Petersson war hocherfreut gewesen, als der Konflikt mit dem Königreich ausbrach. Im Gegensatz zu vielen seiner Landsleute war ihm von Anfang an klar gewesen, dass es sich bei der Aktion gegen den größten Nachbarn und Rivalen der Solaren Republik keineswegs um eine Polizeiaktion aus humanitären Gründen handelte. Tatsächlich hatte er diesen Krieg schon lange erwartet, um nicht zu sagen, herbeigesehnt. Wollte die Solare Republik sich ausdehnen, war ihr das Königreich schlicht im Weg. Und Hindernisse mussten beseitigt werden.
Für einen Moment machte sich Unmut in Petersson breit. Wie schon zuvor hätte es ein leichter Sieg werden sollen, aber die Royalisten hatten gerade noch rechtzeitig abgedreht, um seinen Schiffen nicht direkt in die Arme zu laufen.
Auf seinem Hologramm beobachtete der solarische Offizier die feindlichen Einheiten, die darum kämpften, außer Schussweite ihrer Verfolger zu bleiben. Ein gehässiges Lächeln breitete sich auf Peterssons Gesicht aus.
Na schön, sollten die Royalisten ruhig davonlaufen. Eine Jagd bot weit mehr Zerstreuung als bloßes Tontaubenschießen.
5 
Tokyo war genauso, wie MacTavish es noch in Erinnerung hatte: bunt, laut und hoffnungslos überfüllt.
Auf dem einzigen Bett des Hotelzimmers saßen Natascha und Catherine. Beide waren dabei, ihr Äußeres wieder in ein respektables Erscheinungsbild zu verwandeln. Die letzten zehn Stunden hatten alle in Kisten zugebracht, die mit der Aufschrift Vorsicht! Zerbrechlich! versehen gewesen waren.
Eines musste man Kilgannon lassen. Er besaß zweifelsohne einen Sinn für Humor. Dieser mochte vielleicht ein wenig eigen sein, war jedoch definitiv vorhanden.
MacTavish rümpfte die Nase. Das Hotel, in dem sie eine Unterkunft hatten ergattern können, gehörte zweifelsohne zu den schäbigeren in diesem Teil der Welt. Der ehemalige Geheimagent verstand durchaus den dahinterstehenden Sinn. Jedes andere, das halbwegs gehobenen Ansprüchen entsprach, wurde strengstens von der Regierung überwacht. Dazu zählten nicht nur eine Menge Überwachungskameras, sondern auch eine erhebliche Anzahl von Spitzeln und Informanten, die gegen Bezahlung jeden an die Behörden verrieten, bei dem dies lohnenswert erschien.
MacTavishs Blick zuckte hoch. Auf einem der Häuser unweit ihrer Position stand ein großer Holo-Fernsehschirm, auf dem gerade mal wieder ihre Steckbriefe eingeblendet wurden. Er seufzte. Er verstand zwar kein Wort Japanisch, aber allein MacTavishs Kopfgeld würde jedem Spitzel die Möglichkeit bieten, sich für immer zur Ruhe zu setzen.
Natascha klopfte beständig auf ihren Komlink hinter dem rechten Ohr, das Gesicht zu einem Ausdruck frustrierter Konzentration verzogen. MacTavish schüttelte den Kopf.
»Gib’s auf. Wenn Sean bis jetzt nicht geantwortet hat, dann hat er vermutlich derzeit seinen Komlink abgeschaltet. Versuch es später noch mal.«
Natascha ließ den Arm sinken. »Das sieht ihm gar nicht ähnlich. Das bereitet mir schon etwas Sorgen.«
MacTavish zuckte mit den Achseln. »Unsere Komlinks sind nicht registriert. Kann gut sein, dass Pendergast und seine Speichellecker Maßnahmen getroffen haben, um illegale Kommunikation zu unterbinden. Eigentlich ist das sogar wahrscheinlich.«
Sean war in Wien geblieben, um die Situation dort im Auge zu behalten und unter Umständen auch ein paar Kontakte zu den örtlichen Studenten zu knüpfen. Er hoffte, den Studentenwiderstand wiederbeleben zu können. MacTavish hegte in dieser Hinsicht zwar keine großen Hoffnungen, dennoch wünschte er dem Jungen viel Glück.
Natascha nahm zu ihrem Kommilitonen die Rolle einer großen Schwester ein, wodurch sie nicht wirklich begeistert war, von ihrem Freund durch den halben Erdball getrennt zu sein. Ihre Haltung war sogar verständlich, wenn man bedachte, dass es sich bei den beiden um die letzten Überlebenden der ursprünglichen Widerstandsbewegung handelte. Ein solches Erlebnis schuf besondere Bindungen.
Die Tür flog auf. MacTavishs Hand zuckte hinter seine Hüfte und um ein Haar hätte er seine Waffe gezogen. Er hielt in der Bewegung inne, als der Geheimagent Kilgannon erkannte. Der ehemalige königliche Pionier atmete schwer vor Aufregung.
»Bist du wahnsinnig?«, maßregelte MacTavish sein Gegenüber. »Beinahe hätte ich dich abgeknallt.«
»Ich habe den Kontakt hergestellt«, erwiderte der Pionier, ohne auf die Bemerkung einzugehen.
MacTavish wechselte einen verwunderten Blick mit den beiden Frauen. Erneut stellte Kilgannon in beeindruckender Weise seine Kenntnisse über diesen Teil der Welt zur Schau.
Er zog eine Augenbraue nach oben. »Irgendwann musst du mir mal erzählen, warum du hier so viele Leute kennst.«
Kilgannon grinste. »Geschäfte«, entgegnete er rätselhaft.
»Geht das auch ein bisschen genauer?«
Das Grinsen wurde breiter. »Nein, aber dafür haben wir ohnehin keine Zeit. Wir müssen los.«
MacTavish nahm seine Jacke, die über einer Stuhllehne hing, und schlüpfte schwungvoll in die Ärmel. »Wann ist das Treffen?«
Kilgannon warf einen oberflächlichen Blick auf seine Armbanduhr. »Wenn du mich so fragst … jetzt.«
»Jetzt?«
Kilgannon nickte. »Also schwingt die Hufe, Leute. Wir müssen uns beeilen. Die Menschen, die wir treffen, sind nicht gerade für ihre Geduld bekannt.«
»Noch kurzfristiger ging es wohl nicht«, gab MacTavish verkniffen zurück, als er zur Tür eilte.
Natascha und Cat folgten dichtauf.
Kilgannon schloss die Tür ab und gemeinsam steuerten sie das Treppenhaus an. »Vergiss nicht, die Leute, mit denen ich ein Treffen vereinbart habe, stehen auf Pendergasts Abschussliste. Sie sind nicht weniger auf der Flucht als wir und dementsprechend vorsichtig.« Er räusperte sich übertrieben. »Um nicht zu sagen, verzweifelt.«
»Können die uns dann überhaupt helfen.«
Kilgannon stieß ein bellendes Lachen aus. »Oh ja, der Mann, den du triffst, der kann uns absolut helfen.«
Das Quartett begab sich schwer schnaufend die Treppe hinab Richtung Foyer. Kilgannon nahm immer drei Stufen auf einmal, was es den anderen schwer machte, an ihm dranzubleiben.
»Was heißt hier ich ? Du kommst gefälligst mit.«
Kilgannon blieb derart ruckartig stehen, dass MacTavish beinahe gegen seinen Rücken geprallt wäre. Der Pionier drehte sich mit ernster Miene um. »Das wäre nicht ratsam. Meine Gegenwart bei dem Gespräch würde die ganze Sache erheblich … komplizieren.«
MacTavish neigte misstrauisch den Kopf leicht zur Seite. »Ich befürchte, jetzt muss ich auf einer Erklärung bestehen. Ganz bestimmt, begebe ich mich nicht in die Höhle des Löwen, wenn die Löwen nicht gut auf dich zu sprechen sind.«
Kilgannon seufzte übertrieben. »Ich würde es so ausdrücken: Der Mann, der die Organisation leitet, war mal mein Arbeitgeber und … wir sind nicht im Guten auseinandergegangen.«
»Genauer bitte.«
»Ich habe für ihn einige wichtige … sagen wir mal … Artefakte beschafft, aber leider hat sich die Polizei auch dafür interessiert und sie beschlagnahmt.«
MacTavish riss die Augen auf und wich einen Schritt zurück. »Du warst Kunstschmuggler? Und das sagst du mir erst jetzt?«
»Kunstschmuggler ist ein hässliches Wort. Ich bevorzuge die Bezeichnung Beschaffer seltener Gegenstände.«
MacTavish warf beide Arme in die Höhe. »Du warst Kunstschmuggler. Ich fasse es nicht.«
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