als Medium funktionieren kannst.«
Einen Moment stockt mir der Atem. Hat Oremazz tatsächlich gerade den Tod eines Menschen als notwendiges Opfer abgetan? »Wir haben keine andere Variante versucht.«
»Sträube dich nicht gegen das Unabwendbare«, befiehlt mein Großvater. »Öffne dich für die notwendige Magie.«
»Nein.« Ich bin einfach nicht in der Lage, Teil dieses bösen Spiels zu sein. Möglicherweise ist es notwendig, dass wir jemanden als Versuchskaninchen benutzen. Doch diese Person soll dabei nicht zu Schaden kommen. Dieser Mann hat nicht verdient, durch meine Unfähigkeit verletzt zu werden. Ich kann es nicht zulassen. Nun will ich ihn verteidigen. Komme, was wolle.
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