Nach zwei Jahren, seit ihrem Zusammentreffen mit der neuen Welt, war es endlich soweit: Es war ein ungewöhnlicher Werdegang, aber Jeff Andrews verfügte über die entsprechenden Kontakte und so spielten auch die Behörden mit. Die Prüfungen, die Rawanni mit ausgezeichneten Noten bestand, berechtigten sie zum Besuch einer Highschool. Der erste Schritt war getan.
September 1989
Rawanni, inzwischen 16 und zu einer exotischen Schönheit herangewachsen, erregte nicht wenige Männerherzen. Sie wirkte mit ihrer erotischen Weiblichkeit wesentlich älter und besaß neben ihrer Größe von einem Meter fünfundsiebzig perfekte Modelmaße. Ihr durchtrainierter geschmeidiger Körper hatte etwas Raubtierhaftes an sich und ihr leiser Gang wirkte fast schwebend. Um ihre bronzefarbene samtige Haut beneideten sie viele. Die glatten schwarzen Haare, über die ein feiner Schleier aus dunkelblauer Seide zu schimmern schien, ergossen sich bis hinab über ihre Schulterblätter. Die einstmals hüftlangen Haare hatte Peggy ihr bis zur Hälfte gestutzt, aber sie waren immer noch eine üppige Pracht, in die jeder Mann versucht war hineinzugreifen, um mit den samtigen Strähnen zu spielen. Für ihr Volk galten lange Haaren schon immer als ein besonderer Schmuck, auf den jeder, egal ob Mann oder Frau, stolz war. Doch viele männliche Indianer hatten sich heute von dieser Tradition verabschiedet und sich dem Haarschnitt der Weißen angepasst. Ihre Gesichtszüge waren ebenmäßig geformt, mit hohen Wangenknochen, einem kleinen runden Kinn und einer scharf geschnittenen Nase. Dunkle Brauen wölbten sich in einem sanften Bogen über ihre großen schwarzen Augen, in denen die Pupillen nur zu erahnen waren, und die einem tiefen unergründlichen See glichen, umrahmt von langen, dichten Wimpern. Manchmal leuchteten sie feurig, besonders wenn sie wütend war. Ihr schönstes Merkmal waren ihre vollen, sinnlichen Lippen, die jeder Mann gerne geküsst hätte, wie Pete und Dan übereinstimmend meinten. Ihr Busen war fest und wohlgeformt, nicht übermäßig groß, aber für eine Männerhand sehr handlich, wie Pete und Dan auch hierbei ihr professionelles Urteil abgaben, obwohl sie nur Mutmaßungen anstellen konnten, da Rawanni selbst beim Schwimmen nur einen hochgeschlossenen Badeanzug trug. Die darunter abgezeichneten Rundungen waren alles, was die beiden zu sehen bekamen. Neben all diesen Äußerlichkeiten besaß sie eine enorme Ausstrahlung, die jeden automatisch in ihren Bann zog. Doch manchmal verschwand ihre weiche Seite vollständig, dann wirkte sie wie eine totbringende Kriegerin, bereit es mit jedem Gegner aufzunehmen. Bisher hatten diese Seite nur Jerry und seine Kumpanen vor zwei Jahren kennengelernt, ansonsten war sie der friedliebendste Mensch auf Erden und kam mit allen gut aus.
Doch mit all diesen außergewöhnlichen körperlichen Segnungen, für die jede Frau sie beneidet hätte, war Rawanni nicht zufrieden, denn sie fiel auf und das verursachte ihr Unbehagen. Deshalb versteckte sie lieber ihre Reize unter weiter Kleidung. Doch ihr Gesicht konnte sie nicht verstecken und spürte jedes Mal die neugierigen Blicke, besonders die der Männer, in denen sie Begehrlichkeiten las.
Sie selbst interessierte sich nicht für Männer und diese fordernden Blicke waren ihr immer unangenehm. Verwundert sah sie auf den Straßen die jungen Mädchen, die mit hautengen Jeans oder Röcken, die kurz unterm Po endeten, herumliefen, knappe Oberteile, die für jeden den Blick auf Busen und Bauchnabel preisgaben. Ihre ganzen Bewegungen zielten offenbar darauf ab, die Jungs scharfzumachen. Nein, das war ganz und gar nicht ihre Art.
Peggy erklärte ihr, mit Beginn der Pubertät wäre es normal, wenn Mädchen und Jungen dem anderen Geschlecht gefallen wollten und sich daher auffallender anzögen. Mit 15, 16 hatten viele schon einen festen Freund, manche auch schon ihre ersten sexuellen Erfahrungen. Peggy gehörte zwar nicht zu den Menschen, die unbedingt darauf bestanden mit dem Sex bis zur Ehe zu warten, aber man sollte zumindest über eine gewisse Reife verfügen. Sex war nicht einfach ein Spiel. Es konnten dabei die Gefühle eines Menschen verletzt werden, daher sollte man mit seinem Partner erst dann körperlich intim sein, wenn Liebe im Spiel war.
Rawanni hörte Peggy aufmerksam zu und teilte ihre Meinung, aber diese Empfindungen für einen Jungen lagen bei ihr noch in zu weiter Ferne, um sich jetzt darüber Gedanken zu machen.
Peggy machte sich etwas Sorgen über Rawannis mangelndes Interesse am anderen Geschlecht, aber vielleicht lag es auch nur daran, dass sie Jungs in ihrem Alter bisher noch nicht kennengelernt hatte. Das würde sich bald ändern und damit sicherlich auch ihr Interesse an der männlichen Spezies, denn morgen begann ihr erster Schultag.
Peggy musste an diesem Morgen tief Luft holen, als sie Rawanni sah, die ihre schönen Haare zu zwei Zöpfen geflochten hatte. Außerdem trug sie ein weites Flanellhemd, das über ihrer Jeans hing und den Blick auf ihren schönen Hintern verwehrte.
„So wirst du aber keinen Jungen kennenlernen“, stellte Peggy mit krauser Stirn fest.
„Das will ich auch nicht“, erklärte Rawanni energisch, „ich gehe schließlich zur Schule um etwas zu lernen und suche keinen Heiratskandidaten. Ich will meine Zeit nicht mit Jungs die mir nachsteigen vergeuden.“
Peggy gab auf, Rawanni hatte ihren Dickkopf und ihre Prinzipien. Aber vielleicht würden die Dinge auch von selbst ihren Lauf nehmen. Peggy seufzte vernehmlich und wünschte ihr alles Gute für den ersten Schultag.
Jeff wartete bereits vor dem Haus im Wagen auf sie, um sie persönlich zur Highschool zu fahren. Pete und Dan standen ebenfalls an der Straße, um ihr Glück zu wünschen.
Ihr Magen zog sich nervös zusammen, als sie wenig später allein vor dem alten Gebäudekomplex stand, der in einem Vorort von Denver lag. Man sah dem in die Jahre gekommenen, dreigeschossigen Bau aus rotem Backstein an, dass er dringend einer Renovierung bedurfte, aber es fehlte offenbar an Geld. Zum größten Teil besuchten Schüler aus weniger begüterten Familien diese Schule und das Gewaltpotenzial war entsprechend hoch. Jeff hatte sich um eine andere Highschool bemüht, aber keine wollte Rawanni wegen ihrer indianischen Herkunft aufnehmen. Eine Privatschule, die er gerne bezahlt hätte, lehnte Rawanni selbst strikt ab.
Sie umklammerte ihre Tasche mit den neuen Schulbüchern fester als notwendig, während sie ehrfürchtig die breiten Stufen zum Haupteingang hinauf schritt. Schüler eilten laut erzählend oder lachend an ihr vorbei, wie eine Woge, die tosend über sie hinwegrollte. Manche stießen sie unbeabsichtigt an, weil sie nicht in der Woge mitschwamm. Alles war für sie sehr irritierend.
Es war der erste Schultag nach den Sommerferien und der Beginn eines neuen Schuljahres. Sie ging zunächst zum Sekretariat, um sich zu melden. Die nette ältere Dame hinter dem Schreibtisch bat sie, auf den Lehrer Mr Long zu warten. Wenig später trat ein Mann, Mitte 50, mittelgroß und schlank, auf sie zu. Seine Brille hing auf der Nasenspitze und seine gutmütigen Augen blickten sie mit einem sanften Lächeln darüber hinweg an, als er ihr die warme Hand reichte.
„Guten Tag. Ich nehme an Sie sind Miss Rawanni, die neue Schülerin?“
„Ja, guten Tag.“ Sie schüttelte seine dargebotene Hand.
„Mein Name ist Bill Long und ich unterrichte Englisch, Geschichte und Politik. Darf ich Sie duzen? So handhabe ich das mit allen meinen Schülern, es ist persönlicher.“
„Ja, gerne.“
„Komm, ich bringe dich zu deinem Klassenraum.“
Rawanni schritt neben ihm her und warf einen kurzen Blick auf sein Profil, das sehr markant wirkte.
Viele Furchen waren im Laufe der Zeit in sein Gesicht gemeißelt worden; Spuren, die sein aufreibender und manchmal auch frustrierender Job hinterlassen hatte, was nicht an der eigentlichen Tätigkeit als Lehrer lag, sondern an den Jugendlichen, die immer seltener Respekt vor ihren Lehrern zeigten. Nicht wenige Kollegen hatten resigniert aufgegeben und sich zu einer anderen Schule versetzen lassen oder waren sogar vorzeitig aus dem Dienst geschieden, weil sie nervlich am Ende waren. Die Jugendlichen zeigten sehr deutlich, wie wenig Lust sie zum Lernen hatten, indem sie den Lehrern nicht zuhörten, sich während des Unterrichts unterhielten oder ganz einfach gar nicht erst erschienen. Das Schlimmste war jedoch die enorme Gewaltbereitschaft. Die Jugendlichen kamen oft aus zerrütteten Familien, in denen sich niemand um sie kümmerte. Deshalb suchten sie Gleichgesinnte und organisierten sich in Banden, die nicht selten kriminelle Delikte begingen. Der Dekan hatte im vorigen Jahr bei einer Durchsuchung der Schüler durch die Polizei zahlreiche Waffen der verschiedensten Art zusammentragen lassen. Alle waren aufgerüttelt worden, aber nichts hatte sich geändert; die Kids besorgten sich kurzerhand neue Waffen.
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