Er rüttelte an der Tür, doch schien sie abgeschlossen. „Komisch, lässt seinen Stuhl hier draußen stehen und macht die Biege“, sagte er.
Jenny legte eine Hand an die Scheibe und blickte hinein. „Da hinten tut sich was.“
Plossila sah, wie im Inneren ein Licht eingeschaltet wurde, ein dunkler Schatten fiel auf die Auslage hinter der Glasscheibe, dann zog jemand einen grünen Samtvorhang zur Seite, Glöckchen bimmelten. Die Tür öffnete sich.
„Entschuldigen Sie, ich musste nur kurz etwas erledigen. Warten Sie schon lang?“
Vor ihnen stand ein kleiner weißhaariger Mann, dessen Haare nach rechts abstanden, als herrsche Wind von links. Er trug einen marineblauen Pullover, über dessen Ausschnitt sich der Kragen eines olivgrünen, verwaschenen Polohemds krümmte. Plossila konnte sich nicht helfen, doch der Mann wirkte auf ihn wie eine vertrocknete Pflanze.
Plossila hielt ihm seine Marke unter die Nase. „Kriminalpolizei Fürstenfeldbruck, wir müssten kurz mit Ihnen sprechen.“
Der Mann betrachtete die Marke. „Und ich dachte schon, Sie wären ein Kunde. Sie wären der erste gewesen heute. Aber bitte, kommen Sie rein!“
Sie folgten dem Mann in den Laden. In Plossilas Blick fiel ein gedrungener Schrank mit eigenartigen Schnörkeln, auf dem ein kleines Schild angebracht war. „Louis Philippe, 1.300 Euro“, murmelte er vor sich hin. „Alle Achtung.“ Plossila hatte keine Ahnung von Antiquitäten, aber dass ein so kleiner Schrank, der mit Sicherheit schon den Holzwurm zu Gast hatte, so teuer war – damit hätte er nicht gerechnet. Er schritt weiter in den röhrenartigen Raum hinein, in dessen Flucht eine geöffnete Tür zu sehen war, die in eine Werkstatt zu führen schien, jedenfalls glaubte Plossila, eine Werkbank zu erkennen. Linker Hand befanden sich ausschließlich Weichholzmöbel, die meisten von ihnen lieblos mit weißem Lack überpinselt. Auch von diesen Möbeln war keines unter eintausend Euro zu haben.
„Dann ist das hier wohl Shabby-Chic“, sagte Jenny und strich mit ihrer Hand über das Aufsatzstück eines Büfettschranks mit gedrechselten Säulen.
Der alte Mann drehte sich um, seine wässrigen Augen weiteten sich leicht. „Sie scheinen sich offenbar ein wenig auszukennen, Frau Kommissarin.“
„Oberwachtmeisterin“, sagte Jenny und hob die linke Augenbraue.
Plossila war überrascht, er hätte nicht gedacht, dass seine Kollegin ein Faible für Antiquitäten hatte, doch erinnerte er sich an ihren letzten Fall. Seinerzeit hatte sie sich schon als Kennerin klassischer Musik erwiesen. Sie war wirklich immer wieder für eine Überraschung gut. Er wendete sich dem Mann zu. „Wir kommen nicht wegen der Antiquitäten, sondern hatten gehofft, Sie handelten auch mit alten Waffen“, sagte er.
Der Mann drehte sich kurz zu Plossila um, setzte dann den Weg zur Kasse fort. Es war eine alte Kasse mit rotem Holzfurnier, zahlreichen undefinierbaren Knöpfen und einer Kurbel an der Seite. Sie stand auf einem Holztisch mit Intarsien und geschnitzten Löwenköpfen am oberen Ende der Tischbeine. Er ging um den Tisch herum, stellte sich neben einen Stuhl mit geflochtener Sitzfläche, blieb aber stehen.
„Waffen, ja ... Ich habe damit angefangen, damals. Mit alten, unbrauchbaren Dekorationswaffen und Möbeln. Wegen der Waffen habe ich aber Ärger bekommen, da ist ein Kindergarten die Straße hoch, Eltern haben sich immer wieder beschwert. Also habe ich Waffen und Militaria ausgelagert. Zuerst in meine Wohnung ... das komplette Haus gehört mir, die Wohnung liegt also direkt über dem Ladengeschäft, was praktisch war ...“ Er blickte andächtig zur Decke hinauf. „Danach habe ich aber einen Großteil in ein externes Lager verbracht, ich wollte nicht mit den Büsten der Diktatoren im Wohnzimmer leben, wenn Sie verstehen, was ich meine. Wer Interesse daran hat oder etwas Bestimmtes sucht, kann mich im Laden kontaktieren, und wenn ich es im Lager habe, bringe ich es hierher.“ Er sah Plossila erwartungsfroh an. „Suchen Sie etwas Bestimmtes?“
Plossila zog die Tüte mit dem SS-Dolch hervor. „Wir wollten Sie eher um Ihre Einschätzung als Experte bitten.“ Er nahm den Dolch aus der Tüte. „Haben Sie so etwas schon einmal gesehen?“
Der Mann nahm den Dolch, spitzte leicht die Lippen, als schmecke er eine Soße ab, dann legte er die Waffe auf den Tisch. Er schob eine Hand unter den Pullover, begann, sich die Brust abzutasten, und zog dann eine eingeklappte Lesebrille heraus. Mit der Brille auf der Nase nahm der den Dolch erneut auf, spitzte wieder die Lippen. Nach einer Weile des Guckens und Spitzens sah er auf: „Es ist ein SS-Ehrendolch, mit ziemlicher Sicherheit ein Original.“
„Kommt er Ihnen bekannt vor?“
„Hm, ein Dolch wie dieser ...“ Er drehte ihn vorsichtig um, besah ihn von der Seite, besah ihn von oben, von unten. „Es sind viele SS-Dolche im Umlauf, auch eine Menge Fälschungen. Sie müssen bedenken, dass allein für die SA rund drei Millionen Dolche gefertigt wurden, für die SS kamen noch einmal rund 250.000 Dolche hinzu. Den Ehrendolch gibt es seit 1933, spätestens seit 1936 sogar für alle Dienstgrade. Er wurde immer am 9. November verliehen, das ist der Jahrestag des missglückten Hitlerputsches. Sie wissen ja, dass Hitler aufgrund dieses Putsches hier bei uns ganz in der Nähe in Festungshaft saß, in Landsberg. Vielleicht ist der Dolch deshalb auch bei den Ewiggestrigen gerade in unserer Region recht beliebt. Aber, auch das muss man sagen: So etwas kaufen nicht nur Nazis, auch viele Sammler, die alles Mögliche sammeln. Manche Männer haben eine dunkle Freude daran, etwas so Dämonisches wie einen SS-Dolch zu besitzen, eine Waffe, mit welcher der Teufel höchstpersönlich ausgestattet war, wenn Sie verstehen. Es ist ja auch nicht illegal, damit zu handeln.“ Er blickte vorsichtig zu den Polizisten auf.
„Herr, äh ...“, sagte Plossila.
„Rheser“
„Herr Rheser, wir wissen, dass der Handel mit Stücken dieser Art legal ist. Es geht uns auch nicht darum, etwaige illegale Handelspraktiken aufzudecken. Bitte sagen Sie uns ganz einfach, was es mit diesem Dolch auf sich hat.“
Er nickte, eine gewisse Spannung schien aus seinem Körper zu weichen. „Dieser spezielle Dolch?“ Er legte den Dolch vor sich auf den Tisch, drehte ihn erneut um, starrte ihn eine Weile an. „Nun, er hat den üblichen schwarzen Schaft aus Ebenholz, in den eine emaillierte SS-Rune und der silberne Reichsadler eingelassen sind. Parierstangen, Schrauben et cetera sind aus Nickel. Dass der Träger einen hohen Rang hatte, sieht man an der Inschrift des Blatts: In herzlicher Kameradschaft, H. Himmler ist dort eingelassen, das ist bei Weitem kein Normalfall. Aller Wahrscheinlichkeit nach wurde die Waffe von Himmler persönlich überreicht.“
Er blickte wieder auf, presste dann die Lippen zusammen, als halte er noch eine wichtige Tatsache zurück. Dann sah er erneut auf die Waffe, strich mit einem Finger darüber, auf dem ganz leichte Sägespäne lagen, wie Plossila erst jetzt auffiel. Er hob den Dolch an, blickte auf den Schaft. „Oberhalb des Griffknebels finden sich römische Nummern, die von Hand eingeschlagen wurden und die den Dolch seinem persönlichen Besitzer zuweisen.“ Er strich fast zärtlich über die Nummer auf dem Knebel. „Vielleicht ...“
„Das heißt, Sie können uns sagen, wem der Dolch gehört hat?“, platzte es aus Jenny heraus. Mit offenem Mund blickte sie auf den Mann.
Er holte tief Luft. „Normalerweise gelingt das nicht immer, weil nicht alle Register den Krieg überdauert haben und ich auch keinen Zugriff auf diejenigen habe, die es noch gibt. Außerdem werden die Dolche in den meisten Fällen den ursprünglichen Besitzer gewechselt haben. Das ... das ist auch bei diesem Dolch der Fall.“
„Wie können Sie sich da so sicher sein“, fragte Jenny.
„Weil ich ihn ... aller Wahrscheinlichkeit nach selbst verkauft habe. Wenn Sie einen Augenblick Geduld haben?“ Er setzte sich jetzt doch auf das Stuhlgeflecht und zog eine Schublade unter der Tischplatte heraus. Dann offenbarte er eine Liste, legte diese auf den Tisch. Er fuhr mit seinem Finger verschiedene Spalten der Liste ab, warf immer wieder einen Blick auf die Nummer des Dolchs und sah zurück auf die Liste. Dann sagte er: „Ja. Ja, das ist er.“
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