Die durch Rauch reduzierte Sichtweite führt zu einer Verlangsamung flüchtender Personen sowie zu Schwierigkeiten bei der Orientierung, insbesondere in unvertrauten Gebäuden. Damit kann die Expositionszeit für Rauchgase entsprechend steigen, bekannt ist auch, dass sich Personen in unvertrauten verrauchten Gebäuden verirrt haben.
Die thermische Wirkung Rauchthermische Wirkungder Rauchgase, die auch außerhalb des Brandraumes durchaus Temperaturen zwischen 200 oC und 300 oC haben können, kann bei längerer Exposition zu einem Hitzeschock führen. Verbrennungen der Haut und der Atemwege sind zu erwarten, wenn die durch Konvektion oder Strahlung eingetragene Wärmestromdichte bestimmte Werte überschreitet.
Ein HitzeschockHitzeschock tritt ein, wenn Personen über längere Zeit erhöhten Temperaturen (80 oC bis 120 oC) ausgesetzt sind und dadurch die Körper-Kerntemperatur über 40 oC ansteigt. Die Folge sind zunächst Übelkeit und Bewusstseinseintrübung, bei weiter ansteigender Körper-Kerntemperatur kann ab ca. 42 oC innerhalb weniger Minuten der Tod eintreten. Werden Brandgase oder erhitzte Luft mit mehr als 180 oC eingeatmet, kommt es unmittelbar zur Blockierung der Atemfunktion durch irreversible Schädigung der Luftröhre und Lunge. Der Tod tritt nach wenigen Minuten ein.
Das Auftreten von VerbrennungenVerbrennungen hängt stark von der Temperatur und der ExpositionszeitExpositionszeit ab und wird daneben von der vorhandenen Kleidung, der Luftfeuchtigkeit und Luftströmung beeinflusst. Die Art des Wärmetransportes in die Haut – Konvektion oder Wärmestrahlung – ist dabei sekundär. Bei Temperaturen der Luft um 100 oC beträgt die Toleranzzeit ca. 15 Minuten bis 25 Minuten, diese sinkt jedoch bei Temperaturen um 200 oC auf nur noch 3 Minuten bis 4 Minuten ab. Wärmestrahlung von unter ca. 2 kW/m² können relativ lange ertragen werden, bei BestrahlungsintensitätenStrahlungsintensitätkritische bei Menschen von mehr als 10 kW/m² Wärmestromdichtekritische durch Strahlungtreten schon nach wenigen Sekunden Verbrennungen 2. Grades (Blasenbildung) auf. Bei großflächigen Verbrennungen 2. Grades kann es neben dem unmittelbaren intensiven Schmerz zu einem Schock aufgrund des Flüssigkeitsverlustes kommen.
Die Zeit bis zum Eintritt der HandlungsunfähigkeitHandlungsunfähigkeitbei Wärmeexposition von Personen bei starker WärmeexpositionWärmeexpositionToleranzzeit ist nach dem oben ausgeführten nicht einfach festlegbar, daher verwundert es nicht, dass die publizierten Werte starke Streuungen aufweisen. In Abbildung 1-3 sind zwei empirisch ermittelte Zusammenhänge dargestellt.Toleranzzeitfür Wärmeexpostion
Abbildung 1-3:
Toleranzzeiten für Wärmeexposition (nach [1.28] und [1.44])
Anmerkung: |
Da in realen Brandfällen die physiologische Wirkung von Rauch immer auf einer Kombination der obigen Faktoren beruht, richten sich neuere Bemühungen auf die Erarbeitung einer integralen Beschreibung der Auswirkung von Rauch auf die Benutzbarkeit von Rettungswegen. Wilk et al. 2004 [1.45] haben erste Ergebnisse ihrer Untersuchungen vorgestellt und kommen zum Ergebnis, dass sich bei Mischbrandlasten, wie sie in Wohnungen, Büros und Hotels vorliegen, die Verringerung der Sichtweite (= Erhöhung der optischen Dichte, vergl. Punkt 13.4.2) und die toxisch bzw. reizend wirkenden Anteile im Rauch in einem bestimmten Verhältnis zueinander entwickeln. Daher ist es grundsätzlich möglich über die sich bei einem Brand in den Rettungswegen einstellende optische Dichte Aussagen über die Auswirkung von Rauch auf die Selbstrettungsmöglichkeit von Menschen abzuleiten. Als Ergebnis wird eine optische Dichte von 0,21 als der Wert angesehen, der in Rettungswegen über die für ungeschützte Personen erwartete Nutzungszeit (= Räumungszeit des Gebäudes) nicht überschritten werden darf. |
Auch die psychologische Wirkung von Brandrauch Rauchpsychologische Wirkungauf Personen, die im Verlaufe einer SelbstrettungSelbstrettungim Rauch mit verrauchten Räumen konfrontiert sind, ist nicht zu unterschätzen. Die Literatur berichtet von Gefühlen gesteigerter Beunruhigung und Sorge hinsichtlich der weiteren Entwicklung der Situation, sowie emotionalem Stress,Stress durch Rauch der sich bis hin zur vollständigen Verwirrung mit der Folge irrationaler Handlungen steigern kann. HandlungsunfähigkeitPsychologieTatsache scheint zu sein, dass auch im Normalfall stabile Personen durch Rauch erheblich verunsichert werden können und u.U. sogar auf die Nutzung von nur mäßig verrauchten Rettungswegen verzichten. Das Verhalten von Personen in der Ausnahmesituation „Auftreten von Rauch“ wird stark durch die folgenden Faktoren beeinflusst: HandlungsunfähigkeitStress im Rauch
Entstehung, Farbe, Stärke und Ausbreitung des Rauches
Grad der Vertrautheit mit dem Gebäude
verfügbare zusätzliche Informationen(z.B. durch akustische Anweisungen)
Rollenverständnis das Betroffene von sich selbst haben(u.a. Geschlecht und Alter, „Macher“, „Macho“)
Verhalten anderer Menschen
Weitere Hinweise zum Verhalten von Menschen unter Stress infolge von Rauch findet man bei Bryan [1.46], der neben den Erkenntnissen kontrollierter Versuche auch die Ergebnisse von Befragungen betroffener Personen und sonstiger Auswertung von Realbränden präsentiert. Interessant ist insbesondere, dass das Eintreten von oftmals so bezeichneter „Panik“Panik infolge Rauch von Betroffenen – d.h. das irrationale, nicht situationsgerechte und antisoziale Flüchten, das die Überlebenschancen der Gruppe ebenso wie die des Individuums reduziert – anscheinend die Ausnahme ist. Dies wird durch Ergebnisse von Keating [1.47] sowie neuere Untersuchungen des Verhaltens von Menschen bei Großbränden – u. A. beim World Trade Center – unterstützt (Kuligowski [1.48], Künzel et al. [1.49]).
1.4 Schutzziele des Brandschutzes
Die Tatsache, dass Brandgefahren allgegenwärtig sind und jederzeit Leib und Leben sowie Sachwerte bedrohen können, leuchtet – insbesondere unter Bezug auf die unter Punkt 1.3.3 erwähnten Brandtoten und die in Tabelle 1-1 dargestellten Vermögensschäden – zwar unmittelbar ein, dennoch wird dieses Risiko nicht selten unterschätzt. Veranlasst durch einen entsprechenden Fall hat das Oberverwaltungsgericht Münster schon 1987 zu den Risiken von Bränden und deren Folgen in einem in der Fachwelt viel beachteten Urteil klargestellt [1.50]: OVG MünsterBrandentstehung BrandentstehungOVG Münster 1987
„… Es entspricht der Lebenserfahrung, dass mit der Entstehung eines Brandes praktisch jederzeit gerechnet werden muss. Der Umstand, dass in vielen Gebäuden jahrzehntelang kein Brand ausbricht, beweist nicht, dass keine Gefahr besteht, sondern stellt für den Betroffenen einen Glücksfall dar, mit dessen Ende jederzeit gerechnet werden muss. …“
Schutzzieledes BrandschutzesBrandschutzSchutzzieleZum Schutz der Menschen und – nachrangig – zur Verminderung von Sachschäden sind daher in den Landesbauordnungen Schutzziele definiert, die im Hinblick auf den Brandschutz folgende Formulierungen enthalten (§ 14 MBO [1.51]):
„Bauliche Anlagen sind so anzuordnen, zu errichten zu ändern und in Stand zu halten, dass der Entstehung eines Brandes und der Ausbreitung von Feuer und Rauch (Brandausbreitung) vorgebeugt wird, und bei einem Brand die Rettung von Menschen und Tieren sowie wirksame Löscharbeiten möglich sind.“
Eine bauliche Anlage muss daher nach der SicherheitsphilosophieSicherheitsphilosophiedes Baurechts des Baurechtes in brandschutztechnischer Hinsicht so geplant, ausgeführt und betrieben werden, dass
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