»Die Aufklärer haben die Drohnen schon aufgenommen und steuern in diesem Moment ihre Träger an. Die Sturmboote benötigen noch zwischen zwölf und zweiundzwanzig Minuten.«
»Wie lange, bis der Feind auf Gefechtsentfernung heran ist?«
»Achtundzwanzig Minuten«, informierte ihn der Flagglieutenant.
Dexter knirschte mit den Zähnen.
»Das wird verdammt knapp«, mischte sich Sorenson ein.
»Danke, dass du mir auch noch das Offensichtliche mitteilst«, fuhr Dexter ihn barsch an. Das brachte ihm einen missbilligenden Blick seines alten Freundes ein, doch darauf konnte er momentan beim besten Willen keine Rücksicht nehmen.
»Alle Schiffe wenden und Kurs auf L1 setzen. Die Sturmboote sollen aufschließen und während des Fluges andocken.«
Dombrowski warf ihm einen vorsichtigen Blick zu, zögerte aber, sich zu dem Befehl zu äußern. Dexters Lippen verzogen sich zu einem sarkastischen Lächeln. »Ich weiß, dass es für die Sturmboote riskant ist. Wir können aber nicht so lange warten, bis wir sie wieder aufgenommen haben. Sonst geraten wir unter feindlichen Beschuss und das möchte ich tunlichst vermeiden. Ich habe keine Lust, in tausend Einzelteilen den Sprung durchzuführen.« Dieses Argument überzeugte. Der Flagglieutenant gab die Anweisung weiter. Auf der Kommandobrücke erteilte Subcommodore Krüger entsprechende Order. Der komplette Verband drehte bei, um Kurs auf den Lagrange-Punkt zu nehmen. Der Sprung bot nur kurzfristigen Schutz. Aber Dexter dachte bereits einen Schritt voraus. Sie konnten die Solarier vielleicht durch einen weiteren Sprung abschütteln, sobald sie L1 passiert hatten. Sie brauchten nicht viel Vorsprung, um Selmondayek zu erreichen. Nur gerade genug.
Auf dem Hologramm beobachtete Dexter angespannt, wie sich der Verband aufmachte. Die Schiffe beschleunigten nicht so schnell, wie es ihnen möglich gewesen wäre, um den Sturmbooten das Aufschließen zu gestatten. Hinter denen schoben sich die Solarier heran, lauernd wie ein Panther vor dem tödlichen Sprung. Unbewusst klopfte Dexter mit zwei Fingern einen Rhythmus auf die Kante des Holotanks. Auf der Flaggbrücke der Normandy wurde kaum gesprochen.
Die Sturmboote erreichten endlich den Verband und verschwanden, als sie in ihre Hangars einflogen. Ab diesem Moment beschleunigten die Skulls und Piraten auf Höchstgeschwindigkeit. Jetzt zählte es nur noch, den Lagrange-Punkt zu erreichen. Über mehr als zehn Stunden lieferten sich die Flüchtenden und ihre solarischen Verfolger ein hartnäckiges Rennen. Mehrmals sah es beinahe so aus, als würden die gegnerischen Schiffe auf Gefechtsentfernung aufschließen können, doch jedes Mal gelang es den Skulls und ihren Verbündeten unter verschwenderischem Einsatz ihrer Energiereserven, die Distanz zu halten.
Und genau das weckte letztendlich Dexters Misstrauen. Solarische Schiffe brachten höhere Beschleunigungen zustande als königliche. Der technologische Vorsprung auf diesem Gebiet war zwar nicht hoch, aber immerhin vorhanden. Nach allen Regeln von Physik und Wahrscheinlichkeit hätte es den Solariern zumindest ein-, vermutlich sogar mehrmals möglich sein sollen, sich auf Fernkampfdistanz anzunähern. Da es ihnen nicht gelang, konnte man nur vermuten, dass sie absichtlich darauf verzichteten. Und falls dem so war, ließ das nur einen einzigen Schluss zu.
»Kurs ändern auf L5«, bellte Dexter derart laut, dass ihm die Aufmerksamkeit aller Menschen auf der Flaggbrücke schlagartig sicher war. Die Offiziere sahen verständnislos auf.
»Aber L1 ist die logische Wahl«, wandte Sorenson ein. »Über L5 brauchen wir mindestens zwei Sprünge länger.«
Dexter nickte. »Das wissen die Solarier auch. Sie treiben uns in einen Hinterhalt. L1 ist eine Falle. Ich gehe stark davon aus, dass feindliche Schiffe auf Schleichfahrt zwischen L1 und L4 in Stellung gegangen sind. Die warten nur darauf, dass wir ihnen genau vor die Geschütze laufen. Sofort abdrehen. Wir nehmen den längeren Weg über L5 – und betet lieber, dass wir ihnen entkommen, bevor denen klar wird, dass ihre Falle nicht funktionieren wird.«
Der kombinierte Verband aus Skulls und Piraten benötigte etwas mehr als eine volle Stunde, um den Kurs entsprechend anzugleichen. In dieser Zeit verkürzten sie weiterhin ihre Distanz zum Lagrange-Punkt L1. Dann aber gaben sie Vollschub. Das war der Moment, in dem den Solariern klar wurde, dass ihre sicher geglaubte Beute dabei war, ihnen durch die Lappen zu gehen.
»Kontakt!«, meldete Dombrowski in einem Tonfall, der nur ein ganz klein wenig unter offener Heldenverehrung rangierte. »Auf halbem Weg zwischen L1 und L4.«
»Erwischt!«, grinste Dexter, als mehrere Dutzend Symbole wie aus dem Nichts erschienen. Der Computer benötigte lediglich Sekunden, um sie als feindlich einzustufen und in bedrohlichem Rot darzustellen.
Dexter empfand ein gewisses Triumphgefühl, keine Frage. Dennoch wusste er, dass die Solarier ihn immer noch abfangen konnten, wenn sie jetzt keine Fehler machten. Er betete darum, es auf der anderen Seite mit einem Idioten zu tun zu haben.
Die Verfolgung dauerte weitere fünf Stunden an. Fünf Stunden, in denen sich ihm feindliche Kräfte aus zwei Richtungen näherten. Seine Gebete wurden indessen nicht erhört. Wer auch immer auf der anderen Seite das Kommando innehatte, war nicht übel. Das musste ihm der Neid lassen. Der solarische Befehlshaber an den Lagrange-Punkten reagierte schneller und entschlossener, als Dexter es sich gewünscht hätte.
»Wie lange noch?«, wollte er gepresst wissen.
Dombrowski sah auf. »Verband eins hinter uns noch etwa zwanzig Minuten. Verband zwei ist in weniger als fünf Minuten auf Fernkampfdistanz. Seine Breitseite wird uns steuerbord treffen.«
Dexters Hände verkrampften sich um den Rand des Holotanks. Es fehlte ihm eine Stunde. Nur eine einzige verdammte Stunde wäre nötig gewesen, um sich abzusetzen. Aber so, wie die Dinge lagen, würde ihm das nicht vergönnt sein. Seine Gedanken überschlugen sich, während er verschiedene Taktiken durchging. Kaum eine erwies sich jedoch als praktikabel. Wollte er seine Leute durch L5 nach Selmondayek bringen, musste er mit einem Verband ein Gefecht von einer Stunde durchstehen und mit dem zweiten Verband von achtern einen Schusswechsel in fast ähnlicher Länge. Alles, was er über konventionelle Gefechtsdoktrin wusste, schrie ihm zu, dass dies nicht machbar war. Die Solarier würden ihn in Stücke schießen, bevor er den Lagrange-Punkt erreichte.
Dexter warf Sorenson einen fragenden Blick zu, dieser erwiderte ihn voller Anteilnahme. Seine Lippen öffneten sich zu einem freudlosen Lächeln. »Falls du einen Rat willst, ich habe auch keine Ahnung, wie wir hier rauskommen.«
Dexter kicherte – ein seltsam unpassender Laut unter den gegebenen Bedingungen. »Das hatte ich befürchtet.« Er richtete sich auf und mit lauter Stimme verkündete er: »Dann eben auf die harte Tour. Alle Mann auf Gefechtsstation!« Und die Alarmsirenen dröhnten durch die Korridore der Normandy und aller sie begleitenden Schiffe.

Der solarische Verband, der aus Richtung L1 aufschloss, wurde von einem aufstrebenden Karriereoffizier mit Namen Commodore Thorwald Petersson befehligt. Er stammte aus Norwegen auf der Erde und hatte zeit seines Lebens von dem Augenblick geträumt, in dem er seiner Nation Siege einbringen konnte. Nicht bei unbedeutenden Grenzscharmützeln oder Auseinandersetzungen, die kaum der Rede wert waren – er wollte glänzen, und zwar in einem richtigen Krieg gegen einen Gegner, der es wert war, besiegt zu werden.
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