Diese Verlagerung der Sicherung der Existenz vom Individuum auf die Gesellschaft kulminiert – aus der Sicht eines verantwortlichen Feuerwehroffiziers – darin, dass heute, am Beginn des 21. Jahrhunderts, die meisten Menschen in den Industrienationen selbst kleineren Bränden im häuslichen oder betrieblichen Bereich nahezu hilflos gegenüberstehen. Man „ruft die Feuerwehr“, die als Helfer in der Not allein für die Bekämpfung von Bränden zuständig ist. Gleichzeitig haben die Länder in ihren Bauordnungen relativ detailliert Vorschriften über den Vorbeugenden Brandschutz erlassen.
Diese Bauvorschriften kollidieren heute nun häufig mit den Anforderungen von modernen Industriegesellschaften, die immer mehr Waren in immer größer und komplexer werdenden Funktionsstätten herstellt, lagert und vertreibt. Aus Kostengesichtspunkten sind die Eigner von Produktionsbetrieben, von Handel und Dienstleistungsbetrieben bemüht, die Kosten für Brandschutzmaßnahmen so gering wie möglich zu halten. Dies erfolgt aus rein wirtschaftlichen Überlegungen, denn die Kosten für Brandschutzmaßnahmen sind für einen Betrieb lediglich Kostenfaktoren, die über den Preis an den Kunden weitergegeben werden. Dies gilt für direkte Brandschutzmaßnahmen des Betriebes und die über die Gewerbesteuer mitfinanzierte öffentliche Feuerwehr gleichermaßen. Der Preis einer Ware aber bestimmt wesentlich ihre Absatzchancen und damit den ökonomischen Erfolg des Betriebes.
Die Dimension der Kosten von Brandschutzmaßnahmen für moderne Gesellschaften wird deutlich, wenn man sich einige statistische Zahlen des CTIFCTIF (Comité Technique International de Prévention et d’Extinction de Feu – Internationales Technisches Komitee für vorbeugenden Brandschutz und Feuerlöschwesen) vor Augen führt (CTIF [1.3]). In Tabelle 1-1 sind für einige Industriestaaten die Kosten des Brandschutzes dargestellt.
Kosten des Brandschutzes sind grundsätzlich die folgenden Kosten (nicht alle davon werden in allen Ländern vollständig erfasst):
die direkten Brandschäden(durch Vernichtung von Immobilien, Ausstattung und Einrichtung und den Verlust von Menschenleben),
die indirekten Brandschäden(für Produktionsausfall, Marktanteilsverluste, Kosten für Ausgleichsmaßnahmen, Gesundheitskosten für Brandverletzte),
die Kosten für den Unterhalt der Feuerwehren(öffentliche Feuerwehren und nichtöffentliche Feuerwehren,Löschwasserversorgung, siehe Kapitel 2 bis 4),
Kosten für den brandschutztechnischen Schutz von Gebäuden(d.h. für den Vorbeugenden baulichen Brandschutz und den Anlagentechnischen Brandschutz, siehe Kapitel 5 bis 13),
die Kosten für die Feuerversicherungen und Betriebsausfallversicherungen,
die Kosten für Brandschutzforschung und Brandschutzdokumentation.
Land |
Tote je 1 Million Einwohner und Jahr Ø 2011-2015 1 ) |
Kosten des Brandschutzes Ø 2008-2010 in % des Bruttoinlandsproduktes (BIP) 1 ) 3 ) |
direkter Schaden |
indirekter Schaden |
Kosten der Feuerwehren |
Vorbeugender Brandschutz |
Feuerversicherung |
Belgien |
5,5 |
0 , 43 |
0 , 133 |
0 , 16 |
0 , 21 |
0 , 26 |
Dänemark |
10 |
0 , 29 |
0 , 048 |
0 , 1 |
0 , 41 |
0 , 12 |
Schweiz |
5 , 2 |
0 , 18 |
0 , 079 |
0 , 11 |
0 , 37 |
0 , 15 |
Norwegen |
10 |
0 , 33 |
0 , 019 |
0 , 14 |
0 , 33 |
0 , 13 |
Großbritannien |
5,8 |
0,13 |
0,008 |
0,20 |
0,29 |
0,10 |
Schweden |
10 |
0,18 |
0,06 |
0,13 |
0,20 |
0,05 |
Niederlande |
4,6 |
0,15 |
0 , 031 |
0,21 |
0,31 |
0 , 15 |
Italien |
3 |
0,20 |
0 , 015 |
0 , 06 |
0,35 |
0,04 |
Frankreich |
5,4 |
0,2 |
0 , 043 |
0 , 08 |
0 , 15 |
0 , 12 |
Finnland |
13,3 |
0,17 |
0,011 |
0,19 |
- |
0,03 |
Österreich |
3,2 |
0,19 |
0,029 |
0,11 |
- |
0,14 |
Deutschland 4 ) |
4,7 2 ) |
0,12 |
0,014 |
0 , 07 |
- |
0 , 08 |
USA |
9,9 |
0,1 |
0,007 |
0,29 |
0,29 |
0,12 |
1 ) Kursiv: ältere Daten 2) Tote infolge von Bränden in Deutschland Ø 2011 bis 2015: 389 ([1.3], [1.4]) 3) BIP = Wert aller in einem Jahr produzierten Waren und Dienstleistungen 4) BIP Deutschland 2020: ca. 3336 Mrd. € (nach [1.5]) Kostendes BrandschutzesBrandschutzKosten des ~es |
Tabelle 1-1:
Kosten des Brandschutzes in verschiedenen europäische Ländern und der Vereinigten Staaten (zusammengestellt nach [1.3])
Brandtotein EuropaSoweit eine generalisierte Aussage aufgrund der zitierten Statistiken möglich ist, betragen die Gesamtkosten des Brandschutzes (ohne Kapitalisierung von Menschenleben) durchschnittlich ca. 0,7 % des jeweiligen Bruttoinlandsproduktes. Geht man davon aus, dass dieses in etwa auch für Deutschland zutrifft (hier sind leider keine Daten zum Vorbeugenden Brandschutz verfügbar), wären dies heute mindestens
22 Milliarden Euro pro Jahr. Dieser Betrag setzt sich in etwa aus folgenden Anteilen zusammen:
ca. 30 % direkter Brandschaden,
ca. 3 % indirekter Brandschaden,
ca. 16 % für die Unterhaltung von Feuerwehren,
(ca. 35 % für den brandschutztechnischen Schutz von Gebäuden und Anlagen – geschätzt ),
ca. 16 % für Feuerschutzversicherungen.
Weitere Daten und Interpretationen der weltweiten Brandstatistiken findet man in [1.3] und [1.4] sowie bei Alekhin et al. [1.6].
1.1 Der Brand und seine Entwicklung
Ein BrandBrandEntwicklung ist ein SchadenfeuerSchadenfeuer, d.h. ein Feuer, das den bestimmungsgemäßen Herd verlassen hat oder außerhalb eines solchen entstanden ist, sich unkontrolliert ausbreitet und an Personen oder Sachen Schaden verursacht. Aus naturwissenschaftlicher Sicht ist ein Feuer eine schnell erfolgende exotherme Oxidation, die nach der Zündung selbständig und unter Lichterscheinung (Flammen, Glut) erfolgt und die allgemein als Verbrennung bezeichnet wird (weitere Erläuterungen zu dem Phänomen Feuer und den Voraussetzungen für sein Entstehen enthält der Anhang 1).
Schadenfeuer in Gebäuden, bei denen im Wesentlichen Feststoffe verbrennen, haben nach der ZündungZündung idealisiert den in Abbildung 1-1 dargestellten Verlauf (zur Theorie der Zündung siehe z.B. Busenius [1.6] oder Kanury [1.9]). Nach der Initialzündung entwickelt sich der zuerst kleine Brand zunächst mit Brandleistungen unter ca. 20 kW/m² relativ langsam (ZündphaseZündphase) und heizt dabei lediglich seine unmittelbare Umgebung auf. Die durchschnittlichen Temperaturen im Brandraum sind noch recht gering (ca. 50 oC).
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