4. Übereinstimmung mit sonstigen Rechtsgrundsätzen
531
Nach § 37 Abs. 1 muss ein VA hinreichend bestimmt sein. Der hinreichend bestimmte Inhalt eines VA ist eine materielle Rechtmäßigkeitsvoraussetzung[123]. Das Bestimmtheitsgebot ist bereits aus der Vorlesung zum Staatsrecht bekannt[124]. Hier wie dort ausreichend, aber auch erforderlich ist eine hinreichende Bestimmtheit. Der Grundsatz der Bestimmtheit gilt auch für Nebenbestimmungen[125].
532
Inhaltlich hinreichend bestimmt ist ein VA dann, wenn in ihm der Wille der Behörde vollständig zum Ausdruck kommt und unzweideutig für die Beteiligten des Verfahrens erkennbar ist. Maßgebend ist der objektive Erklärungsgehalt, nicht hingegen die subjektive Bewertung durch die erlassende Behörde[126]. Das Maß an Konkretisierung ist abhängig von der Art des VA, den Umständen seines Erlasses und seinem Zweck. In sich widersprüchliche und unverständliche Angaben oder Erklärungen sind unbestimmt. Dies gilt auch, wenn auf Grund eines technischen Fehlers, zB bei Ampeln, sich widersprechende oder unverständliche Regelungen ergeben. Hinreichend ist es jedoch, wenn sich die Bestimmtheit des VA nur aus seiner Begründung ergibt[127]. Bezugnahmen auf dem Betroffenen bekannte Unterlagen, Pläne usw sind erlaubt. Unzulässig sind hingegen Hinweise auf Unterlagen, die sich nur bei den Akten befinden[128]. Hinweise auf technische Regelwerke, zB TA Lärm oder TA-Luft, sind erlaubt, soweit diese Regelwerke allgemein zugänglich oder dem Betroffenen bekannt gemacht sind.
533
Bestimmt anzugeben ist der Adressatdes VA. Die Personenangabe kann durch Pseudonym oder Künstlernamen geschehen. Umstritten ist, ob bei Eheleuten die Bestimmtheit durch eine Angabe wie „Eheleute P.“ gegeben ist; die Rechtsprechung verlangt teilweise[129] die Angabe der Vornamen. Nicht hinreichend ist jedenfalls für Partner einer nicht ehelichen Lebensgemeinschaft die Angabe „… und Partner“.
534
Zur Bestimmtheit der Regelung zählt ferner, dass der geregelte Sachverhalt und die Rechtsfolgeerkennbar sein müssen. Deshalb muss bspw. bei einem grundstücksbezogenen VA das betroffene Grundstück bezeichnet werden[130]. Hinreichend bestimmt sind Anordnungen, welche Geräuscheinwirkungen über eine bestimmte Lautstärke hinaus untersagen[131], das Gebot, einen bestimmten Immissionsrichtwert einzuhalten[132], ebenso das Verbot, bei einer Demonstration Schutzhelme oder Masken zu tragen[133]. Nicht bestimmt ist eine Anordnung, die nicht erkennen lässt, ob ein Gebäude als Einzelanlage oder als Teil eines Ensembles unter Denkmalschutz gestellt wird[134]. Unbestimmt sind auch solche Anordnungen, die wahlweise oder einander widersprechend getroffen werden[135]. Das Mittel, welches zur Erreichung des Ziels anzuwenden ist, muss in der Verfügung nicht angegeben werden, sofern gesetzlich nichts anderes bestimmt ist oder der VA nicht auf Vollstreckung angelegt ist. Ein auf Vollstreckung angelegter VA setzt die Bestimmtheit des Mittels jedoch voraus[136].
b) Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
535
Darüber hinaus muss bei belastenden VAender Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet werden. Er erfordert, das mit der Maßnahme ein legitimer Zweck verfolgt wird und dass die Maßnahme zu Erreichung dieses Zwecks geeignet, erforderlichund angemessenist (s.o. Rn 185 f). Besondere Relevanz entfaltet der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei Ermessensentscheidungen. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bildet hier eine (zumeist ungeschriebene) Ermessensgrenze, deren Missachtung eine Ermessensüberschreitung herbeiführt (s.o. Rn 216).
536
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist stets zu beachten[137]. Er erstreckt sich also auch auf gebundene Entscheidungen, bei denen der zuständigen Behörde kein Ermessen zukommt. Allerdings hat der Gesetzgeber in der Verabschiedung einer Norm implizit zum Ausdruck gebracht, dass er die Norm auch als verfassungskonform und damit auch als verhältnismäßig erachtet[138]. Ordnet der Gesetzgeber eine unverhältnismäßige Rechtsfolge verbindlich an, so ist bei genauerer Betrachtung bereits das Gesetz unverhältnismäßig und damit verfassungswidrig, nicht jedoch der VA als solcher (zur Prüfdichte der Verfassungskonformität der Ermächtigungsgrundlage s.o. Rn 468)[139].
c) Keine tatsächliche oder rechtliche Unmöglichkeit
537
Schließlich darf vom Adressaten eines VA nicht etwas verlangt werden, das tatsächlich oder rechtlich unmöglich ist. Tatsächlichunmöglich wäre es etwa, die Herstellung eines technisch nicht realisierbaren Kanalanschlusses zu verlangen. Rechtlichunmöglich wäre es etwa, von einem Hauseigentümer die Räumung einer vermieteten und nicht kündbaren Wohnung zu verlangen[140]. Wird etwas tatsächlich oder rechtlich Unmögliches verlangt, so ist der VA regelmäßig nicht nur rechtswidrig, sondern darüber hinaus sogar nichtig und damit unwirksam (vgl. § 44 Abs. 2 Nr. 4 und 5; zu den Fehlerfolgen ausf. im nachfolgenden § 14).
538
Lösung zu Fall 16 ( Rn 524):
Die Verfügung ist inhaltlich bestimmt und deshalb wirksam. Die Bezugnahme auf physikalische Maßeinheiten ist notwendig, weil auf andere Weise zu erreichende Ziele nicht darstellbar sind. Mittel zur Zielerreichung müssen nicht angegeben werden, sondern die Mittelwahl darf dem Adressaten überlassen bleiben, sofern das Mittel nicht auf Vollstreckung angelegt ist. Hier soll das Ziel nicht durch Vollstreckung erreicht werden (die Behörde müsste letztlich selbst Schallschutzmaßnahmen einbauen; das will sie nicht). Das BImSchG sieht für den Fall der Nichterfüllung der nachträglichen Anordnung das Mittel der Untersagung des Betriebs vor, § 20 Abs. 1 BImSchG.
539
Lösung zu Fall 17 ( Rn 525):
Beamter B handelt ermessensfehlerhaft. Sachlich unangemessene Erwägungen stellen einen Ermessensmissbrauch dar. B handelt rechtswidrig.
Ausbildungsliteratur: Collin/Fügemann, Zuständigkeit, JuS 2005, 694; Ehlers/Vorbeck, Der Anspruch auf Erteilung von Verwaltungsinformationen, JURA 2013, 1124 und JURA 2014, 34; Eifert/Wienfort, Zugang zu Verwaltungsinformationen, JURA 2019, 512; Guckelberger, Anhörungsfehler bei Verwaltungsakten, JuS 2011, 577; Lindner/Jahr, Der unzureichend begründete Verwaltungsakt, JuS 2013, 673; Schoch, Das rechtliche Gehör Beteiligter im Verwaltungsverfahren, JURA 2006, 833; ders., Die behördliche Befugnis zum Handeln durch Verwaltungsakt, JURA 2010, 670; ders., Zugang zu amtlichen Informationen nach dem Informationsfreiheitsgesetz des Bundes, JURA 2012, 203.
IV. Aufbauschema: Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts
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Aufbauschema zur Rechtmäßigkeit eines VA
I. |
Ermächtigungsgrundlage 1.Nach Art. 20 Abs. 3 GG muss der belastende VA auf ein Gesetz rückführbar sein (Ermächtigungsgrundlage). 2.Diese Ermächtigungsgrundlage muss auch die Befugnis zum Erlass des VA enthalten. 3.Das Gesetz, welches den VA stützt, muss selbst verfassungsmäßig sein. Bei Anhaltspunkten im Sachverhalt ggf Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Ermächtigungsgrundlage. |
II. |
Formelle Rechtmäßigkeit des VA 1.Die Zuständigkeitder handelnden Behörde in sachlicher, instanzieller und örtlicher Hinsicht muss vorliegen. 2.Das Verfahrenmuss eingehalten sein. Grundsätzlich gelten die allgemeinen Verfahrensanforderungen, §§ 9 ff. 3.Die Anforderungen an die Formdes VA müssen erfüllt sein. Besondere Formvorschriften müssen sich aus einem Spezialgesetz ergeben. Ansonsten gilt § 37. 4.Die Anforderungen an das Begründungsgebotmüssen eingehalten worden sein. |
III. |
Materielle Rechtmäßigkeit des VA 1.Der Tatbestandder Ermächtigungsgrundlage muss erfüllt sein. 2.Der VA wurde an den richtigen Adressatengerichtet (nur bei belastenden VAen, wenn mehrere Adressaten in Betracht kommen) 3.Die Rechtsfolgemuss die getroffene Regelung „abdecken“. a) Bei gebundenen Entscheidungen: Die Maßnahme muss ausgesprochen werden. b) Bei Ermessenentscheidungen: Prüfung auf Ermessensfehler. 4.Vereinbarkeit mit sonstigen Rechtsgrundsätzen |
§ 14 Der fehlerhafte Verwaltungsakt
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