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DIE ANFÄNGE DES PSYCHISCHEN LEBENS REICHEN EBENSO WEIT ZURÜCK WIE DIE ANFÄNGE DES LEBENS ÜBERHAUPT
WILHELM WUNDT (1832–1920)
IM KONTEXT
ANSATZ
Experimentelle Psychologie
FRÜHER
5. Jh. v. Chr.Gemäß den griechischen Philosophen Aristoteles und Platon haben Tiere, anders als Menschen, keine Vernunftseele.
1859Der britische Naturforscher Charles Darwin behauptet, dass Menschen und Tiere gemeinsame Vorfahren haben.
SPÄTER
1949Konrad Lorenz schildert in Er redete mit dem Vieh, den Vögeln und den Fischen , wie ähnlich sich Mensch und Tier sind, und verändert damit unsere Sicht auf Tiere.
2001Der amerikanische Zoologe Donald Griffin schreibt in Animal Minds , dass Tiere eine Vorstellung von der Zukunft, ein komplexes Erinnerungsvermögen und vielleicht sogar ein Bewusstsein haben.
Die Vorstellung, dass Tiere eine Seele haben und zu einer bestimmten Art von Denken fähig sind, reicht zurück bis zu den antiken Philosophen. Aristoteles unterschied drei Seelen: die Pflanzenseele, die Tierseele und die menschliche Seele, sie sind jeweils mit bestimmten Fähigkeiten ausgestattet. Während die Pflanzenseele ausschließlich auf Wachstum, Ernährung und Fortpflanzung ausgerichtet ist, kann die Tierseele darüber hinaus Schmerz, Freude und Begehren empfinden. Die menschliche Seele ist zudem zur Vernunft fähig. Gemäß Aristoteles sind also nur Menschen zur Selbsterkenntnis und zu komplexeren intellektuellen Leistungen in der Lage. Im 15. Jahrhundert vertrat der französische Philosoph René Descartes die Auffassung, dass Tiere schlicht reflexgesteuerte Maschinen seien. Hätte er recht, könnten wir aus der Beobachtung von Tieren nichts über unser eigenes Verhalten lernen.
Rund 200 Jahre später fand Charles Darwin heraus, dass Menschen und Tiere gemeinsame Vorfahren haben. Er folgerte daraus, dass selbst niedere Organismen eine Art Bewusstsein besitzen. Diese Ansicht vertrat auch der deutsche Arzt, Philosoph und Psychologe Wilhelm Wundt. In seinem Buch Grundzüge der physiologischen Psychologie schrieb er, dass alle lebenden Organismen seit Beginn des Evolutionsprozesses ein Bewusstsein besäßen: »Die Annahme, dass die Anfänge des psychischen Lebens ebenso weit zurückreichen wie die Anfänge des Lebens überhaupt, muss daher vom Standpunkte der Beobachtung aus als eine durchaus wahrscheinliche bezeichnet werden. Die Frage nach dem Ursprung der geistigen Entwicklung fällt auf diese Weise mit der Frage nach dem Ursprung des Lebens zusammen.« Selbst einfache Organismen wie Protozoen sind laut Wundt mit einer Art Geist ausgestattet. Eine überraschende These, die vor mehr als hundert Jahren sicher noch sehr erstaunte.
»Eine erste Scheidung der psychischen Funktionen vollzieht sich schon bei [bestimmten] Protozoen. «
Wilhelm Wundt
Wundt war ein Verfechter des Experiments und wird oft als »Vater der experimentellen Psychologie« bezeichnet. 1879 gründete er an der Leipziger Universität das weltweit erste Institut für experimentelle Psychologie. Sein Ziel bestand darin, die menschliche Psyche und das menschliche Verhalten systematisch zu erforschen. Zunächst wandte er sich der Untersuchung grundlegender Wahrnehmungsprozesse zu.
Verhaltensbeobachtung
Für Wundt konnte der Sinn und Zweck der experimentellen Psychologie nur darin bestehen, das Bewusstsein exakt zu beschreiben. Er definierte Bewusstsein als »innere Erfahrung« und wollte herausfinden, wie sich diese Erfahrung manifestierte. Was lag da näher, als das menschliche Verhalten zu studieren? Schließlich ließ es sich direkt beobachten und auch quantifizieren.
Sogar Einzellerhaben laut Wundt eine Art Bewusstsein. Ihm zufolge weist die Fähigkeit der Amöbe, sich Nahrung einzuverleiben, auf eine Abfolge geistiger Prozesse hin.
Wundt unterschied zwei Arten der Beobachtung: die von außen und die nach innen gerichtete (Introspektion). Erstere dient dazu, Ereignisse in der äußeren Welt zu erfassen und bestimmte Beziehungen zu beurteilen, etwa das Ursache-Wirkung-Prinzip. Wenn z. B. bei einem toten Frosch eine bestimmte Nervenfaser elektrisch stimuliert wird, beginnen die entsprechenden Muskeln zu zucken: Die Beine bewegen sich. Daraus lässt sich schließen, dass manche Bewegungen ohne Bewusstsein möglich sind. Heute nennen wir solche Bewegungsreaktionen Reflexe. So ziehen wir beispielsweise reflexhaft die Hand zurück, wenn sie mit etwas Heißem in Berührung kommt.
Bei der »Introspektion« oder »Selbstbeobachtung« geht es hingegen um die Wahrnehmung von Ereignissen, die sich in unserem Innern abspielen, z. B. um Gedanken und Gefühle. Die Introspektion liefert also Informationen darüber, wie die Psyche funktioniert. Wundt interessierte sich vor allem für die Beziehung zwischen Innen- und Außenwelt, die er für wechselseitig hielt. So begann er, die menschlichen Wahrnehmungen zu erforschen, etwa die Wahrnehmung von Licht, weil seiner Ansicht nach die Sinneswahrnehmungen das Bindeglied zwischen der äußeren (physischen) und inneren (seelischen) Welt darstellten.
Einmal bat Wundt seine Probanden, ihre Wahrnehmungen zu schildern, während ihnen ein Lichtsignal gezeigt wurde. Farbe, Helligkeit und Dauer dieses Signals waren immer gleich. Durch dieses Vorgehen wollte er sicherstellen, dass jeder Versuchsteilnehmer jeweils exakt den gleichen Stimulus erhielt, sodass die Antworten vergleichbar waren und das Experiment, falls erforderlich, zu einem späteren Zeitpunkt wiederholt werden konnte. Wundt setzte mit diesem Verfahren den Standard für alle folgenden psychologischen Versuche.
Wundts Labordiente psychologischen Instituten weltweit als Vorbild. Seine Experimente verankerten die Psychologie in der Naturwissenschaft.
Mit seinen Versuchen zur Wahrnehmung wollte Wundt das menschliche Bewusstsein als messbare Größe beschreiben. Die Vorgänge im Innern als eine unfassbare, subjektive, individuelle Erfahrung zu betrachten, das lehnte er ab.
Bei seinen Lichtexperimenten interessierte ihn insbesondere, wie viel Zeit zwischen einem Reiz und der Reaktion darauf vergeht. Um dies herauszufinden, setzte er unterschiedliche Instrumente ein, mit denen er die Reaktionen messen konnte. Dabei ging es ihm sowohl darum, Gemeinsamkeiten festzustellen, als auch darum, individuelle Unterschiede bei den Probanden auszumachen.
Reine Sinneswahrnehmungen bestehen nach Wundt aus drei Komponenten: der Qualität, der Intensität und dem Gefühlston. Ein Parfüm beispielsweise kann einen süßlichen (Qualität), diskreten (Intensität) und angenehmen Duft (Gefühlston) verströmen, während eine tote Ratte einen Übelkeit erregenden (Qualität), heftigen (Intensität) Gestank (Gefühlston) absondert.
»… die exakte Beschreibung der Tatsachen des Bewusstseins [ist] das einzige Ziel der experimentellen Psychologie. «
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