An einem dieser Angeltage erzählte mir Billy von einem seiner Eisenbahnkollegen, der kürzlich verstorben war. Kurz vor dessen Pensionierung fuhr er mit seinem Motorrad am Strand entlang, um zu angeln. Er war etwas kränklich, hatte Asthma, fuhr aber trotzdem regelmäßig an diesen Strandabschnitt. Eines Tages, auf der Rückfahrt, sah er ein Stück von einem hölzernen Schiffsrumpf aus den strandnahen Wogen ragen, darauf einen Schiffsnamen eingebrannt. Er schrieb diesen Namen auf seine Zigarettenschachtel und fuhr heimwärts. Zu Hause berichtete er seiner Frau davon und gab ihr die Schachtel zur Aufbewahrung. Kurz darauf verstarb er und seine Frau hatte Billy nach der Beerdigung die Schachtel gegeben. Die Ehefrau war gleich wieder zurück nach Südafrika gegangen, wo die Familie ursprünglich hergekommen war. Billy gab mir dann die leere Schachtel mit der Aufschrift und ich verstaute sie zu Hause in meinem Kleiderschrank.
Meistens kam ich spät nach Hause, wenn ich mit Billy angeln war. Aber es gab dann immer frischen Fisch und auch das Kleingeld stimmte.
Anmerkung: Viele Jahre später fand ich bei irgendeiner Sucherei den abgerissenen Deckel der alten Zigarettenschachtel wieder und erzählte einem befreundeten Anwalt von dieser Geschichte. Wir gingen nicht weiter auf die Sache ein, aber es ließ ihm doch wohl keine Ruhe und am nächsten Morgen rief er mich an und sagte: „Bruno, bring mir den Deckel doch mal ins Büro, wir sollten vielleicht einige Nachforschungen anstellen.“ Ich brachte den Deckel also zu ihm. Da der Name, der auf dem alten Stück Schiffsrumpf gestanden hatte, portugiesisch klang, beauftragte er seine Sekretärin zunächst einmal, einen Brief an das portugiesische National-Archiv in Lissabon zu schreiben. Sie sollten uns informieren, ob sie Kenntnis von einem Schiff mit diesem Namen hatten. Wir hatten den Vorfall längst vergessen, als viele Monate später die Antwort aus Portugal eintraf. Mein Freund rief mich eiligst in sein Büro. Das Segelschiff war tatsächlich unter der Flagge Portugals, sie teilten uns das genaue Jahr Ende des achtzehnten Jahrhunderts mit, auf Handelsreise nach Indien gefahren. Auf der Rückreise muss es zwischen Angra Pequena und Cape Frio untergegangen sein. Die letzte Rollenmeldung war nachweislich in Angra Pequena abgegeben worden, das Schiff war aber nie am nächsten Stützpunkt, Cape Frio, angekommen. Das Archiv Lissabon hatte eine Liste der Ladung beigelegt. Diese bestand aus sechshundert Kilogramm Elfenbein, vierhundert Kilogramm Goldbarren und noch sehr vielen anderen Edelsachen. Immer wieder habe ich daraufhin an der von Billys Kollegen beschriebenen Stelle nach weiteren Hinweisen am Strand gesucht, leider ohne Erfolg. Meine Suche war allerdings aus Zeit- und Geldmangel auch nie besonders intensiv gewesen.
Eines Tages in den Ferien kam Pastor Schmidt auf seinem Motorrad zu Besuch. Er blieb zu Mittag und wie gewöhnlich fing dann gegen eins der Südwest-Wind zu wehen an. Gegen drei Uhr blies er dann aber so heftig, dass der Pastor unmöglich mit dem Motorrad fahren konnte. Vater sagte: „Bruno, lade das Motorrad auf den Nash und bringe den Pastor heim.“ Ich gab zu bedenken, dass ich ja noch keinen Führerschein besaß. Vater sagte: „Wenn der Pastor nicht heimkommt, hat er ganz andere Sorgen, also lasst euch nicht erwischen und bringe bitte noch die Post mit.“ So fuhr ich mit Pastors Segen das erste Mal selbständig in die Stadt hinein. Zuerst lud ich den Pastor bei der Kirche ab, danach fuhr ich zur Post, die in derselben Straße lag wie das Magistratsgebäude und die Polizeistation. Angeberisch, wie ich mich fühlte, fuhr ich dann auch noch zu Kurt und besuchte ihn im Schülerheim. Alles ging gut und ich kam ohne Probleme wieder zu Hause an. Von da ab fuhr ich auch oft allein mit dem Motorrad in die Stadt. Führerscheinlos, wie ich war, verließ ich mich dabei immer „auf Pastors Segen“. Bald war es die normalste Sache der Welt und es war allseits bekannt, dass Bruno in Swakopmund herumfuhr. Ich wurde niemals erwischt.
Das Problem kam dann erst, als ich sechzehn Jahre alt wurde und nun tatsächlich den Führerschein machen musste. Zuerst musste man einen Lehrschein beantragen, den man ohne Fahrprüfung bekam. Mit Lehrschein durfte man dann in Begleitung eines erwachsenen Führerscheininhabers das Fahren üben. Wenn man das gut genug konnte, prüfte die Polizei die Fahrtüchtigkeit. Erst dann erhielt man den eigentlichen Führerschein.
Ich fuhr also mit dem Auto in die Stadt, parkte vor der Post und ging zu Fuß rüber zur Polizei, um zunächst einmal meinen Lehrschein zu organisieren. Sergeant Venter war der oberste Polizeiwachtmeister. Er kannte meine Eltern gut und mich natürlich auch.
„Guten Morgen Sergeant“, sagte ich freundlich.
„Kann ich dir helfen, Bruno?“, fragte er.
„Sergeant, die Zeit ist gekommen, ich bin jetzt sechzehn und brauche nun einen Führerschein.“
Sergeant Venter fiel der Stift aus der Hand: „Du hast gar keinen Führerschein? Und fährst schon seit zwei Jahren hier mit dem Auto herum? Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich dich eingesperrt!“
„Sergeant, Sie haben ja nie gefragt und ich hatte einfach Glück.“
„Geh sofort rüber zum Magistrat Maritz und hole dir dort den Lehrschein!“
„Sergeant, der Herr Maritz ist nicht besonders freundlich, der macht bestimmt Probleme.“
Sergeant Venter verdrehte die Augen und stöhnte: „Ich komme mit!“
So marschierten wir zum Magistrat. Er entnervt vorneweg und ich hinterher. Und schon tratschten die Leute auf der Straße, dass der Bruno Hoppe wohl eingelocht werden solle.
Beim Magistrat Maritz angekommen, sagte der Sergeant barsch: „Gib Bruno einen Lehrschein!“
„Was, der hat gar keinen Führerschein?“
Der Sergeant antwortete, dass dies nicht sein Problem sein sollte und so stellte mir Magistrat Maritz widerwillig einen Lehrschein aus. Zum Glück war ich dort nicht alleine anmarschiert, das wäre mit Sicherheit nicht gut gegangen.
Der Sergeant fragte mich: „Wie bist du hergekommen?“
„Natürlich mit dem Auto, das steht bei der Post.“
„Nun ja, dann kannst du mich jetzt prüfungshalber auch gleich zum Eggers-Hotel fahren!“
Ich tat wie geheißen und Sergeant Venter setzte sich an die Bar im Hotel und unterschrieb auf dem Lehrschein, dass ich die Fahrprüfung bestanden hatte. Er sagte: „So, nun kannst du deinen Führerschein holen und danach holst du mich hier wieder ab.“
Eine halbe Stunde später war ich wieder beim Magistrat und gab den offiziell von der Polizei unterschriebenen Lehrschein wieder ab, um nun den Führerschein zu erhalten. Der Blick von Magistrat Maritz sprach Bände, als er mir ein Pfund Gebühr abrechnete, den Führerschein ausstellte und dann „raus!“ brüllte.
Inzwischen war Billy im Hotel zum Sergeanten an die Bar gestoßen und die beiden tranken gemütlich ein Bier zusammen. Ich sagte: „Ich habe den Führerschein, Sergeant, und kann Sie nun zurück zur Polizeistation fahren.“
„Du bezahlst die Rechnung hier zur Strafe“, sagte er und stand auf. Als ich vor der Polizeistation hielt und der Sergeant ausgestiegen war, rief ich noch: „Danke und bis Morgen dann!“
„Du Lump, ich will dich hier nicht wiedersehen“, war die Antwort.
Diesen Gefallen konnte ich dem Sergeanten jedoch leider nicht tun. Am nächsten Morgen lieh ich vorsorglich das Motorrad von Billy und erschien wieder auf dem Polizeirevier.
„Guten Morgen!“, rief ich fröhlich. Grimmig fragte er: „Was willst du schon wieder hier?“
Als ich sagte „Sergeant, ich brauche doch nun auch noch einen Motorradführerschein“, dachte ich, dass er gleich platzen würde.
Die ganze Prozedur vom Vortag wiederholte sich also. Zum Glück fanden wir anstelle des Herrn Magistrat Maritz nur eine freundliche Dame vor, die keinerlei Probleme bereitete. Sergeant Venter war inzwischen darauf gekommen, dass mein Motorrad ja nicht angemeldet, also nicht lizensiert sein konnte, da ich bisher noch keinen Führerschein besessen hatte. Schlau und voller Vorfreude fragte er mich, wo ich denn heute parke und ich solle doch einmal vorfahren. Als ich dann mit Billys angemeldeten Motorrad vorfuhr, ärgerte er sich gewaltig: „Seit wann stecken die Engländer mit den Deutschen unter einer Decke?“
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