Klaus Scherzinger - Giordano Bruno - Märtyrer der Gedankenfreiheit

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Die Freimaurer des 19. Jahrhundert feierten ihn als einen der ihren, Schelling und Brecht verewigten ihn in ihrem schriftstellerischen Werk, atheistische Naturforscher schätzen seine pantheistischen Spekulationen und Bloch nannte ihn liebevoll einen «philosophischen Minnesänger der Unendlichkeit». Zu Lebzeiten aber brachte er die Elite der europäischen Wissenschaftsgemeinde gegen sich auf und musste von Universität zu Universität fliehen. Die katholische Inquisition verurteilte ihn als Ketzer zum Tod auf dem Scheiterhaufen und verbot seine Schriften.
Giordano Bruno (1548-1600) ist einer der umstrittensten, aber auch streitbarsten Gelehrten der Philosophiegeschichte, ein abtrünniger Dominikaner, der ins Feuer musste, weil er mit großer Sprachgewalt und mit einem bedingungslosen Vertrauen in die Wahrheitskraft der eigenen Vernunft, aber auch mit einer gehörigen Portion Frechheit in Anspruch und Auftreten für Philosophie und gegen Theologie eintrat, weil er Gott, den Kosmos und den Menschen radikal anders dachte als es die Kirche – sowohl die katholische als auch die gerade im Aufbruch befindliche evangelisch-lutherische – vorschreiben wollte.
Klaus Scherzinger stellt Brunos philosophisches Wanderleben vor, führt verständlich in seine beiden Hauptwerke («Über die Ursache, das Prinzip und das Eine» und «Von den heroischen Leidenschaften») und damit in die zentralen Thesen brunianischer Naturphilosophie und Anthropologie ein und macht seine Leser bekannt mit einem Denker, der mit seinem Kampf für Gedanken- und Wissenschaftsfreiheit auf verlorenem Posten stand, ein Mann, der der kommenden Philosophie den Weg bereitete, dabei zwischen alle Fronten eines nervösen, von naturwissenschaftlichen Anfängen und innerkirchlichen Kämpfen bestimmten Zeitalters geriet und schließlich ermordet wurde von Glaubenswächtern, die nichts mehr fürchteten als freie Geister.

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Giordano Bruno –

Märtyrer der Gedankenfreiheit

Eine Einführung in sein Denken

von Klaus Scherzinger

Impressum

Diese Veröffentlichung erfolgte mit freundlicher Unterstüzung durch den Kulturverein „roccafé e. V. Kultur in Denzlingen“

Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche - фото 1

Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN: 978-3-86408-241-2

© Copyright: Vergangenheitsverlag, Berlin / 2017

© Copyright Coverfoto: Alexander Mors

Alle Rechte, auch die des Nachdrucks von Auszügen, der fotomechanischen und digitalen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten.

Der Naturphilosoph kümmert sich nicht um Wunder.

Motto Alberts des Großen

Eines ist notwendig.

Meister Eckhart, Predigt 86, DW III

Ja! Ich weiß woher ich stamme!

Ungesättigt gleich der Flamme

Glühe und verzehr ich mich. …

Friedrich Nietzsche, Ecce Homo

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1. Wiedergeburt der Philosophie im Denken Giordano Brunos

1.1. Die Schlacht um die Gedankenfreiheit auf dem „Kampfplatz“ der Metaphysik

1.2. Theologie versus Philosophie

1.3. Beginnende Naturwissenschaft

1.4. Humanismus und die Anfänge subjektivistischer Philosophie

1.5. Akademisches Wanderleben

1.6. Die beiden Hauptschriften

1.7. Oxford: Bruno als Kopernikus-Überbieter und Nestbeschmutzer

1.8. Aristotelisch geprägte Wissenschaftlichkeit: Bruno betreibt Metaphysik als Ontologie

2. Ursache und Geheimnis der Welt:*Brunos Schrift „Über die Ursache, das Prinzip und das Eine“

2.1. Substanzen und substanzielle Formen

2.2. Die aristotelische Ursachenlehre und orthodoxer bzw. heterodoxer Aristotelismus

2.3. Von der Unmöglichkeit das Weltganze zu überblicken

2.4. Inneres Prinzip und innere bzw. *äußere Ursache

2.5. Die Weltseele: Das Ganze lebt

2.6. Monaden: Die Einzelteile leben

2.7. Monaden: Lebendige Spiegel des Göttlichen

2.8. Die ewige Materie

2.9. Die Materie als Schoss und Quelle*der Formen

2.10. Die gütigste Urmutter als erstes und göttliches Prinzip

2.11. Das Ganze ist der Substanz nach Eines

2.12. Von Unterschieden ohne Unterschied und von der Coincidentia oppositorum

3. Vom freudvollen Leid der Wahrheitssuche: Brunos Schrift „Von den heroischen Leidenschaften“

3.1. Was sind Gefühle und was verraten sie uns über uns selbst? Mit einem kleinen Exkurs zu modernen Emotionstheorien.

3.2. Das Grundgeschehen der Natur- und das Grundgefühl der Bewusstseinsprozesse

3.3. „Das Hohelied“ Brunos

3.4. Schattenparadiese und was uns hindert!

3.5. Brunos Nähe zu Nietzsche

3.6. So ist die Lieb! So ist die Lieb!

3.7. Bruno und Goethe, zwei Augentiere

3.8. Diana und Aktaion

3.9. Laster haben, wie Gott Laster hat: Brunos Tugendlehre

4. Durch Deutschland und nach Italien in den Tod

5. Zur Rezeptionsgeschichte

Literaturverzeichnis

Anmerkungen

Vorwort

8 spiralförmig um eine Säule sich windende, mit Buntglas zum Betrachter hin verschlossene und von innen beleuchtete Holzschaukästchen sind das augenfälligste Element einer über Jahre hinweg entstanden Installation im restaurierten und zum Gastraum der Kulturkneipe roccafé umgestalteten Maschinenraum einer alten Fabrik im Ortskern der nur wenige Kilometer nördlich von Freiburg im Breisgau gelegen Gemeinde Denzlingen.

Die Gläser der Holzschaukästchen zeigen lodernde Flammenzungen. Wer die Säule umrundet und mit Blicken die Schaukästchen vom Sockel Richtung Kapitell abwandert, kann erkennen, dass ihre Flammenzungen jeweils einen Buchstaben formen. Als wären es auch Münder schreien sie gemeinsam den Namen G i o r d a n o. Gemeint ist Giordano Bruno, Philosoph der Renaissance, unstrittig einer der Könige des freien Denkens und das nicht nur, weil er für seine Lehren den Flammentod sterben musste. Die Giordano Bruno-Säule will an ihn und mit ihm an die vielen Freidenker und Freidenkerinnen vor und nach ihm erinnern.

Der nachfolgenden Text ist der Versuch, den vielen Nachfragen zur Giordano Bruno-Säule, zum Leben und Wirken ihres Namengebers und auch zur Bedeutung des Bruno-Zitates 1

, das die Säule dem Betrachter achtfach präsentiert, mit einer verständlichen Einführung in sein Denken zu antworten und zu zeigen, wohin Bruno von den freien Schwingen seines Denkens getragen wurde: einerseits zu einem für die damalige Zeit revolutionären und noch heute von der Kirche bekämpften Gottes- bzw. Naturverständnis und andererseits zu einem Menschenbild, das sehr modern ist, nicht nur weil es zeigt, wie man sich das Eingebettet-Sein des Menschen in Brunos Gottes- bzw. Naturverständnis vorzustellen hat, sondern weil es auch nach dem Selbstverständnis fragt, das sich aus diesem Eingebettet-Sein heraus entwickelt, also danach fragt, wie es für den Menschen ist, wie es sich anfühlt, Teil des Ganzen von Gott und Natur zu sein. Bruno wird deutlich machen: Im Vollzug menschlicher Existenz transformiert sich die unbewusste Dynamik seines kosmo-ontologischen Gottes- und Naturverständnisses zur erlebten Dynamik konkret gelebten Lebens. Der Mensch hat keine Wahl, er muss die kosmo-ontologischen Verhältnisse, in die er ganz und gar hineingehört und deren bewusstseinsfähiger Spiegel er ist, in leidenschaftlich brennender Vergeblichkeit durchleben.

Brunos Philosophie von Gott und Natur übergipfelt vormalige Gottes- und Naturphilosophien, ist ihnen aber in Anwendung der überkommenen aristotelisch-scholastischen Methodik verpflichtet. Gleichzeitig aber schlägt sein Denken eine moderne Richtung ein und eröffnet den Denkraum, mit dem und in dem philosophische Anthropologie und Existenzphilosophie entstehen konnten. 2

Bruno gelingt es zu beschreiben, wie sich die Strukturen der einzigen und alles umfassenden Wirklichkeit im menschlichen Leben „verexistenzialisieren“, d.h. zu etwas werden, was uns nicht egal sein kann, weil es Leid und Freud unseres Lebens ausmacht.

Die vorliegende Einführung lässt vieles beiseite, was sich zu Brunos Denken noch sagen ließe, konzentriert sich auf die Darstellung zentraler Positionen seiner Naturphilosophie und Anthropologie und auf den Aufweis ihrer Modernität. Die erste Absicht setzt voraus, dass aufgezeigt wird, vor welchem wissenschafts- und methodengeschichtlichen Hintergrund Brunos eigene Philosophie entstehen und Kontur annehmen konnte, die zweite Absicht verlangt Ausblicke auf neuere philosophische, psychologische und naturwissenschaftliche Erkenntnisse. Biographische Episoden, Anmerkungen zum Inquisitionsprozess, der gegen Bruno geführt wurde, und ausführlichere Einlassungen zur Rezeptionsgeschichte werden den naturphilosophischen und anthropologischen Themenschwerpunkten an die Seite gestellt und komplettieren diese Einführung. Sie wurde verfasst, um die Kühnheit seiner Philosophie und die Faszination, die noch heute von seinem Denken ausgeht, auch für Nicht-Philosophen greifbar werden zu lassen.

1. Wiedergeburt der Philosophie im Denken Giordano Brunos

Was meinen wir, wenn wir vom Menschen in der Epoche sprechen, vom griechischen Menschen oder vom Menschen der Neuzeit? Wir anerkennen, dass es kulturellen Wandel gibt und dass dieser sich im Denken und Wirken der Menschen auf lebendige und individuelle Weise spiegelt. Giordano Bruno war ein Mensch der Renaissance. Als „lebendiger Spiegel“ dieser bewegten Zeit wurde er zerbrochen, am 17. Februar 1600 auf dem Platz der Blumen (Campo de` Fiori), in Rom. Ob er auch gebrochen war, als er nackt, wie es heißt, und auf der Grundlage einer Verurteilung als Ketzer durch das Heilige Offizium „an einen Pfahl gebunden und bei lebendigem Leib verbrannt wurde“ 3, lässt sich wohl nicht mehr in Erfahrung bringen.

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