Der amerikanische Psychologe William James verglich dieses Phänomen, das wir alle täglich erleben, mit einem Strom, der unablässig fließt: »Ein ›Fluss‹ oder ein ›Strom‹, das sind die Metaphern, durch welche [das Bewusstsein] am natürlichsten versinnbildlicht wird. Wir wollen es also, wenn wir von nun an davon sprechen, den Strom des Denkens, des Bewusstseins oder des subjektiven Lebens nennen.«
»Das Bewusstsein erscheint sich … nicht als in Stücke zerhackt … Es besteht nicht aus verbundenen Gliedern; es fließt. «
William James
Mit diesem Bild kann nahezu jeder von uns etwas anfangen. Den Bewusstseinsstrom wirklich zu definieren, ist jedoch laut James gar nicht so einfach: »Wenn ich sage, jeder ›Zustand‹ oder Bewusstseinsinhalt ist Bestandteil eines persönlichen Bewusstseins, so ist ›persönliches Bewusstsein‹ einer der infrage stehenden Termini. Solange uns niemand auffordert, ihn zu definieren, wissen wir, was damit gemeint ist, aber eine genaue Bestimmung desselben zu geben, ist die schwierigste philosophische Aufgabe.«
Diese »schwierigste« Aufgabe hat eine lange Geschichte. Schon die alten Griechen diskutierten die Frage, ob eine vom Körper getrennte geistige »Substanz« existiert, ohne den Begriff »Bewusstsein« zu verwenden. Im 4. Jahrhundert v. Chr. traf Platon eine Unterscheidung zwischen Seele und Körper. Aristoteles hingegen betonte, dass die Seele nicht unabhängig vom Körper existieren könne.
Frühe Definitionen
René Descartes gehörte Mitte des 17. Jahrhunderts zu den ersten Philosophen, die versuchten, das Bewusstsein zu beschreiben. Er bezeichnete es als res cogitans und erachtete es als immateriell, im Gegensatz dazu stand die Materie, res extensa . Die erste moderne Definition des Bewusstseins als Abfolge individueller Wahrnehmungen verdanken wir dem englischen Philosophen John Locke (1632–1704). Mit ihm und auch Immanuel Kant setzte sich James auseinander. Kant hatte sich mit der Frage beschäftigt, wie Erfahrungen miteinander verschmelzen: Wenn wir gleichzeitig ein Geräusch hören und Schmerz empfinden, erleben wir dies normalerweise als ein einziges Ereignis. Kant nannte dieses Phänomen die »Einheit des Bewusstseins«.
James war der Ansicht, dass das Bewusstsein kein »Ding«, sondern ein Prozess sei. Ihm zufolge entsprach es der Gehirnaktivität, die zur Steuerung des Nervensystems aufgebracht werden müsse, da dieses zu komplex geworden sei, um sich selbst zu regulieren. Das Bewusstsein ermöglicht uns, über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nachzudenken, Pläne zu schmieden, uns an unsere Umgebung anzupassen und damit unserer Hauptaufgabe nachzukommen: am Leben zu bleiben.
»Die allgemeinste Bewusstseinstatsache ist nicht die, dass ›Gefühle und Gedanken existieren‹, sondern die, dass ›ich denke‹ und dass ›ich fühle‹. «
William James
Die Vorstellung eines einheitlichen Bewusstseins war James allerdings fremd. Er verglich es mit einer Gruppe von zwölf Menschen: »Man nehme einen Satz von zwölf Wörtern sowie zwölf Menschen und sage jedem von ihnen ein Wort. Dann stelle man die Menschen in einer Reihe auf […] und lasse jeden an sein Wort denken, so kräftig er will: Nirgends wird dann das Bewusstsein des ganzen Satzes vorhanden sein.« Wenn das Bewusstsein ein Strom von Gedanken ist, wie werden diese Gedanken dann kombiniert? »Die Vorstellung von a plus die Vorstellung von b ist nicht identisch mit der Vorstellung von ›a plus b‹«, schrieb James. Zwei Gedanken lassen sich nicht zu einem Gedanken zusammenfassen, sie bilden vielmehr einen vollständig neuen Gedanken. Wenn Gedanke a z. B. lautet: »Es ist neun Uhr« und Gedanke b: »Der Zug fährt um 9.02 Uhr ab«, folgt daraus wahrscheinlich Gedanke c: »Ich verpasse den Zug.«
Sinngebung
Um erklären zu können, wie sich Gedanken innerhalb des Bewusstseinsstroms zu Sinneinheiten verbinden, nahm James an, dass Dinge, die zusammen bekannt seien, auch als einzelne Impulse dieses Stroms bekannt seien. Manche Gedanken oder Sinneseindrücke seien zwangsläufig miteinander verbunden, weil alle Gedanken, die im selben Moment in unser Bewusstsein dringen, sich innerhalb des Bewusstseinsstroms zu einer Unterströmung vereinten. Viele solcher Unterströmungen flössen durch unser Bewusstsein, manche schnell und manche langsam. James behauptete sogar, es gebe Ruhestellen, an denen der Bewusstseinsstrom innehalte, um Vorstellungen zu erzeugen, die wir festhalten und betrachten können. Diese Ruhestellen bezeichnete James als »substanzartige«, die Bewegungsstellen als »transitive« Bestandteile des Bewusstseinsstroms. Nach seiner Auffassung treiben beim Denken die transitiven Anteile unser Bewusstsein ununterbrochen von einer substanzartigen Stelle zur nächsten. So leite uns der stetige Strom unserer Gedanken von einer Schlussfolgerung zur nächsten. Ein Endergebnis gibt es nicht; das Bewusstsein ist kein Gegenstand, sondern ein sich stetig weiterentwickelnder Prozess.
Anhand eines Satzes aus zwölf Wörternzeigte James, dass sich aus separaten Gedanken kein einheitliches Bewusstsein herstellen lässt. Wenn jeder nur an »sein« Wort denkt, kann kein Bewusstsein des ganzen Satzes entstehen.
James betonte, dass Gedanken nicht per se, sondern immer nur in Verbindung mit demjenigen, der sie denkt, existieren. Jeder Mensch habe seine eigenen Gedanken, und »es kommt auch kein Gedanke einem Gedanken irgendeines anderen persönlichen Bewusstseins als seines eigenen gegenüber in die Lage, direkt erfasst zu werden […] Zusammenhängende Gedanken, sofern wir sie als zusammenhängend auffassen, sind das, was wir unter dem persönlichen Ich verstehen«. Da Gedanken sich nicht vom Ich trennen lassen, muss das Ich laut James den Ausgangspunkt der Psychologie bilden. Experimentelle Psychologen waren mit dieser Auffassung nicht einverstanden, da das Ich sich mithilfe von Versuchen nicht erfassen lässt. Doch James fand, die Vorstellung von einem Ich, das bestimmte Dinge tut und auf bestimmte Weise fühlt, reiche als Basis für psychologische Untersuchungen aus. Er nannte dieses Ich, das sich durch sein Verhalten manifestiert, »empirisches Selbst« und unterteilte es in mehrere Bestandteile – das materielle Selbst, das geistige Selbst und das soziale Selbst –, die jeweils durch Introspektion erforscht werden können.
Die Theorie der Emotion
Bei seinen frühen Untersuchungen über das Bewusstsein wurde James klar, dass Gefühle eine wichtige Rolle in unserem Alltag spielen. So entwickelte er gemeinsam mit seinem Kollegen Carl Lange eine Theorie über den Zusammenhang zwischen Gefühlen, Handlungen und Verhalten. Die sogenannte James-Lange-Theorie besagt, dass Emotionen aus der bewussten Wahrnehmung physiologischer Veränderungen hervorgehen. Um diese Auffassung zu illustrieren, führt James als Beispiel die Flucht vor einem Bären an. Es sei nicht etwa so, dass man den Bären sehe, Angst bekomme und davonlaufe, weil man Angst habe. Tatsächlich sehe man den Bären, laufe davon und bekomme vom Davonlaufen Angst. Dies widerspricht dem, was die meisten annehmen würden, diametral. Dennoch war James der Meinung, dass die bewusste Wahrnehmung der physiologischen Vorgänge beim Rennen – schnelles Atmen, beschleunigter Herzschlag und starkes Schwitzen – in ein Angstgefühl übersetzt wird. Deshalb lächelt man James zufolge auch nicht, weil man glücklich ist, sondern ist glücklich, weil man sich seines Lächelns bewusst ist.
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