Auf der elterlichen Siedlung waren für die beiden Owambo-Arbeiter inzwischen auch Unterkünfte aus Zementsteinen gebaut worden. Da Milchprodukte sehr begehrt in Swakopmund waren und oft Mangel herrschte, hatte Vater eines Tages eine brillante Idee. In den Juniferien rief er mich zu sich und sagte: „Bruno, jetzt sind Ferien, du bist nun schon vierzehn Jahre alt und damit groß genug. Am Montag bringe ich dich mit dem Owambo Lukas in die Nähe von Karibib, ich möchte dort auf der Farm Ababis drei Kühe bei dem Farmer Gladis kaufen. Du und Lukas bringt die Kühe mit den zwei Kälbern dann zu Fuß, entlang des Swakop, zurück zur Siedlung.“
Ich hatte keine Ahnung was „in der Nähe von Karibib“ hieß und auch nicht, wo der Lauf des Swakop Riviers verlief. Vater sagte: „Es ist recht einfach: Von der Farm bis zum Rivier ist noch gute Weide, danach finden die Kühe im Flussbett genug Grün. Den Weg solltet ihr in etwa fünf Tagen schaffen.“ Der Owambo Lukas und ich bekamen jeder einen alten, geflickten Rucksack. Dann wurde gepackt: ein gusseiserner Dreibeintopf, Streichhölzer, Maismehl, ganz wenig Zucker, denn zu viel davon machte, laut Vater, nur schlapp, Kaffee, Corned Meat aus südafrikanischen Armeebeständen und ein paar Pakete Trockenfleisch. Milch sollten wir unterwegs direkt von den Kühen melken. Billy lieh mir noch sein Tesching-Gewehr und gab mir viele Patronen mit, damit ich unterwegs Perlhühner schießen konnte. Er riet mir außerdem: „Wenn die zäh sind, koch sie einfach die ganze Nacht, im Revier gibt es ja genug Holz.“ Vater füllte noch zwei große alte Wassersäcke, made in Germany, noch aus Oranjemund stammend, und ab ging es mit dem Nash-Bakkie Richtung Wüste.
Mittags kamen wir auf Ababis an. Vater schloss mit dem Farmer Gladis den Handel mit den Kühen ab und verabschiedete sich mit den Worten: „Ihr beide habt alles, was man braucht. Schöne Ferien, Bruno!“ Dann fuhr er in einer großen Staubwolke davon.
Am nächsten Morgen sollte es losgehen. Während ich bei Gladis im Farmhaus übernachtete, hatte Lukas auf der Werft bei den Farmangestellten geschlafen. Er hatte die Gelegenheit genutzt und sich bei den Leuten schlaugemacht, wo genau wir trecken mussten. Die Damara-Arbeiter kannten die Gegend gut und so war Lukas schon etwas besser über die Route im Bilde. Frau Gladis gab mir auch noch ein Päckchen mit selbstgebackenem Biskuit und ein Farmerbrot mit. Voll bepackt machten wir uns dann auf den Weg, die Kühe mit zwei Kälbern vor uns hertreibend.
Lukas sagte, dass unser Treck einen Monat dauern würde, dies zumindest hatten die Arbeiter behauptet. Das waren keine guten Nachrichten und obwohl ich sehr gespannt war auf die Dinge, die auf uns zukommen würden, machte ich mir auch entsprechend Sorgen.
Am ersten Tag ging alles gut. Wir waren stundenlang durch die wogenden Grasflächen der endlosen Namib-Wüste gelaufen. Gegen Abend trafen wir dann auf ein einsam gelegenes Gehöft. Es war die Farm Ubib von einem Herrn Kruger.
„Wo kommt ihr denn her, seid ihr wahnsinnig, zu Fuß nach Swakopmund?“, war seine erste Frage.
„Ja, Herr Kruger, es muss halt sein, sonst bekommen wir unsere Kühe nicht zu unserer Siedlung“, antwortete ich.
Wir wurden mit gutem Essen versorgt und im Haus untergebracht. Am nächsten Morgen gab Herr Kruger uns noch mehr Vorräte mit. Außerdem zeichnete er uns eine Skizze von seiner Landkarte ab. Jetzt planten wir neu, der Weg, den Lukas auf der Werft besprochen hatte, wurde korrigiert. Herr Kruger sprach gut Herero, was auch Lukas beherrschte und so konnte er ihm alles noch mal deutlich erklären. Er verfasste auch einen Brief in Herero, da weiter draußen auf dem einen Viehposten Herero-Arbeiter stationiert waren. Sie sollten uns von dort aus weiter die Richtung weisen.
Dank dieser Hilfe gelangten wir schließlich am nächsten Abend bei Ukuib endlich an den Swakop. Hier war die Landschaft viel zerklüfteter. Der Fluss hatte sich über Jahrtausende tief in die Schichten der Wüste gefressen und dabei die verschiedenen Gesteinslagen freigelegt. In der Abendsonne leuchteten die Felswände in allen Braun-, Grau- und auch Rosatönen. Als wir schließlich unten im Flussbett angekommen waren, bereiteten wir uns auf dem Feuer schnell unsere Mahlzeit zu, rollten unsere dünnen Matten im weichen Sand aus und legten uns dann erschöpft unter dem südlichen Sternenhimmel schlafen. Das Feuer brannte die ganze Nacht und die Kühe, die wir angebunden hatten, blieben ganz in der Nähe, damit herumstreunendes Raubwild sie nicht attackieren konnte.
Am Morgen waren wir ganz zeitig wieder auf den Beinen und treckten am und im Swakop, je nachdem, wie das Gelände es zuließ, vorbei an der Farm Dieptal und dann erreichten wir Salem, wo ein Herr Bertram siedelte. Er kannte mich noch von Oranjemund her. Herr Bertram besaß ein BMW-Motorrad und wollte damit am nächsten Tag nach Swakopmund fahren. Er versprach, bei meinen Eltern vorbeizufahren und ihnen zu berichten, dass alles gut ging und wir wohlauf waren. Am nächsten Tag erreichten wir Gaub, wo einige Mischlinge wohnten. Sie nahmen uns sehr gastfreundlich auf und auch sie reichten uns allerhand zu essen.
Der fünfte Treck-Tag brach an und mittags waren wir bei Riet, wo die Familie Brockerhof siedelte. Herr Brockerhof, der selbst nicht da war – seine Familie bewirtete uns jedoch köstlich – war ein alter Schutztruppler, den ich auch kannte. Er lief nämlich einmal im Monat zu Fuß nach Swakopmund, um Post zu holen und Besorgungen zu machen. Dabei kam er regelmäßig an unserer Siedlung vorbei und trank bei den Eltern immer einen Kaffee. Nun wusste ich, dass es nicht mehr allzu weit war und dass die Damara mit ihrem Monat deutlich übertrieben hatten.
Nach dem Mittagessen bei Brockerhofs zogen wir weiter. An dem Abend, wir lagerten gerade zwischen Arcadia-Siedlung und Husab, bekam die dritte Kuh plötzlich Wehen. Mitten in der Nacht kam dann ein gesundes Kälbchen zur Welt. Husab war ein Trockenposten von „Oubaas“ Schieri-Lartz, Pepis Vater. Dort mussten wir dann zwei Tage Rast einlegen, bis das neugeborene Kälbchen kräftig genug war, um den Treck zu begleiten. Trotzdem mussten wir es abwechselnd immer wieder ein Stück weit tragen. Inzwischen waren wir bereits sieben Tage unterwegs und als wir bei der Siedlung von Familie Poser vorbeitreckten, bat ich Frau Poser, im Hansa-Hotel anzurufen und meinem Vater, wenn er dort das Gemüse ablieferte, ausrichten zu lassen, dass wir bald kommen würden. Am Abend des achten Tages erreichen wir dann endlich die elterliche Siedlung – wohlauf mit drei Kühen und drei Kälbern.
Vater war erleichtert und freute sich. Dass er stolz auf mich war, zeigte er, indem er mich immer wieder damit aufzog, dass ich drei Tage länger gebraucht hatte, als er berechnet hatte. Zwei Jahre später kaufte er vier neue Kühe bei Herrn Kruger auf Ubib und schickte mich und Lukas wieder los. Diesmal brauchten wir nur ganze drei Tage, um die Strecke zu schaffen.
Nach dem ersten Treck hatten wir dank der neuen Kühe natürlich viel Milch, die wir an die Milchwirtschaft Nonidas zu „Oubaas“ Schieri-Lartz lieferten. Ich stand also morgens eine Stunde früher auf, melkte drei Kühe und gab die Milchkannen, die ich mir an die Lenkstange hängte, dort ab. Mittags, auf dem Rückweg, nahm ich dann die leeren Kannen wieder mit. So gab es also noch mehr für mich zu tun als ohnehin schon. Aber die Eltern brauchten jeden Penny. Der Gemüseanbau wurde mehr und mehr, die Nachfrage war groß. Mutter konnte das alleine nicht mehr schaffen und so kündigte Vater schließlich bei dem Elektrizitäts-Werk, um sich ganz auf der Siedlung einzubringen. Er fuhr jeden Dienstag und auch freitags mit dem umgebauten Nash-Bakkie nach Swakopmund und lieferte die Bestellungen ab.
Jeder Tag war ausgefüllt. Neben den Arbeiten auf der Siedlung mussten täglich die Schulaufgaben erledigt werden. Dann kam noch der Konfirmandenunterricht bei Pastor Schmidt dazu. Zusätzlich einmal in der Woche nachmittags zwei Stunden und dann musste ich auch noch am Sonntag zur Kirche gehen, an dem ich bisher meinen Ruhe- und Fischfangtag gehabt hatte. Meist hatte ich das Glück, dass eine benachbarte Siedlerfrau am Sonntag Milch ablieferte und so konnte ich oft mit ihr mit dem Auto mitfahren. Sie hatte so auch einen Grund, private Besuche zu machen, bis ich aus der Kirche kam. Wenn das Wetter gut war, wartete Billy schon auf mich, damit wir wenigstens am Nachmittag noch zum Angeln fahren konnten.
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